Jugend und Krise: Nur der Stift arbeitet noch

Nr. 18 –

Gespenstische Ruhe in den Fabriken, Polizeischutz für Berufsschulen: Zwei junge GewerkschaftssekretärInnen erzählen, wie sie den Arbeitenden neue Perspektiven eröffnen und mit welchen Mitteln sie die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen wollen.


Junge Leute sind schon lange überdurchschnittlich von Arbeitslosigkeit betroffen. Verschärft die Krise die Situation?

Elena Obreschkow: Ja. Das Staatssekretariat für Wirtschaft nimmt die drohende Verschärfung nicht ernst genug. Die Prognosen sind zu optimistisch. Wir erwarten, dass diesen Sommer mindestens 10 000 junge Leute zusätzlich arbeitslos werden. Daneben sind mindestens so viele ohne Arbeit, die offiziell nicht arbeitslos gemeldet sind.

Wovon leben sie?

Obreschkow: Sie leben von der Unterstützung der Eltern oder schlagen sich irgendwie durch. Viele haben keinen Zugang zu Unterstützung, und das Risiko, dass sie in der Armut landen, ist gross. Handkehrum sind viele der etwa 20 000 Jugendlichen in den Überbrückungsangeboten eigentlich fehl am Platz.

Warum?

Obreschkow: Weil sie gar keine besondere Betreuung nötig hätten, sondern einfach eine Lehrstelle. Wir fordern 10 000 zusätzliche Lehrstellen. Eigentlich müsste es ein Überangebot von fünfzehn Prozent geben, damit alle wirklich das lernen könnten, was sie wollen.

Auch wenn sie nachher auf diesem Beruf keine Stelle finden?

Obreschkow: Ja. Der Schritt zur Weiterbildung, etwa in die Fachhochschulen, ist nach der Lehre bedeutend einfacher.

Wäre es sinnvoll, die Lehrlinge besser auf die Zeit nach der Lehre vorzubereiten?

Daniel Flückiger: Das Hauptproblem ist nicht mangelnde Vorbereitung, sondern dass es für junge Leute in der Krise noch schwieriger wird, eine Stelle zu finden.

Obreschkow: Vorbereitung kann schon sinnvoll sein. Wir versuchen zu vermitteln, dass es keine Schande ist, Unterstützung zu suchen. Ich finde es wichtig, dass sich die Jugendlichen nicht unter ihrem Wert verkaufen und sich nicht zu miserablen Löhnen einstellen lassen.

Flückiger: Ich bin immer wieder erstaunt, wie schlecht junge Leute über ihre Rechte informiert sind. Viele wissen wirklich nicht, was eine Gewerkschaft ist. Und sie können sich auch nicht vorstellen, was die Krise bedeutet. Die Lehrlinge in der Industrie, etwa Polymechaniker oder Anlagen- und Apparatebauer, spüren die Krise bisher am stärksten. Aber sie nehmen das locker: «Wenn ich keine Stelle finde, gehe ich halt ins Militär.»

Wie spüren diese Lehrlinge die Krise?

Flückiger: Dort, wo Kurzarbeit eingeführt worden ist, herrscht gespenstische Ruhe in den Fabrikhallen. Die Lehrlinge sind oft die Einzigen, die noch am Arbeiten sind. Sie üben an Werkstücken, statt wirklich etwas zu produzieren, oder lernen für die Lehrabschlussprüfung. Und sie beneiden ihre Kollegen, die frei haben.

Obreschkow: Das höre ich auch oft: «Kurzarbeit ist doch cool!»

Flückiger: Wer wirklich davon betroffen ist, merkt aber schnell, dass das nicht stimmt. Bei Kurzarbeit können ähnliche psychische und finanzielle Probleme wie bei Arbeitslosigkeit entstehen.

Wie will die Unia die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen?

Flückiger: Wir fordern Massnahmen vom Staat, zum Beispiel Einarbeitungszuschüsse für Lehrabgänger, Weiterbildung und Brückenangebote wie Praktika - allerdings unter klaren Rahmenbedingungen und zu anständigen Löhnen. Es sollen keine ewigen Praktika werden, wie sie in vielen EU-Ländern üblich sind. Anderseits ist uns die politische Bildung sehr wichtig: damit die Arbeitenden verstehen lernen, wie die Wirtschaft funktioniert.

Das ist ein sehr hoher Anspruch ... Heute geben sogar viele Ökonomen zu, dass sie das nicht verstehen.

Obreschkow: Es geht um praktische Grundlagen: Welche Rechte habe ich im Arbeitsprozess, was bedeutet Arbeitslosigkeit ...

