Fussball: «Niemand kann garantieren, dass nichts geschieht»

Nr. 32 –

Der neue Präsident der Swiss Football League (SFL), Thomas Grimm, im Gespräch mit der WOZ über neue Stadien, die Viererliga und wie er Pyros aus den Stadien bringen will.


WOZ: Herr Grimm, Sie haben die Swiss Football League mit vielen offenen Baustellen übernommen: Die Aufstockung der Super League auf zwölf Teams und ein neuer Modus, dazu mehr Anbieter im Fernsehmarkt, viele neue Stadien. – Wohin geht der Schweizer Profifussball?

Thomas Grimm: Ich bin im europäischen Fussball viel herumgekommen und kann den Stellenwert der Schweizer Liga gut einschätzen. Auch wenn wir international immer wieder Rückschläge einstecken mussten, haben wir ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Aber: Wir sind eine Ausbildungsliga, eine Liga, die eine Plattform sein kann für Spieler auf dem Weg in grössere Ligen.

In den letzten Jahren orientierten sich die Klubs nach oben, sie wollen an die WM, in die Champions League.

Die Verantwortlichen auf Stufe Verband und Klubs müssen sich solche Ziele setzen. Die Nationalmannschaft ist ja erfolgreich. Es liegt an uns, die Modernisierung voranzutreiben, vor allem was die Infrastruktur, die Stadien angeht. Aber das muss mit Augenmass geschehen: Es wäre wohl nicht sehr sinnvoll, wenn beispielsweise in Winterthur ein Stadion für 20 000 Personen hingestellt würde.

Gewisse Klubs übernehmen sich: Beim FC St. Gallen steht nun trotz neuem, grösserem Stadion weniger Geld für den täglichen Betrieb zur Verfügung. Präsident Michael Hüppi meinte vor kurzem, man habe sich geirrt, als man dachte, neue Stadien seien automatisch auch Geldmaschinen.

Das ist eine sehr interessante Aussage, sie überrascht mich aber nicht. Dasselbe habe ich von Xamax gehört. Aber ich kenne den Businessplan von St. Gallen nicht und kann das nicht beurteilen. Es kommt hauptsächlich auf das Verhältnis zwischen Stadioneigentümer und Klub an.

Hat man sich vielleicht an Modellen aus dem Ausland orientiert, die gar nicht auf die Schweiz übertragbar sind?

Das kann man so nicht sagen. Ich kenne das Beispiel YB aus meiner Zeit als Klubpräsident, und da ist die Konstellation sehr erfolgreich. Aber in Bern gehört der Klub dem Stadionbetreiber. Solange es YB gut geht, geht es auch dem Stade de Suisse gut.

Ist Bern das Erfolgsmodell? Klubs, die den Stadionbetreibern gehören und nicht umgekehrt?

Es ist wichtig, dass Klub und Stadion eine Einheit sind, die gemeinsam auf das gleiche Ziel hinarbeiten. Natürlich ist es fast immer so, dass die Klubs das Kostenrisiko tragen. Es hilft einem Klub enorm, wenn ein «starkes» Stadion hinter ihm steht.

Die Challenge League hatte letzte Saison zwei prominente Abgänge zu verkraften: La Chaux-de-Fonds und Concordia Basel mussten sich unter kuriosen Umständen aus dem Spielbetrieb zurückziehen. Ist die zweitoberste Spielklasse eine Pleiteliga?

Nüchtern betrachtet ist es doch so, dass in der Challenge League nur ungefähr vier Städte das finanzielle Potenzial und Umfeld haben, um längerfristig oben mitzuhalten. Bei den anderen hängt viel am Prinzip Hoffnung. Um sich längerfristig oben zu etablieren, braucht es mindestens das Vierfache eines Challenge-League-Budgets. Welche Region kann sich das schon leisten? Da sind mir Klubs wie etwa der FC Biel, die wissen, dass sie sich den Aufstieg in die Super League wirtschaftlich gar nicht leisten können, viel sympathischer. Das bringt dem Fussball mehr, als auf Teufel komm raus aufzusteigen und ein paar Jahre später einen finanziellen Scherbenhaufen zu hinterlassen.

