Nationalbank: Her mit den Milliarden!

Nr. 28 –

Gigantische Eurokäufe, Gratisgeld für die Grossbanken: Die Schweizerische Nationalbank sitzt auf enorm aufgeblähten Bilanzen mit unklaren Risiken. Schwächt das ihren Einfluss bei der Bankenregulierung?


Plötzlich hält man ihn für arrogant und seinen Kurs für ein Problem: Philipp Hildebrand, seit Anfang Jahr Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Denn obwohl die Nationalbank monatelang Milliarden von Euros kaufte, damit der Franken nicht zu stark wird, stürzt der Euro weiter ab. Und die Nationalbank verliert viel Geld.

Bislang sprach man von Hildebrand nur als Retter der UBS. Und als härtestem Kritiker der Grossbanken.

Rasend schnell war sein Aufstieg. Philipp Hildebrand, 46, amerikanische Frisur, eloquent, superreich, sportlich, international vernetzt wie kaum ein anderer Schweizer. 2007 wurde er, der seit 2003 im Direktorium der Nationalbank sass, als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des damaligen UBS-Chefs Marcel Ospel gehandelt. Doch bereits damals kritisierte Hildebrand die Grossbanken – ein Manager der Credit Suisse frotzelte in der «Bilanz», man halte sich in der Branche lieber an das bestehende Regelwerk Basel II (das für seine Laschheit bekannt war) als an «Hildebrand I». Dann, im Herbst 2008, schlug die Finanzkrise mit voller Wucht ein und schockierte gerade diejenigen am meisten, die es eigentlich besser hätten wissen sollen: den Finanzminister, die Banken, die Finanzmarktaufsicht Finma. Hildebrand wurde zur führenden Figur bei der Rettung der UBS. In Chaos, Panik und intellektuellem Vakuum stieg er zur einzigen kompetenten Figur auf dem Schweizer Finanzplatz auf.

Damit waren die Probleme aber noch längst nicht gelöst.

Seit Herbst 2008 ist die Nationalbank gezwungen, die Grossbanken gesund zu pflegen: Sie stabilisiert sie mit unvorstellbaren Mengen von Gratisgeld. Ende Juni rechnete die Nationalbank aus, dass UBS und CS noch immer über nur gut ein Prozent Eigenkapital verfügen. Und Kreditausstände von über sechzig Milliarden Franken gegenüber den verschuldeten Piigs-Staaten (Portugal, Italien, Irland, Griechenland, Spanien) haben. Sie brauchen also weiterhin dringend Geld, das sie auf dem traditionellen Weg des Interbankengeschäfts nicht genügend beschaffen können. Denn seit der Finanzkrise misstrauen sich die Banken gegenseitig, besonders stark wieder seit der Eurokrise. In der Schweiz ist eine Blockade bei den Grossbanken gefährlicher als in jedem anderen Land der Welt. Der Grund: Sie sind riesig. Noch heute, nach ihrer Schrumpfung, sind ihre Bilanzen viermal grösser als das Bruttoinlandsprodukt.

Nullzinsen und Milliardenkonten

Deshalb sorgt die Nationalbank für enorme Geldpolster durch Gratisgeld. Das funktioniert durch Repo-Geschäfte: Die Nationalbank kauft den Banken formal Wertpapiere ab, der Deal wird zu einem späteren Zeitpunkt automatisch rückgängig gemacht. Der entsprechende Repo-Zinssatz, den die Banken der Nationalbank zahlen müssen, liegt so gut wie bei null: bei gerade mal rund 0,03 Prozent (vor Ausbruch der Krise lag der Zins bei rund 2 Prozent). Zudem wurden die Laufzeiten massiv erhöht. Die Banken parkieren dieses Geld bei der Nationalbank auf ihren Girokonten – schlicht, um liquid zu bleiben. (Das heisst: Schweizer Firmen sehen von dem billigen Geld nichts: Es landet nicht im Wirtschaftskreislauf.) Seit März verdoppelte sich auf diesen Konten die Geldmenge – auf über hundert Milliarden Franken. (Der englische Ökonom William Petty sagte 1695: «Was tun, wenn wir zu wenig Geld haben? Wir müssen eine Bank gründen!»)

