Europas Finanzkrise: Im Finanzsturm fliegt der Rettungsschirm davon

Nr. 48 –

Mit ihren Sparrezepten wird die Europäische Union ihren angeschlagenen Mitgliedsstaaten nicht aus der Patsche helfen. Im Gegenteil.

«Die Europäer müssen Gott dankbar sein, denn er gab ihnen die Iren.» Mit diesem Satz verblüffte 2007 – wenige Monate vor Ausbruch der weltweiten Finanzkrise – ein hoher deutscher Banker in einer Rede seine ZuhörerInnen. Irland zeige, wie man Gottes Wort im Sinne der Bankenwelt befolge. Der Staat drückte die Staatsquote – also die öffentlichen Ausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – in kürzester Zeit von über sechzig Prozent auf weniger als vierzig Prozent. Irland sei auch ein Beispiel dafür, wie man die Arbeitskosten senken und den Gewerkschaften das Leben so schwer machen könne, dass der Organisationsgrad von fast 50 Prozent vor dem EU-Beitritt Irlands im Jahr 1973 auf gegenwärtig 35 Prozent zurückgegangen sei. Ausserdem zeige das Land, wie man exzellente Standortbedingungen für Banken, Fonds und andere Unternehmen des Finanzsektors schaffe, nämlich mit minimalen Steuern und geringer staatlicher Einflussnahme.

Tatsächlich: Mit einer Unternehmenssteuer von nur 12,5 Prozent auf den Gewinn lockte Irland laut der staatlichen Entwicklungsagentur gegen tausend Firmen auf die Insel, darunter Konzerne wie Siemens, Pfizer, Merck und IBM. Das hat das Land in den «keltischen Tiger» verwandelt, in ein Sprungbrett der multinationalen Konzerne für die europäischen Märkte. Dies wurde zusätzlich dadurch begünstigt, dass in Irland alle die globale Sprache Englisch sprechen. Diesen Standortvorteil haben weder Serbien noch Montenegro, weder Bosnien-Herzegowina noch Bulgarien, obwohl sie mit Steuersätzen werben, die Irland noch unterbieten.

Vor Ausbruch der Finanzkrise waren das Kredit-, das Versicherungs- und das Immobiliengewerbe mit zusammen rund 26 Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) die wichtigsten irischen Wirtschaftssektoren. Viele europäische Finanzunternehmen installierten in den vergangenen Jahren Ableger in Irland. So befanden sich 2007 unter den 35 grössten Banken Irlands insgesamt 15 Niederlassungen deutscher Banken, darunter die Hypo-Real-Estate-Tochter Depfa, die von Irland aus jene Spekulationsgeschäfte steuerte, die Deutschlands SteuerzahlerInnen später 140 Milliarden Euro kosten sollten.

Das aus aller Welt nach Irland geschleuste Geld wurde auch lokal investiert, speziell in Immobilien. Das nützte zunächst dem Baugewerbe, dessen Beitrag zum BIP auf knapp zehn Prozent stieg. Was für die EuropäerInnen ein Geschenk Gottes, war für die IrInnen zuerst auch ein Geschenk, ein «gift», aber letztlich eines im Sinne der deutschen Bedeutung des Wortes.

Gottesgeschenk und Teufelskreis

Wie die Subprime-Blase in den USA endete auch in Irland der Immobilienboom abrupt. Das hatte nicht nur einen Absturz der Bauindustrie zur Folge. Viele Bankinstitute drohten unter den Abschreibungsverlusten fauler Kredite zusammenzubrechen. Die konservativ-grüne irische Koalitionsregierung unter Brian Cowen sozialisierte die privaten Schulden prompt und rettete die Banken. Doch die irischen Staatsschulden schossen deswegen von 25,1 Prozent des BIP im Vorkrisenjahr 2007 auf 76,7 Prozent im Jahr 2010 nach oben. Die irischen Staatsausgaben beliefen sich letztes Jahr bereits auf 12,2 Prozent des gesamten BIP. Dieses Jahr werden sie annähernd 30 Prozent betragen.

Das «Gottesgeschenk» hat einen Teufelskreis ausgelöst. Gegen die massiv ansteigenden Staatsschulden zur Finanzierung der Rettungsaktionen hat die irische Regierung wie zuvor schon in Griechenland und Spanien eine Austerity-Politik (siehe Factbox im Anschluss an diesen Text) eingeleitet. Mit als Folge dieser Politik schrumpfte das BIP im Jahr 2009 um 7,1 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist inzwischen auf über 13 Prozent angestiegen.

Die vorläufige Rettung seiner privaten Banken kam das Land teuer zu stehen. Denn trotz des sozialen Kahlschlags gelang es der Regierung nicht, die Schuldenlast zu reduzieren. Deshalb muss Irland nun auch die Hilfe der EU und des Internationalen Währungsfonds beanspruchen. Für viele EU-Staaten geht es bei dieser Rettungsaktion darum, ihre eigenen Banken zu retten. So schulden irische Banken, die Regierung und viele Private den deutschen Banken 139 Milliarden Euro und den britischen Banken 149 Milliarden. Das ist wesentlich mehr als die griechischen Schulden, die vor Monaten viel Nervosität, aber auch Häme ausgelöst hatten.

