Ernst-Busch-Biografie: Flotte Magazinsprüche

Nr. 34 –

Jochen Voit hat die Lebensgeschichte des grossen Arbeitersängers und Schauspielers mit viel Fleiss recherchiert – doch leider ohne leidenschaftliche Anteilnahme.


Verdienstvoll ist auf alle Fälle der Fleiss, mit dem der Publizist Jochen Voit die Lebensgeschichte des legendären deutschen Arbeitersängers und Schauspielers Ernst Busch (1900–1980) über alle Etappen und Stationen recherchiert hat.

Von der Mühe, die er sich dabei gemacht hat, schwindelt einen beim Lesen, und das ist nicht ironisch, sondern anerkennend gemeint: Noch die Fussnoten, die einen beträchtlichen Teil der Biografie ausmachen, stecken voller wissenswerter Details aus achtzig Lebensjahren, die sich zwischen Buschs proletarischer Kindheit in Kiel und seinem feierlich-bürokratischen Begräbnis in Ostberlin entfalten: die Zusammenarbeit mit Erwin Piscator, Bertolt Brecht und Hanns Eisler, Auftritte und Plattenaufnahmen im sowjetischen Exil und während des Spanischen Bürgerkriegs, die Gefangenschaft in französischen Lagern und in einem nazideutschen Zuchthaus sowie das ebenso privilegierte wie randständige Dasein in der DDR.

Ernst Busch ist also nicht nur deshalb aus seiner Zeit heraus zu begreifen, weil er den politischen Künstler schlechthin verkörpert, sondern weil sein Schicksal das vieler anderer Menschen berührt und gekreuzt hat, die in den grossen Kämpfen des 20. Jahrhunderts auf grässliche Art umgekommen sind oder wie er mit Glück und Zähigkeit überlebt haben.

Unterschwelliger Totengesang

Hunderte Personen, Affären, Verbrechen, die schwer darstellbar sind, wenn sie sich mit aberhundert weiteren verzahnen, dazu die Erfordernis, rasch wechselnde und in der Überlieferung widersprüchliche Gegebenheiten zu referieren, ohne dabei den Protagonisten aus den Augen zu verlieren: Das gelingt dem Autor, der acht Jahre alt war, als Busch starb, und in sehr unterschiedlichen kulturellen Verhältnissen aufgewachsen ist, durchaus; trotzdem liest man die Biografie mit wachsender Verdrossenheit. Einmal, weil Voit die Differenz zwischen dem Rollenbild des Künstlers und seinem zunehmend unleidlichen Charakter in den Jahren nach 1945 zu einem unterschwelligen Totengesang auf die Ideale erweitert, die Busch vertreten hat. Mangelnde Bescheidenheit, aufbrausendes Naturell verwandelt sich in der biografischen Darstellung in ein schweres moralisches Vergehen, der Glaube an den Kommunismus in Mitschuld.

Die Frage, ob Busch nicht auch durch Verfolgung, Ohnmacht und Entsetzen so schwierig geworden ist, stellt sich nicht. Keine Nachsicht auch gegenüber Haltlosigkeit durch Altern und Krankheit. Andererseits bedient Voit sich immer wieder eines vertraulichen Tonfalls, in dem Buschs Angehörige und FreundInnen bei ihren Kosenamen Uli, Koni oder Tete genannt werden, übernimmt schnoddrige Formulierungen seines Protagonisten und fällt in eine personale Erzählsituation, um eine Intimität zu behaupten, die authentisch und damit glaubhaft wirken soll. Aber sie ist konstruiert.

Wozu dann die Mühe?

Dazu entbehrt der Autor zweier Eigenschaften, die zum Schreiben unerlässlich sind: der leidenschaftlichen Anteilnahme, die nicht ohne Mitleid, Trauer, Empörung auskommt, und der Demut, bei der Beurteilung geschichtlicher Prozesse die Verständnismöglichkeiten von damals in Betracht zu ziehen. Von Anfang an gibt er zu verstehen, dass er mit dem «Barrikadentauber», der in der Sowjetunion zum Symbol des guten Deutschen geworden war, wenig am Hut hat. Schlimmer noch: dass er Buschs Kunst, seiner Haltung, seinem Ziel grössere Bedeutung für die Gegenwart abspricht. Wozu hat er sich dann so viel Mühe gemacht? Um, gegen sich selbst, den Beweis anzutreten, dass es doch besser gewesen wäre, den Mann dort zu belassen, wo er umständehalber gelandet ist: in der Mottenkiste der realsozialistischen Nostalgie?

Enttäuschend ist die Biografie auch wegen ihrer Sprache: Voit findet keinen Stil, sondern eine Schreibe. Er hält sich, was ihm nahegehen könnte, mit flotten, trostfreien, manchmal boshaften Magazinsätzen vom Leib, die einem das unbehagliche Gefühl geben, ein paar Tage mit einem immens materialreichen und doch verkehrten Buch zugebracht zu haben, das der Verfasser mit dem Stossseufzer des Lesers enden lässt: «Mein Gott.»

Jochen Volt: Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch. Die Biographie. Aufbau Verlag. Berlin 2010. 515 Seiten. Fr. 37.90