Der spanische Richter Baltasar Garzón – ein Kommentar: Die Schattenseite des «Weltgewissens»

Nr. 7 –

Baltasar Garzón, der international gefeierte spanische Richter, wird seinen Beruf nie wieder ausüben dürfen. Aber kämpfte er wirklich immer gegen Menschenrechtsverletzungen?

«Nicht alle Angeklagten sind gleich.» Als Gabriela Bravo vergangene Woche diese Aussage machte, meinte sie nicht den angeklagten Richter Baltasar Garzón. Die Vorsitzende der Vorschlagskommission zur Besetzung des obersten Gerichts Spaniens meinte Iñaki Urdangarín, den Schwiegersohn von König Juan Carlos. Er steht im Verdacht, Steuergelder in Millionenhöhe veruntreut zu haben – darf sich aber auf eine bevorzugte Behandlung freuen.

Dass nicht alle Angeklagten gleich sind, erfuhr letzte Woche auch José Castro Aragón, der Untersuchungsrichter im Fall Urdangarín: Die Disziplinarkommission der spanischen Justiz hat ein Verfahren wegen mangelnder Sorgfaltspflicht gegen ihn eröffnet, weil Informationen zum Fall an die Presse durchgesickert waren. Das ist in Spanien bisher noch keinem Richter passiert.

Vor allem Garzón aber erfährt derzeit, dass in Spanien nicht alle Angeklagten gleich sind. Seit der Richter 1998 einen internationalen Haftbefehl gegen Augusto Pinochet ausstellte und den chilenischen Diktator in England festsetzen liess, ist er international bekannt. Garzón leitete ein Verfahren gegen Regierungsmitglieder der argentinischen Militärjunta ein, ermittelte gegen die Verantwortlichen für das US-Folterlager Guantánamo, zerschlug Drogenkartelle und deckte den schmutzigen Krieg der spanischen Regierung gegen die baskische Untergrundorganisation Eta auf, bei dem in den achtziger Jahren staatlich bezahlte Killerkommandos mindestens 23 meist unschuldige Menschen getötet hatten.

Internationale Menschenrechtsorganisationen halten Garzón deswegen für den «mutigsten Richter» Europas, wenn nicht gar der Welt. Doch in letzter Zeit sass dieses «Weltgewissen» gleich dreimal auf der Anklagebank. Im ersten Prozess, der vergangene Woche endete und auf dessen Urteil ganz Spanien wartet, wurde Garzón Rechtsbeugung vorgeworfen, weil er 2008 Verbrechen gegen die Menschlichkeit während der Franco-Diktatur untersucht hatte. Zwischen 1939 und 1975 ermordeten FranquistInnen mehr als 150 000 Oppositionelle und verscharrten sie in geheimen Massengräbern. Garzón stellte seine Untersuchungen zwar nach vier Wochen auf Anweisung der Staatsanwaltschaft wieder ein, trotzdem liess der Oberste Gerichtshof die Klage zweier faschistischer Vereinigungen zu, die vor formellen Fehlern nur so strotzte: Garzón habe seine Befugnisse überschritten und das 1977 verabschiedete Amnestiegesetz missachtet.

Der zweite Prozess ist bereits abgeschlossen: Vergangenen Donnerstag befand der Oberste Gerichtshof Garzón der Rechtsbeugung für schuldig und bestrafte ihn mit einem elfjährigen Berufsverbot. Im bislang grössten Schmiergeldprozess Spaniens hatte er Gespräche von Häftlingen mit ihren Anwälten abhören lassen. Das ist ein in Spanien nicht unübliches Vorgehen, zu dem Garzón bei seinen Ermittlungen gegen mutmassliche Eta-Mitglieder auch gerne griff. Aber hier wurden nicht vermeintliche TerroristInnen belauscht, sondern reiche Unternehmer und Politiker der rechtskonservativen Volkspartei PP, die jetzt Spanien regiert.

Das dritte Verfahren hat der Oberste Gerichtshof am Montag wegen Verjährung eingestellt. Garzón habe 2005, so der Vorwurf, 1,2 Millionen Euro Spendengelder entgegengenommen (darunter auch von Spaniens grösster Bank, Santander) und dafür später ein Verfahren gegen Santander-Chef Emilio Botín eingestellt.

All diesen Verfahren liegen wohl eher politische Motive zugrunde. Garzón hat sich mit den Mächtigen des Landes angelegt – und gegen sie verloren. Aber auch persönliche Gründe mögen eine Rolle gespielt haben: Der selbstbewusste Richter hat seine KollegInnen schon lange gestört.

Doch ist Garzón tatsächlich der Held, zu dem ihn viele Linke nun hochstilisieren? Immerhin war er 22 Jahre lang Richter der Audiencia Nacional, des auf Terrorismus spezialisierten Nationalen Gerichtshofs. Nach dem Motto «Alles Baskische ist Eta» schloss er zwei baskische Zeitungen und einen Radiosender. Er verbot Parteien, soziale Organisationen und kulturelle Stiftungen. Er liess viele Hundert BaskInnen festnehmen, in Isolationshaft stecken – und ignorierte stets alle Hinweise auf Folter. Viele der von ihm Verfolgten wurden später freigesprochen.

Garzóns Verurteilung sei eine schlechte Nachricht für alle DemokratInnen, sagt etwa die spanische Partei Vereinte Linke. Im Baskenland sieht man das anders. Man könne ja die Empörung verstehen, schrieb jetzt die baskische Tageszeitung «Gara». «Aber jene, die immer wegschauten, wenn es um Folter in spanischen Gefängnissen ging und die nie die Rechtmässigkeit des Nationalen Gerichtshofs anzweifelten, sollten besser den Mund halten.»

Mit Garzón wird die spanische Elite nun einen los, der die franquistische Vergangenheit und die Korruption der nachfranquistischen PP untersuchen wollte. Wichtiger ist aber das Signal, das jetzt ausgesandt wird: Auch 37 Jahre nach Francos Tod ist eine Aufarbeitung der franquistischen Verbrechen in Spanien nicht möglich. So gesehen ist die Gerechtigkeit erneut der spanischen Justiz zum Opfer gefallen. Garzón hingegen ist Opfer eines Systems, das er mitaufbaute und verteidigte.