Durch den Monat mit Brigitte Kühni (2): Als Hausfrau bei der IV?

Nr. 32 –

Ein Gespräch mit Brigitte Kühni, die seit ihrer Geburt an einer Muskelerkrankung leidet.

Brigitte Kühni: «Das Gschtürm mit der IV scheint jetzt meine Lebensaufgabe zu sein.»

WOZ: Sie haben vier Pflegekinder grossgezogen. Wie ging das mit Ihrer Behinderung zusammen?
Brigitte Kühni: Ich war damals Ende zwanzig, ich konnte noch recht gut gehen. Die Kraft in Beinen und Armen hatte etwas nachgelassen, das war alles. Die Betreuung und Erziehung der Pflegekinder war aber anstrengend, daher habe ich meine Arbeit im Spital aufgegeben.

Wie beeinflusste der Krankheitsverlauf Ihren Alltag?
Damals wohnten wir im Haus unserer Schwiegereltern im zweiten Stock. Das Haus lag ausserhalb des Dorfes, oben auf einem Hügel. Das schränkte meine Kontakte merklich ein. Nur wer ein Auto hatte, konnte mich besuchen kommen. Für mich war vor allem die steile Treppe der Wohnung ein Problem. Mein Mann hat die Wohnung so hergerichtet und umgebaut, dass ich nicht mehr ständig Treppen steigen musste. Ein Problem war auch das Autofahren im Winter. Wäre ich von der Strasse abgekommen, hätte ich nicht mal Hilfe per Handy anfordern können, weil dort ein Funkloch ist.

Haben Sie Hilfe bei der Invalidenversicherung beantragt?
Das haben wir. Wir beantragten einen Treppenlift. Die Antwort war, dass ich kein Anrecht auf einen Treppenlift hätte, weil ich nicht ausser Haus arbeite, eine Hausfrau brauche das nicht.

Hat eine Hausfrau so wenig Stellenwert bei der IV?
Ich kenne den Stellenwert nicht genau – ich glaube, er ist deutlich unter null. Es ist wirklich so! Als Hausfrau bist du dort nichts wert.

Wurden Sie im Dorf diskriminiert?
Nein, nie. Die Leute bemerkten zwar mein Hinken, das immer ausgeprägter wurde, manche fragten mich danach. Aber es war nie mühsam mit den Menschen. Sie machten davon kein Aufheben. Ich hatte nie Probleme.

Und Ihre Pflegekinder?
Ich habe es ihnen erklärt, sobald sie es verstanden. Aber für sie war das ja Alltag, es war normal. Sie haben die schleichende Entwicklung meiner Behinderung hautnah miterlebt.

Sie haben seit 2001 eine IV-Rente. Weshalb so spät?
Solange ich ohne grosse Einschränkungen arbeiten konnte, benötigte ich keine Rente. Als ich vierzig war, schickte mich mein Hausarzt zur Abklärung ins Inselspital. Ich hatte damals vor allem Schmerzen in den Füssen. Die IV hatte mir zuvor Hilfsmittel finanziert, Stöcke und Spezialschuhe. Dann ging es kräftemässig merklich bergab, hinzu kamen Muskelschmerzen. Ich hatte einen heftigen Krankheitsschub. Schliesslich sprach mir die IV eine Dreiviertelrente zu.

Ihre Krankheit verschlimmert sich mit fortschreitendem Alter. Haben Sie jetzt eine Vollrente?
Schön wärs. Nein, ich habe bloss noch eine Viertelrente, das sind in meinem Fall nicht mal 300 Franken.

Wie das?
Ich habe etwa ein Jahr lang eine Dreiviertelrente erhalten. Als es mir wieder etwas besser ging, nahm ich eine Teilzeitstelle in einer Physiotherapiepraxis an, dreissig Prozent, knapp tausend Franken im Monat. Die IV strich postwendend meine Rente zusammen, ich hatte am Ende weniger Geld als vorher, wurde also finanziell dafür bestraft, dass ich arbeiten ging.

Haben Sie den Entscheid der IV akzeptiert?
Nein, ich kämpfe zusammen mit meinem Mann und einem Anwalt des Invalidenverbands Procap für eine halbe Rente. Das Gschtürm mit der IV scheint jetzt meine Lebensaufgabe zu sein. Wir haben gegen den von der IV behaupteten Grad meiner Arbeitsfähigkeit geklagt und gegen die massive Her­abstufung der Rente. In beiden Fällen haben wir vor dem kantonalen Verwaltungsgericht Recht bekommen. Die IV muss auch rückwirkend bezahlen.

Dann erhalten Sie ja jetzt eine höhere Rente.
Der Entscheid fiel im April, bis jetzt habe ich noch keinen Rappen gesehen. Meiner Ansicht nach hat das bei der IV System. Sie zermürben die Menschen, bis sie genervt den Bettel hinschmeissen. Ich hätte vielleicht auch schon aufgegeben, wären da nicht die Unterstützung des Procap-Anwalts und die meines Mannes. Inzwischen bin ich derart beeinträchtigt, dass ich das Geld von der IV für die Bezahlung meiner Helferinnen und Helfer benötige. Wenn ich ausgehe, muss ich vorher abklären, auf welche Hindernisse ich da stossen könnte. Muss ich eine Treppe hoch, benötige ich Hilfe. Auch für den grossen Putz habe ich eine Hilfe, die ich bezahle. Eine Spitex könnte ich mir ohnehin nie leisten.

Brigitte Kühni (51) leidet seit ihrer Geburt an einer Muskelerkrankung. Zusammen mit ihrem Mann, einem Schreiner, hat sie vier Pflegekinder grossgezogen. Mittlerweile ist die gelernte Krankenschwester aus Langnau im Emmental auf einen Rollstuhl angewiesen.