Antifaschismus vor Gericht: Bitte nur mit Bewilligung

Nr. 12 –

Der Prozess gegen einen Antifaschisten in Rheineck zeigte, wie die Meinungsfreiheit auf der Strasse eingeschränkt wird: in den Argumenten, aber auch in der Atmosphäre.

«Überall hat es Polizei! Was ist nur los?», fragt eine Bewohnerin im Ostschweizer Städtchen Rheineck. Am Bahnhof stehen Polizisten, an einem Tordurchgang, vor dem mittelalterlichen Rathaus. Dort findet an diesem Montagmorgen der Prozess gegen einen Antifaschisten statt. Er soll gegen einen Aufmarsch der rechtsextremen Europäischen Aktion in Diepoldsau protestiert haben. Gemäss Strafbefehl hat er dabei an einer illegalen Demonstration teilgenommen und Hausfriedensbruch begangen (siehe WOZ Nr. 11/12 ).

Vor dem Rathaus versammeln sich dreissig SympathisantInnen. Auf einem Transparent steht: «Bullenstress? Nicht mit Glatze!» Der Revolutionäre Aufbau verteilt Flugblätter. Der Angeklagte steht exemplarisch für weitere 43 junge Leute, die von der St. Galler Staatsanwaltschaft verzeigt wurden, aber ihre Einsprache zurückzogen.

«Nicht akzeptiert!»

Der Gerichtssaal im Rathaus ist bis auf den letzten Platz besetzt. Auch Eltern sind gekommen. Zahlreiche Interessierte werden abgewiesen. Der Angeklagte, 26 Jahre alt, macht zu Beginn keine Aussagen.

Der Staatsanwalt schreitet zu einer Demonstration: Auf einem Tisch hat er Feuerwerkskörper ausgebreitet, Pfeffersprays und Unterziehwesten, die bei den AktivistInnen in Diepoldsau gefunden wurden. «Es ist nachvollziehbar, dass man sich gegen Faschismus äussert», sagt der Staatsanwalt. Doch die Regeln seien einzuhalten und eine Bewilligung einzuholen. «Vielleicht haben wir hier etwas ländliche Verhältnisse. Aber ich weiss nicht, was diese Gegenstände zur freien Meinungsäusserung beitragen.»

Der Staatsanwalt zieht einen Vergleich: Die Busse von 1000 Franken sei gleich hoch wie die für betrunkenes Autofahren. Zudem hätten die anderen Angeklagten ihre Einsprache zurückgezogen und die Verurteilung akzeptiert. «Nicht akzeptiert!», ruft eine Frau aus dem Publikum. Der Einzelrichter bittet um Ruhe im Saal.

Der Verteidiger argumentiert, sein Mandant sei zwar auf einem Werksgelände festgenommen worden. Nur bedeute das nicht, dass er vorher an einer Demonstration teilgenommen habe. «Dafür gibt es schlicht und einfach keinen Beweis.» Dass er auf der Flucht über einen Zaun geklettert und dabei Hausfriedensbruch begangen habe, sei auch nicht bewiesen. «Er könnte als Spaziergänger auf dem Areal gewesen sein.»

Strafbefehle im Schnellverfahren

Der Angeklagte wendet sich in seinem Schlusswort ans Publikum: «Liebe Freundinnen, liebe Genossen …» Der Richter bittet ihn, nach vorne zu sprechen. «Man verkennt die Dimension: Die Neonazis, die sich getroffen haben, leugnen den Holocaust», führt der junge Mann aus. An der SVP sehe man, dass der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft angekommen sei. Der Richter unterbricht ihn, er möge bitte abkürzen. Der Richter, ein CVP-Mann, wurde bei seiner Wahl von der SVP unterstützt. «Kämpfen wir für eine klassenlose Gesellschaft!», schliesst der Angeklagte. Applaus im Gerichtssaal: «Alerta, Alerta, Antifascista!» Das Urteil wird Ende März verkündet.

Draussen vor dem Rathaus meint der Anwalt: «Es ist bedenklich, wie derzeit Strafbefehle im Schnellverfahren verteilt werden. Wer sich wehren will, muss einen langen und teuren Prozess in Kauf nehmen.» Anfang dieses Jahres sprach das Bezirksgericht Zürich mangels Beweisen zwei junge Männer frei, die angeblich an einem Krawall am Central beziehungsweise an Ausschreitungen vor einem Fussballspiel teilgenommen haben.

Es war ein regnerischer Montag in Rheineck, es waren zu sehen: Ein Staatsanwalt, für den es das Gleiche ist, wenn man sich gegen Rassismus wehrt oder betrunken Auto fährt. Ein Richter, der keine Wertungen mag und nun den Mut haben müsste, eine Untersuchung als mangelhaft zu qualifizieren. Junge AktivistInnen, die spüren, was vor sich geht – und etwas gefangen wirken in ihren Formeln und Parolen. Und vor allem: unheimlich viel Polizei.

Als sich der Angeklagte und die SympathisantInnen auf den Heimweg machen, werden sie am Bahnhof von privaten Sicherheitsleuten bewacht. Als sie in den Zug steigen, warten darin zwei Bahnpolizisten. Als der Zug Rheineck verlässt, wird noch ein Zivilpolizist sichtbar: Er hält sich hinter einem Billettautomaten versteckt.