Wie ist der Stand mit der Einführung der Zwölferliga?

Es gibt noch verschiedene Dinge zu klären: Ich habe bisher noch keinen überzeugenden Vorschlag für einen neuen Modus ohne Strich gehört – 33 Runden? 44 Runden? Das eine ist unpraktisch, das andere geht zeitlich nicht. Also bleibt eine Lösung mit Strich, wie es das früher gab, entweder innerhalb der Super League oder mit Auf-/Abstiegsrunde. Wenn Sie in die Archive gehen, dann können Sie sehen, dass die gleichen Argumente bei der Einführung und bei der Abschaffung des Strichs ins Feld geführt wurden – Attraktivität der Gegner, Spannung bis zum Schluss. Wer mir eine bessere Idee präsentiert, den lade ich zum Nachtessen in der Zürcher Kronenhalle ein.

Von Super League Klubs werden neue Stadien erwartet ...

Dies muss auch sein. Die Frage, die man sich jedoch stellen kann, ist, wie gross diese Stadien sein müssen. Wir wollen keine Situation, in der zum Schluss der Saison plötzlich der Sechstplatzierte aufsteigt, weil alle anderen sich das nicht leisten können.

Gibt es überhaupt genug Klubs für eine Topliga mit zwölf Klubs?

Die Generalversammlung war auf jeden Fall dieser Ansicht, sonst hätte sie kaum der Aufstockung zugestimmt.

Das klingt nicht, als ob Sie mit diesem Entscheid glücklich wären.

Mein Glück tut da nichts zur Sache. Für mich persönlich ist derzeit die Zehnerliga die optimale Lösung. Aber ich bin Profi: Ich habe als Präsident den Auftrag erhalten, zusammen mit dem Komitee einen Modus für eine Liga mit zwölf Klubs zu erarbeiten, und das werden wir auch tun.

Wann können wir mit der neuen Liga rechnen?

Der Auftrag der Generalversammlung lautete, die Liga «so rasch wie möglich» aufzustocken. Ideal wäre ein Wechsel auf 2012/13, weil dann die Fernsehverträge auslaufen. Auch weil zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich weitere Stadionprojekte umgesetzt sind. Die Entscheidung darüber liegt aber bei der Generalversammlung.

In den Medien äusserten Sie sich bisher vor allem zum Thema Sicherheit.

Mein Ziel ist es, dass jedes Mitglied der Gesellschaft, auch ein Familienvater mit seinen Kindern, im Stadion sein kann und ohne Schaden wieder nach Hause kommt.

Das ist derzeit nicht möglich?

Nein, ich glaube nicht. Leider. Die Fanströme bei den Hochrisikospielen sind nicht immer voraussehbar und somit kaum unter Kontrolle zu bringen, da kann immer etwas passieren.

Ein Familienvater kann nicht mit seinen Kindern ein Fussballspiel schauen gehen?

Doch, aber nicht mit hundertprozentiger Sicherheit bei Hochrisikospielen. Da kann niemand garantieren, dass nichts geschieht.

Ist das Ihr Ernst?

Ich habe noch die Bilder im Kopf von der Begegnung zwischen dem FC Zürich und dem FC Basel, da wurden Leuchtraketen in einen Sektor mit «normalen Fans» gefeuert. Ein einzelner Chaot, gedeckt von Dutzenden von Mitwissern! Und solche Chaoten, das kann einer unter 18 000 sein, machen das Spiel für die anderen kaputt.

Wer sind denn diese «Chaoten»?

Zum einen sind dies Menschen wie Sie und ich, nur haben sich diese in dem Moment nicht mehr unter Kontrolle. Wie beim Spiel FC Luzern gegen GC: Der Fan, der dem GC-Spieler Enzo Ruiz den Plastikbecher an den Kopf geworfen hat, das war kein notorischer Gewalttäter.