Das zweite Problem der Nationalbank ist der Euro: Die Krise in Europa liess den Euro prekär abrutschen, der Franken erstarkte massiv. Die Schweizer Exportwirtschaft produziert dadurch teurer: Ihr drohen grosse Einbrüche. Als der Euro im April unter die Marke von 1.43 Franken rutschte, kaufte die Nationalbank grosse Mengen von Euros. Hatte die SNB im Februar noch Devisenanlagen von 109 Milliarden Franken, waren es im Mai bereits 239 Milliarden (mindestens 150 Milliarden davon sind wohl Euros); ein in der über hundertjährigen Geschichte der Nationalbank noch nie erreichter Wert. Die Devisenreserven machen heute bereits drei Viertel des Gesamtvermögens der SNB aus. Eine teure Aktion, aber fast ohne Wirkung. Mitte Juni stoppte die Nationalbank die Stützungskäufe, weil sie den Kurszerfall des Euro nicht aufhalten konnten – momentan steht er bei rund 1.33 Franken.

Und die Nationalbank sitzt auf einer aufgeblähten Bilanz mit unklaren Risiken.

Die Nationalbank musste, um einer allfälligen Deflation vorzubeugen (eine ökonomische Abwärtsspirale mit sinkenden Preisen, Löhnen und Zinsen, die Kredite, Konsum und Investitionen abwürgt) auf diese beiden unkonventionellen Instrumente setzen, weil das klassische Instrument – billiges Geld durch Senkung der Zinsen – nicht mehr greift. Sie öffnete gleich nach Ausbruch der Krise alle Geldhähne, indem sie den Leitzins auf historische Tiefststände lenkte. Der Leitzins liegt momentan bei 0,1 Prozent; vor der Krise lag er bei 2,75 Prozent. Die Folgen der Geldschwemme und der Nullzinspolitik: Die Gefahr einer Inflation steigt. Und die Gefahr einer Immobilienblase ebenfalls. Soeben zog die Nationalbank die Notbremse: Sie stoppte die Eurokäufe. Und sie stellte die Repo-Geschäfte kurzfristig ein. Die Girokonten schrumpften innert weniger Wochen auf fast die Hälfte.

Zum Ärger der Banken

Philipp Hildebrand, der mächtigste Mann in der Nationalbank, rettet die Banken seit anderthalb Jahren. Das macht ihn gefährlich für sie. Denn Hildebrand will viel härtere Regulierungen. Und er hat zwei Trümpfe in der Hand:

Der erste Trumpf: Niemand sonst hat so viel Einsicht in die Bücher der Banken wie er. Zwar ist die Finanzmarktaufsicht Finma für die Kontrolle einzelner Banken zuständig und die Nationalbank für die Stabilität des Finanzsystems. Doch weil die Grossbanken systemrelevant sind, redet die Nationalbank bei UBS und CS mit. Das kürzlich überarbeitete Memorandum of Understanding mit der Finma, das die Zusammenarbeit regelt, weist dazu eine brisante Änderung auf: Neu kann die SNB «eigene Abklärungen bei systemrelevanten Banken vornehmen und diese Banken auffordern, Informationen zu liefern». So kann Hildebrand – sehr zum Ärger der Grossbank – etwa öffentlich nachrechnen, dass die UBS im Investmentbanking zwischen 2004 und 2009 einen Verlust von knapp 42 Milliarden Franken erlitt.

Der zweite Trumpf: Nach wie vor lagern UBS-Schrottpapiere im Wert von knapp siebzehn Milliarden Franken bei der Nationalbank. Die UBS wollte ihre toxischen Papiere zurückkaufen, um sich erfolgreicher gegen Regulierungen der SNB wehren zu können. Doch auf Drängen der Nationalbank wurde dies aufgeschoben und Stillschweigen vereinbart. Ein Druckmittel, das die Nationalbank teuer zu stehen kommen kann, falls der Schrott nicht an Wert gewinnt. Bilanz wird in einigen Jahren gezogen.

Die Intellektuellen der Branche

In ihrer 103-jährigen Geschichte wurde die Schweizerische Nationalbank teils heftig kritisiert: In den neunziger Jahren etwa hatte sie sich mit ihrem rechtsliberalen Kurs unbeliebt gemacht, weil sie aus Prinzip stur an einem teuren Frankenkurs festhielt, ohne die Konjunktur zu berücksichtigen. Die Folge: Die Rezession in der Schweiz dauerte zwei Jahre länger als in Europa, Zehntausende Jobs gingen verloren. Danach wurde gar eine Teilprivatisierung der Nationalbank diskutiert.

Heute kommt die Kritik vor allem von rechts: von den Bankenlobbyisten in Parlament und Presse. Sie greifen die Währungspolitik der SNB an. Die Nationalbank habe viel zu früh Euros gekauft, nun sei das Pulver verschossen. Dazu attackieren die Banken die Regulierungspläne (vgl. dazu «Wie stehts mit den Regulierungen?» am Ende dieses Texts). UBS und CS drohen bereits mit Wegzug und Jobabbau. «Es wäre falsch, die Vorschriften stets auf den Worst Case auszurichten, damit liesse sich keine Bank betreiben», sagte dazu UBS-Präsident Kaspar Villiger.

