Konflikt um den Iran: Die kommende Eskalation

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Noch nie schien die Lage so ernst. Die Führung in Teheran demonstriert mit Raketentests und einem zehntägigen Militärmanöver ihre Stärke und droht mit der Schliessung der Meeresstrasse von Hormus, sollten die USA und andere westliche Staaten wegen Teherans Atomprogramm Sanktionen gegen iranische Ölexporte verhängen. Die USA und ihre Verbündeten in der EU reagieren mit unverhüllten Kriegsdrohungen. Washington liefert Waffen im Wert von dreissig Milliarden US-Dollar an Saudi-Arabien, den wichtigsten regionalen Gegenspieler des Iran.

Seit die Sowjetunion Ende Dezember 1979 mit der Invasion in Afghanistan eine schwere Krise zwischen Nato und Warschauer Pakt sowie weltweit Kriegsängste auslöste, verliefen die Tage um die Jahreswende nie mehr so spannungsvoll. Aber droht tatsächlich ein neuer Krieg am Persischen Golf? Ein Krieg, der wohl verheerendere und globalere Auswirkungen hätte als alle Konflikte, die seit dem ersten israelisch-arabischen Waffengang von 1947/48 in der nahöstlichen Krisenregion stattgefunden haben?

Ein nüchterner Blick auf die Fakten sowie auf die schwierige Situation, in der sich die beiden Hauptkontrahenten befinden, spricht dagegen – zumindest kurzfristig. Weder die USA noch der Iran haben Interesse an einem heissen Krieg. Washington hat im Iran-Nachbarland Irak gerade den längsten und teuersten Krieg seiner Geschichte beendet – ein Krieg, der entgegen aller anderslautenden Propaganda auch des US-Präsidenten Barack Obama keineswegs siegreich war. In Afghanistan steht der führenden Militärweltmacht ein noch grösseres Desaster als im Irak bevor. Beide Kriege sind wesentlich mitverantwortlich für die schwerste Wirtschaftskrise seit über siebzig Jahren, die das Land derzeit erlebt.

Der Iran ist – trotz der in den letzten Tagen demonstrierten militärischen Stärke – den USA weiterhin hoffnungslos unterlegen. Ein seitens der USA mit Luft- und Seestreitkräften geführter Krieg gegen den Iran würde wohl zu einer weitreichenden Zerstörung auch der zivilen Infrastruktur des Landes führen. Das könnte eine Revolte gegen das Regime auslösen. All dessen ist sich die Führung in Teheran bewusst.

Die von den USA am 31. Dezember verhängten Sanktionen richten sich nicht gegen iranische Ölexporte, sondern lediglich gegen die Zentralbank. Und diese Sanktionen treten erst Anfang Juli in Kraft. Es bleibt also genug Zeit für eine Deeskalation. Dazu wird es allerdings nur kommen, wenn sich die USA und das EU-Trio Frankreich, Britannien und Deutschland endlich bereit erklären, mit der iranischen Führung auf Augenhöhe zu verhandeln.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es im neuen Jahr zu einer solchen Deeskalation kommt, ist allerdings leider sehr gering. Dagegen sprechen die innenpolitischen Entwicklungen in den involvierten Ländern. In den USA profilieren sich die republikanischen BewerberInnen für die Präsidentschaftswahlen von Anfang November mit immer lauteren Forderungen nach Sanktionen gegen iranische Ölexporte (vgl. Seite 11). Und sogar nach einem Krieg gegen Teheran. Der Iran könnte das aussenpolitische republikanische Propagandathema werden, um Obama als Weichei, Feigling und Verräter US-amerikanischer Sicherheitsinteressen hinzustellen. Auch in Teheran finden diesen Sommer Präsidentschaftswahlen statt. Alle bislang bekannten Bewerber um die Nachfolge von Mahmud Ahmadinedschad, der selber nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, profilieren sich, was das Atomprogramm und die USA betrifft, als Hardliner.

In Frankreich will Präsident Nicolas Sarkozy eine zweite Amtszeit gewinnen. Und wie skrupellos er aussenpolitische Konflikte für seine Wiederwahl zu instrumentalisieren weiss, hat er bereits mit dem Krieg gegen Libyen demonstriert. Die Regierungen in Britannien und Deutschland schliesslich zeigen ebenfalls keinerlei Interesse, sich für eine Deeskalation einzusetzen. All diese Interessenlagen und politischen Entwicklungen erhöhen das Risiko, dass es im Verlauf des Jahres zu einer kriegerischen Eskalation am Persischen Golf kommt.