Also kann jeder zum «Chaot» werden. Absolute Sicherheit wird es nicht geben.

Nein. Die überwiegende Mehrheit der Matchbesucher ist friedlich, will einfach ein Fussballspiel besuchen und ihren Klub unterstützen. Es gibt aber auch eine verschwindend kleine Gruppe, welche nur Pyros zündet und auf Krawall aus ist. Wir leben jedoch in einer Gesellschaft mit hohem Gewaltpotenzial: Wenn Sie gegen Mitternacht in Zürich durch gewisse Strassen laufen, kann Ihnen auch etwas passieren. Wir müssen aufhören, so zu tun, als ob Gewalt nur im Umfeld von Sportstadien stattfinden würde.

Also ist doch alles im grünen Bereich?

Natürlich nicht. Noch nicht. Die Saison ging los mit Stadionsperren und Becherwürfen, marketingtechnisch war das eine Katastrophe. Und es scheint, als ob die Grenze des Erlaubten steigt, je näher man an ein Stadion kommt: Wenn ich betrunken und grölend durch den Hauptbahnhof Bern stolpere, dann werde ich normalerweise von der Bahnpolizei angehalten. Wenn ich das aber mit Klubschal um den Hals tue, dann lässt man mich gewähren? Das kann doch nicht sein!

Sie haben zu Ihrem Amtsantritt verkündet, dass bis Ende der Saison die Pyros aus den Stadien verschwunden seien. Wieso halten Sie Pyros für ein so grosses Problem?

Sie sind gesetzlich verboten. Solange das so ist, muss man darüber gar nicht diskutieren. Und sie sind gefährlich! Da können lebensgefährliche Verletzungen entstehen, von der Gefahr, wenn es in den Stadien brennt, ganz abgesehen. Es besteht eine Gefahr für Leib und Leben.

Aber die Repression ist gescheitert, das zeigen die Erfahrungen der vergangenen Jahre.

Welche Repression? Wo wurde einmal ein Pyro-zündender Fan aus der Kurve geholt und entsprechend hart bestraft? Solange es noch Leute gibt, die glauben, dass das zur Fankultur gehört – sei das in den Kurven, aber auch in den Klubs und bei den Spielern –, führen wir da allerdings einen schwierigen Kampf.

Gestern die Hooligans, heute die Pyromanen, und morgen? Sie haben vorhin selber gesagt, jeder könne einen Bierbecher werfen. Wer ist am Ende noch im Stadion?

Ich will niemanden ausgrenzen; aber sogenannte Fans, die Pyros abbrennen und sich vor den Stadien prügeln, schaden dem Fussball, und die wollen wir nicht. Und mir sind kreischende Kinder lieber als die üblichen Schlachtgesänge, welche meistens mit «Sch...» anfangen.

Mehr Familienväter, weniger Pyros?

Schauen Sie, ich will auch keine Verhältnisse wie in England, wo sich der normale Fan den Eintritt für die Spiele nicht mehr leisten kann. Aber ich will, dass die Fans wieder zur Vernunft kommen. Ich sehe mich nicht als Hardliner, wie ich derzeit gerne dargestellt werde. Ich will einfach, dass die Gesetze eingehalten und Fussballspiele wieder als friedliche Veranstaltungen wahrgenommen werden.


Ende Juni wurde Thomas Grimm zum Präsidenten der Swiss Football League, der Vereinigung der obersten zwei Schweizer Fussballligen, gewählt. Der fünfzigjährige Jurist arbeitete in den neunziger Jahren als Leiter des Rechtsdienstes des europäischen Fussballverbands Uefa, war Vizepräsident des Exekutivkomitees bei der Eishockey-Weltmeisterschaft 1998 in der Schweiz und von 2007 bis 2009 Präsident des BSC Young Boys Bern.