Philipp Hildebrand kennt die Finanzwelt gut. Der auf die EU spezialisierte Politologe hat sein Vermögen in den neunziger Jahren bei einem der weltweit profitabelsten Hedgefonds gemacht (einer der Hauptkunden war der damalige UBS-Chef Marcel Ospel). Dort lernte er als Analyst die Zentralbanken kennen: «Bevor wir in einen Markt einstiegen, nahmen wir jeweils die Nationalbank unter die Lupe. Die ganze Investitionsstrategie leitete sich daraus ab», sagte Hildebrand.

Doch Hildebrand hat nicht den Stallgeruch der Zürcher Bahnhofstrasse: Hedgefondsmanager gelten als die Grossverdiener und Intellektuellen der Bankenwelt. Ihr Job ist nicht – wie bei den Banken – das Finanzsystem, sondern die Lücken darin. Also riskante und hoch dotierte Wetten gegen die Trends der Märkte: bei Aktien, Währungen, Rohstoffen und so weiter.

Hildebrand als SNB-Direktor war eine Wahl, wie sie nur in Krisenzeiten vorkommt. Nie zuvor war der Chef so jung. Bislang waren ausschliesslich ältere Herren aufgrund von parteipolitischen und geografischen Kriterien gewählt worden, der Job wurde als Stelle auf Lebenszeit betrachtet. Hildebrand ist der erste Nationalbanker, der frontal gegen die Grossbanken losgeht. Und dabei die Öffentlichkeit als Verbündete sucht. Seine Vorgänger hatten mit der Bankiervereinigung und den Grossbanken jeweils Gentlemen’s Agreements ausgehandelt.

Wie gross also ist Hildebrands Macht? In der Währungs- und Geldpolitik riesig. Weder der Bundesrat noch das Parlament, auch nicht der Bankrat (das Aufsichtsgremium der Nationalbank) können darauf Einfluss nehmen, denn die Nationalbank ist im Gegensatz zu den meisten anderen Zentralbanken nicht staatlich. Wie gross allerdings die politische Macht ist, wird sich in den nächsten Monaten zeigen, wenn es darum geht, das Parlament zu gesetzlichen Regulierungen zu bewegen.

Multimillionär Hildebrand glaubt an den Markt. Auf die Frage nach den Lohnexzessen sagte er kürzlich, dass die Banken primär selber Lösungen finden müssten: «Sonst kommt der politische Eingriff. Wir sind in der Nationalbank übrigens stolz darauf, dass wir bisher nie versuchten, direkt in die Unternehmensführung einzugreifen. Wir haben auf das Verbieten von Produkten verzichtet.»

Es ist schon abenteuerlich, dass ein ehemaliger Hedgefondsmanager der mächtigste Verbündete der Linken ist.


Wie stehts mit den Regulierungen?

National: Die Expertenkommission des Bundesrates will das «Too big to fail»-Problem lösen durch Verschärfungen bezüglich Eigenmitteln, Liquidität und einer neuen Organisationsstruktur (bei Bankrott sollen nur der Zahlungsverkehr und das Kreditwesen gerettet werden müssen). Hildebrands Plan einer Grössenbeschränkung wurde fallen gelassen. Der Schlussbericht soll Ende August vorliegen. Wie scharf er wird, ist unklar. In der Kommission sitzen neben Nationalbank und Finma auch Economiesuisse und die Grossbanken. Offen ist auch der Zeitplan – allein die Ausarbeitung der Gesetze kann zwei Jahre dauern.

International: Einflussreich ist die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel. Sie erarbeitet momentan ein neues Regelwerk («Basel III») zu neuen Eigenmittelvorschriften. Ebenfalls mächtig ist das Financial Stability Board (FSB). Die Resultate sollen beim G20-Gipfel im November präsentiert werden. Hildebrand ist in beiden Gremien vertreten und damit eine der weltweit wichtigsten Stimmen bei Bankenregulierungen.

Hildebrand gehört zudem als einziger Schweizer zu der Group of Thirty, einem exklusiven Debattierklub. Mitglieder sind etwa Nobelpreisträger Paul Krugman oder US-Finanzminister Timothy Geithner (der Philipp Hildebrand «Phil» nennt, während Bundesrat Hans-Rudolf Merz Geithner nicht mal ans Telefon bekommt). Dieser Klub bereitete die Bankenregulierung von US-Präsident Barack Obama vor.