Medientagebuch: Das gedämpfte Rauschen

Nr. 27 –

Lotta Suter über die Normalisierung der Ölkatastrophe in den US-Medien.


Du stehst mitten auf der Strasse. Das Auto rast auf dich zu, aber du kannst dich nicht bewegen ... An diesen Albtraum der Ohnmacht werden wir uns nie gewöhnen können. Mit der Realität von Autostrassen hingegen haben wir uns abgefunden. Wer nahe an einer viel befahrenen Strecke wohnt, nimmt den Lärm nach kurzer Zeit oft kaum mehr wahr. Er gehört wie andernorts ein Wasserfall oder die Meeresbrandung einfach zur örtlichen Geräuschkulisse. Das Rauschen der Pneus auf dem Asphalt ist zur zweiten Natur geworden.

Das ist nicht in jedem Fall eine schlechte Sache. Nur weil wir Menschen uns gut an veränderte Umweltbedingungen anpassen können, haben wir so lange überlebt. Und seit je haben uns die kulturellen Institutionen, heute vorab die Massenmedien, bei diesem Prozess unterstützt. Das Problem ist, dass die Medien nicht unterscheiden können oder wollen, was Albtraum ist, was Normalität.

Es entspricht den ungeschriebenen Abnutzungsgesetzen der Massenkommunikation, dass noch die grösste Krise oder die sensationellste Katastrophe innert kürzester Zeit wie von selbst alltäglich wird. In den USA haben wir das bei der Irak-Kriegsberichterstattung erlebt. Und nun spielt sich bei der BP-Ölkatastrophe etwas Ähnliches ab.

Die Medien versuchen dem Trend zur Schnelllebigkeit aus eigenem Interesse entgegenzusteuern. Zuerst versuchen sie es mit einer täglich gesteigerten Sensationalisierung. Im Irakkrieg stieg die Zahl der Soldaten, der Bomben sowie der Toten und Verletzten. Bei der BP-Katastrophe wurde anfänglich die Menge des ausgeflossenen Öls massiv unterschätzt und musste ständig nach oben korrigiert werden. Die RadiosprecherInnen waren hörbar erregt, wenn sie jeweils die neuesten Zahlen aus dem Golf von Mexiko bekannt gaben. Die Geschichte wurde ja immer besser!

Doch bald zeigten das Meer und das Bewusstsein des Publikums gleichermassen Anzeichen einer Ölsättigung. Nun verlegten sich die Medien auf mittelfristige Kommunikationsstrategien. Die «New York Times» (NYT) produzierte im Fall BP – wie vorher im Fall Irak – grosszügige Extraseiten. Paradoxerweise trug gerade das publizistische Spezialformat zur Normalisierung des Ausnahmezustandes bei: Die Katastrophe geschieht nun in einem redaktionell fest abgesteckten Rahmen und kann also gar nicht so unberechenbar sein. Insbesondere die NYT-Rubrik «Das Neueste von der Ölkatastrophe» schottet das Publikum besser vom BP-Albtraum ab, als viele der Ölsperren es für die betroffenen Fischer und Küstenbewohnerinnen tun. Wir MedienkonsumentInnen können nun die Krise so einfach erfassen wie die Wetterlage von Meteo.

Es gab natürlich auch journalistische Lichtblicke in der Berichterstattung über die Katastrophe. Da sind etwa die Berichte über die Zuger Firma Transocean, die ihren Sitz 1999 von Texas auf die Cayman Islands verlegte und 2008 von da in die Schweiz und so rund 1,8 Milliarden Dollar Steuern sparen konnte. Lobenswert auch die folgende Enthüllung: Nach dem Hurrikan Katrina verteilte der US-Katastrophenschutz Fema Wohnwagen an die obdachlos gewordene Bevölkerung. Fema musste die Trailer später zurücknehmen, weil sie mit Formaldehyd verseucht waren. Die giftigen Vehikel wurden aber nicht vernichtet, sondern von der US-Regierung zu «Nichtwohnzwecken» verkauft. Nun tauchen sie wieder in der Golfregion auf: als Notunterkünfte für die Putzmannschaft.

Von Anfang an hatte BP versucht, die Arbeit der Medienschaffenden zu behindern und zu steuern. Nun hat die US-Regierung neue Regeln aufgestellt, die den Zugang zum Katastrophengebiet für Reporter und Fotografinnen massgeblich einschränken. Wie schon im Irakkrieg und in New Orleans nach dem grossen Sturm will man im Ausnahmezustand offenbar keine unabhängigen BeobachterInnen. Dabei braucht es gerade dann Texte, die Namen nennen und Ansatzpunkte für politisches Handeln bieten. Jedenfalls dann, wenn wir vermeiden wollen, dass Kriege und Katastrophen entpolitisiert werden – zum gedämpften Rauschen einer zweiten Natur.

Lotta Suter schreibt für die WOZ aus Boston.