Flückiger: ... aus welchen Komponenten setzt sich der Lohn zusammen, wer erschafft Wert ...

Obreschkow: ... wie funktionieren die Finanzmärkte? Einerseits ganz praktische Sachen, aber wir versuchen auch, darüber hinauszudenken in Richtung Systemkritik.

Welche Stellung hat die Unia-Jugend in der Unia? Ist sie vergleichbar mit dem Verhältnis der Juso zur SP?

Obreschkow: Nein, die Unia-Jugend ist im Gegensatz zur Juso nicht unabhängig, hat keine eigenen Statuten. Gewerkschaftsmitglieder unter dreissig gehören automatisch dazu. Aber politisch sind wir sehr eigenständig und bedeutend systemkritischer als die Unia.

Gibt es Lehrmeister, die eure Arbeit behindern?

Obreschkow: Schwierigkeiten haben wir vor allem mit Berufsschulen. Viele verweigern uns den Zutritt. Manchmal wird eine Unia-Delegation von der Polizei rausgeworfen. Dabei geht es uns gar nicht in erster Linie um Werbung, sondern wir wollen politische Bildung vermitteln: Was ist eine Gewerkschaft, warum braucht es sie?

Haben die Lehrlinge kein Recht auf Information?

Flückiger: Doch, gemäss Verfassung schon, aber wer konkret in eine Schule reindarf, bestimmt halt doch die Schulleitung.

Was motiviert euch persönlich, für die Unia-Jugend zu arbeiten?

Obreschkow: Ich habe schon lange mit Jugendlichen und Jugendpolitik zu tun. Einerseits beruflich - ich war in Heimen und in der offenen Jugendarbeit angestellt -, aber auch in der Freizeit, bei den Jungsamaritern oder in der Unipolitik. Ich mache diese Arbeit sehr gern. Und bei der Unia, die die grösste und eine der linksten Gewerkschaften der Schweiz ist, können wir viele Leute erreichen.

Flückiger: Für mich ist Gewerkschaftsarbeit der direkteste und ehrlichste Zugang, um für die Interessen der Arbeitenden zu kämpfen. Ich habe nach der Matura Schreiner gelernt, weil ich nicht nur abstrakt über die Arbeitswelt reden, sondern sie direkt kennenlernen wollte. Und ich wollte etwas Praktisches machen. Auch mein Elternhaus hat mich geprägt, ich komme aus einer Arbeiterfamilie; mein Vater war sowieso dagegen, dass ich ins Gymi gehe.

Obreschkow: Bei mir ist das umgekehrt: Ich komme aus einer Akademikerfamilie, meine Eltern verstanden zuerst nicht, dass ich mich für Gewerkschaftsarbeit interessierte.

Flückiger: Ich bin politisch aktiv, seit ich sechzehn bin. Fragen nach Gerechtigkeit in der Wirtschaft und der Gesellschaft beschäftigen mich schon lange. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zu wehren. Gewerkschaftsarbeit ist eine davon.

Obreschkow: Was mir gefällt an meiner Arbeit: Mein Auftrag ist nicht, meine eigene Meinung zu vertreten, sondern die Basis der Unia-Jugend.

Flückiger: Mir geht es auch darum, dass eine Gewerkschaft den Leuten eine Heimat bieten kann. Gewerkschaftlich aktiv sein hilft gegen Perspektivenlosigkeit. Ich habe oft in Betrieben und auf Baustellen gehört: «Warum soll ich in die Gewerkschaft? Das bringt mir doch nichts.» Aber ich glaube, das ändert sich jetzt.


Die Gesprächspartnerinnen



Elena Obreschkow (27) ist Sozialpädagogin und seit Herbst 2007 Unia-Jugendsekretärin für die ganze Schweiz: «Ich bin die Ansprechperson für alles, was innerhalb der Unia mit Jugend zu tun hat. Ein grosser Teil davon betrifft die Berufsbildung. Wir unterstützen und koordinieren die Jugendlichen, die in der Gewerkschaft aktiv sind.»

Daniel Flückiger (25) hat nach der Matura eine Schreinerlehre gemacht und ist seit Februar Unia-Sekretär in Winterthur, zuständig für Industrie und Dienstleistungen, und Unia-Jugendverantwortlicher für Zürich und Schaffhausen: «Ich verbringe viel Zeit in den Betrieben, wo wir unsere Mitglieder betreuen und neue gewinnen. Als Jugendveranwortlicher besuche ich auch Berufsschulen.»