So wie Griechenland 110 Milliarden Euro erhalten hat, so werden jetzt für Irland 85 Milliarden Euro bereitgestellt. Insgesamt verfügt die EU über einen sogenannten Rettungsschirm von 750 Milliarden Euro. Da ist also noch einiges übrig, könnte man meinen.

Doch das täuscht. Nach Angaben der Deutschen Bundesbank könnten, wenn als nächstes Spanien und Portugal in Zahlungsschwierigkeiten geraten, bis zu tausend Milliarden Euro notwendig werden. Die Kapitalmärkte bleiben entsprechend nervös. Gerät auch noch Italien in die Bredouille, kämen weitere 700 Milliarden dazu. Der Rettungsschirm würde im Finanzsturm davonfliegen. Weil sich die Ratingagenturen und Banken dieser Gefahr bewusst sind, bleiben die Risikoprämien für diese Länder entsprechend hoch. Der Schutzschirm, der zum Absinken dieser Prämien hätte beitragen sollen, kann so die beabsichtigte Wirkung nicht erfüllen. Kein Wunder titelt die «Frankfurter Allgemeine Zeitung»: «Banken stabiler trotz Schuldenkrise». Die Prämien werden nämlich von den kreditgebenden Banken einbehalten und privatisiert, während das Risiko letztlich die Allgemeinheit trägt.

Die IrInnen haben am Wochenende mit einer Grossdemonstration in Dublin gezeigt, dass sie den aufgezwungenen «Konsens» nicht ohne weiteres akzeptieren wollen. Wie zuvor in Griechenland, Spanien und Portugal gehen die Menschen zu Zehntausenden auf die Strasse und zeigen ihren Unmut. Viele IrInnen kehren zudem zu einer langen Tradition zurück: Ist Krise, so zieht man von der Insel fort.

Hieroglyphen von einst

Die Finanzkrise, die zunächst wenig betuchte HypothekenschuldnerInnen in den USA noch ärmer machte, ist zur Staatsschuldenkrise in Europa geworden. Um ihre Banken zu retten, die sich mit den Hypotheken verspekulierten, sind viele Staaten jetzt immens verschuldet. Die von der EU in den Maastricht-Kriterien postulierten Vorgaben für den Staatshaushalt erscheinen heute wie Hieroglyphen aus einer vergangenen Welt. Wer redet noch von drei Prozent Höchstdefizit, wenn dieses wie in Irland das Zehnfache beträgt, und wer hält noch einen Schuldenstand von sechzig Prozent für realistisch, wenn der Euro-Durchschnitt im Jahr 2010 bei etwa achtzig Prozent liegt?

Nun zeigt sich, dass eine Finanzkrise nicht mit Geld allein zu beheben ist. Wenn die Politik sich von den Finanzmärkten treiben lässt, wird das europäische Integrationsprojekt unweigerlich scheitern. Die Währungsunion wird auseinanderfallen – und dann bleibt vom europäischen Wirtschaftsraum nicht viel übrig. Die Berlusconis und Merkels haben nicht die Stärke, sich mit mächtigen Bankern anzulegen. Genau das aber wäre nötig, um die Währungsunion als Kern der politischen Integration zu stabilisieren.

Es ist ausgeschlossen, dass die europäischen Schuldnerländer mit ihrer Austerity-Politik die Schulden abzutragen vermögen. Vor allem nicht, wenn gleichzeitig alle anderen EU-Länder dasselbe tun. Damit wird nur das Wirtschaftswachstum abgewürgt. Stattdessen müssen etwa in Deutschland, der Exportmaschine der EU, die Löhne dringend steigen. Das würde die Kaufkraft erhöhen und hätte positiven Einfluss auf die Importe aus anderen EU-Staaten. Ausserdem müsste Ländern wie Irland und Griechenland ein grosser Teil der Schulden erlassen werden. Die KreditgeberInnen hätten auf viele ihrer Forderungen zu verzichten. Nur so ist der selbstzerstörerischen Kraft dieser Verschuldungsspirale beizukommen.

Austerity

Seit den achtziger Jahren wird vom Internationalen Währungsfonds, privaten Gläubigerbanken und den Industrieländern eine Austerity-Politik als Lösung für Schuldenkrisen propagiert. Damit wurden in den letzten Jahrzehnten vor allem Länder der Dritten Welt genötigt, ihre Staatsausgaben zu drosseln, Staatsbetriebe zu privatisieren und die Handelspolitik zu liberalisieren.

Seit 1990 wird diese Politik auch «Konsens von Washington» genannt. Im Endeffekt läuft der Konsens auf ein brutales Programm der Umverteilung hinaus: Von den Beschäftigten zu den KapitalbesitzerInnen, vom öffentlichen Sektor zum privaten, von den SchuldnerInnen zu den KreditgeberInnen.