Kommentar: Neoliberale Kurpfuscher wüten weiter

Nr. 28 –

Fünf Gründe, warum den internationalen Ratingagenturen die Lizenz entzogen werden muss.


Die «neuen Meister des Kapitals»: So bezeichnete der britische Politökonom Timothy Sinclair die Ratingagenturen, die die international gehandelten Wertpapiere bewerten. Sie sind wie Zirkusdompteure: Vor den Augen der Weltöffentlichkeit lassen sie Regierungen souveräner Staaten nach ihrer Peitsche tanzen. Sie setzen deren Kreditwürdigkeit herunter. Die Zinsen steigen, die BürgerInnen zahlen. Und die Banken füllen sich die Taschen.

Letzten Monat hatte Brüssel mit den Regierungen der Eurozone und dem Internationalen Währungsfonds ein neues Hilfspaket für den Schuldenstaat Griechenland beschlossen. Die Banken versprachen, sich freiwillig daran zu beteiligen, von den GriechInnen wurde als Bedingung eine Senkung ihres Lebensstandards um rund ein Viertel erzwungen. Keine drei Tage später liess Standard & Poor, eine der drei grossen Ratingagenturen, verlauten, dass ein freiwilliger Forderungsverzicht der Banken so freiwillig gar nicht sei – und deshalb als Insolvenz Griechenlands gewertet werden müsse.

Kurz, Griechenland sei pleite und die internationale Anstrengung für die Katz. Diese Unverfrorenheit hat selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel aus der Fassung gebracht.

Die zweite grosse Ratingagentur, Moody’s, kam vor Wochenfrist wie in einer konzertierten Aktion aus der Deckung und wertete Portugal auf den Pleitestatus ab. Die dritte grosse Agentur des «Trio Infernale» («Der Spiegel»), Fitch, hatte bereits zuvor Portugals Kreditwürdigkeit auf fast null heruntergestuft.

So hatte sich das der neoliberale Vordenker Friedrich von Hayek schon vor mehr als einem halben Jahrhundert ausgedacht: Die Sachzwänge des Marktes seien gegen den Staat zu stählen, so der Ökonom. Besonders wirksam sind die Sachzwänge, wenn sich die Politik dazu verpflichtet, dem Urteil von Marktagenturen zu folgen. So akzeptiert die Europäische Zentralbank Anleihen eines Eurostaates als Sicherheit für die Auszahlung von Liquidität nur dann, wenn diese von einer Agentur positiv bewertet worden sind.

Die Politik unterwirft sich privaten Mächten. Und diese sind keineswegs neutral. Erstens wirtschaften die Ratingagenturen profitorientiert als kapitalistische Grossunternehmen. Und setzen damit Milliarden um. Allein das disqualifiziert sie als neutrale Richter. Zweitens arbeiten sie im Auftrag und auf Kosten der Banken, deren Papiere sie bewerten. Dieses anrüchige Insidergeschäft war mitverantwortlich für die Finanzkrise 2008. Die Ratingagenturen hatten Bestnoten an die windigsten und kompliziertesten Finanzprodukte erteilt, die sich bald als faul herausstellten. Die guten Ratings hatten überall in der Welt KäuferInnen dazu veranlasst, sich auf Märkten mit Papieren einzudecken, von deren Funktionsweise und Qualität sie keine Ahnung hatten. So sind die «Subprime»-Immobilien-Papiere aus den USA in die Tresore der sächsischen Landesbank gelangt.

Drittens sind die Kriterien und Verfahren, mit denen die Agenturen zu ihren Ratings gelangen, vollkommen intransparent. Die gerade erst mit dreifachem A geadelten, kunstvoll zusammengesetzten Finanzprodukte wurden im Verlauf der Finanzkrise auf Schrottstatus abgewertet. Die Agenturen schwammen mit dem Strom. Für die Weltwirtschaft war dieses prozyklische Verhalten fatal. Die Finanzkrise wurde damit noch zusätzlich verstärkt.

Allerdings hat das prozyklische Rating tatsächlich mit einem fundamentalen Problem zu tun: Die Kreditwürdigkeit einer Bank, eines privaten Unternehmens oder eines Staats hängt auch von Faktoren ab, die in der Zukunft liegen. Ob ein Kredit künftig ordentlich bedient werden kann, ist ungewiss, das Rating der Kreditwürdigkeit steht entsprechend auf wackeligen Füssen. Deshalb haben die wirren Änderungen des Ratings der Kreditnehmer einen tatsächlichen Grund, der die eklatanten Fehler und Manipulationen der Ratingagenturen entschuldigt.

Viertens sind Ratingagenturen mit dem internationalen Bankensystem verbandelt – und verhelfen diesem zusätzlich zu Profiten: Je schlechter das Rating, desto grösser das Risiko des Zahlungsausfalls. Somit kann der Risikoaufschlag auf den Zins und folglich die Rendite der Kreditgeber angehoben werden. Griechenland muss derzeit einen zweistelligen Zinssatz – rund zehn Prozent mehr als Deutschland – zahlen. Das ist die Garantie, dass ein hoch verschuldetes Land niemals aus den Schulden herauskommen kann. Die Staatspleite wird zum einzigen Ausweg.

Fünftens spielen die Ratingagenturen auch Geopolitik. Mit ihren Länderratings beeinflussen sie nicht nur den Wert der Staatsanleihen, sondern indirekt auch den Kurs der Währungen. Wenn der Euro schwächelt, erholt sich der US-Dollar. Und somit kann der Dollar weiterhin die Funktion als Währung spielen, in der die Ölrechnung bezahlt wird. Für die USA ist die Bezahlung in ihrer Währung zentral.

Die Ratingagenturen üben Funktionen eines Souveräns aus, ohne souverän zu sein. Sie gehören zur Gilde der neoliberalen Kurpfuscher. Ihnen muss die Lizenz entzogen werden.

Der Autor ist Ökonom und emeritierter Professor für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin.