Peter Zumthor und Peter Conradin Zumthor: Die Schönheit ist ein wildes Tier

Nr. 50 –

  • «Natürlich gibt es den direkten Zusammenhang zwischen Musik und dem architektonischen Raum», meint Peter Zumthor (links) zu seinem Sohn Peter Conradin Zumthor.
  • Peter Zumthor: «Ich musste mich dann entscheiden: Jazz oder Kunstgewerbeschule.»
  • Studio Zumthor, Haldenstein GR, 1986 gebaut
  • Peter und Peter Conradin Zumthor im Büro Zumthor, Haldenstein GR

Ein Gespräch in Haldenstein mit dem Architekten Peter Zumthor und seinem Sohn, dem Schlagzeuger Peter Conradin Zumthor, über Musik und Architektur, Raumklang und Klangräume sowie die Wiederkehr des Schönen.

WOZ: Peter Zumthor, in einem Ihrer Bücher schreiben Sie: «Ich liebe Musik!» Woher kommt diese Leidenschaft?

Peter Zumthor (PZ): Als Kind habe ich meine Mutter beim Arbeiten oft singen gehört – Schlager, Operettenmelodien, populäre klassische Lieder, die auch im Radio beim Wunschkonzert immer wieder gespielt wurden. Die Musik in der katholischen Kirche hat mich berührt: das akustische Erlebnis des Klangs in einem grossen Raum! Auch die Tanzmusik, die damals bei den Dorffesten von der Kapelle gespielt wurde, hat mich auf eine Weise bewegt. Plötzlich begannen die Eltern zu tanzen, und wir Kinder waren für eine Weile vergessen. Schöne Musik, unverhoffte Freiheiten, eine erste Ahnung von Erotik.

Wann haben Sie begonnen, selbst Musik zu machen?

PZ: Als ich etwa sechzehn war, beschlossen wir an einem langweiligen Sonntag, eine Band zu gründen. Aber nur zwei von uns spielten ein Instrument – Klarinette und Banjo. Wir haben uns in der Schreinerwerkstatt meines Vaters getroffen und versucht, Jazz zu spielen. Mein Freund hat auf umgedrehten Heizkesseln getrommelt und sich dann später ein Schlagzeug gekauft. Ich spielte damals in einer katholischen Jugendorganisation Clairon – eine Art Trompete ohne Ventile. Deshalb war es für mich naheliegend, für unsere Band das Trompetenspiel zu lernen. In der Rheingasse in Basel habe ich mir eine billige Trompete gekauft. Es war schwierig, diesem Ding einen schönen Ton zu entlocken. Vielleicht lag es daran, dass ich ohne Unterricht einfach zu spielen versuchte, auf jeden Fall habe ich mich bei einem Fest in der Turnhalle so richtig blamiert. Ich hatte das Stück «When the Saints Go Marching In» auswendig gelernt und hatte so viel geübt, vermutlich mit einer falschen Ansatztechnik, dass meine Lippen am Konzert geschwollen waren und ich keinen einzigen Ton aus der Trompete brachte. Nach diesem Erlebnis habe ich mich dem Kontrabass zugewandt. Zuerst aus pragmatischen Gründen, weil wir einen Bass brauchten, später mehr und mehr mit Leidenschaft. Noch heute liebe ich den Moment, wenn bei einem Jazzensemble endlich der Bass seinen ersten tiefen Ton setzt. Und es ging weiter mit der Musik: Meine erste Freundin hat gut Geige gespielt. Ihr Vater war Arzt und Geiger im Basler Kammerorchester. Durch sie und ihn habe ich die klassische Musik entdeckt, die späten Beethoven-Quartette, Strawinsky, Brahms …

Wann erwachte Ihr Interesse am modernen Jazz?

PZ: Dixieland habe ich nur eine Saison lang gemacht, dann war ich damit durch. Wir hörten Schallplatten von Miles Davis, und da wurden andere Töne angeschlagen. Zum Schlüsselerlebnis wurde ein Unifest in Basel an einem Samstagabend, wo auf einer improvisierten Bühne am Strassenrand eine Band mit Isla Eckinger an der Posaune eine Musik spielte, die ich kurz zuvor zum ersten Mal auf Schallplatte gehört hatte: Bebop. Ich bekam den Mund nicht mehr zu. Ich konnte es nicht fassen, dass eine Band in Basel so eine Musik machen konnte. Von da an haben wir ebenfalls versucht, modernen Jazz zu spielen, und haben die Stücke auf unseren Schallplatten nachgespielt. Unsere Band durfte beim Schweizer Amateur-Jazzfestival in Zürich auftreten. Eine Jury bewertete unsere Darbietung in der Kategorie «Moderner Jazz» mit dem fünften Rang. Da war ich neunzehn.

Haben Sie jemals mit dem Gedanken gespielt, Profimusiker zu werden?

PZ: Es gab solche Überlegungen. Ich nahm an der Musikschule in Basel Unterricht, lernte klassischen Kontrabass mit Bogen und Notenlesen bei Angelo Viale. Ich musste mich dann entscheiden: Jazz oder Kunstgewerbeschule. Das Leben eines Jazzmusikers war mir zu mühsam: Mit diesem grossen Bass dauernd in der Schweiz herumreisen. Strapazen ohne Ende. Drei Stunden auf dem Bahnhof in Bern auf die Kollegen warten, die dann kommen oder auch nicht. Damals galt der Jazz noch als Aussenseitermusik. Die «Jazzbrüder» hat man uns genannt. Und dann landete ich mit dem Kontrabass am Samstagmorgen um fünf Uhr früh irgendwo in Solothurn Ost in der Wohnung einer Freundin eines Kollegen, die ein Klavier besass und viel Bier, und mich beschlich das Gefühl: Das kann es nicht sein!

Peter Conradin Zumthor, welchen Stellenwert hatte Musik im Hause Zumthor?

Peter Conradin Zumthor (PCZ): Musik gab es viel: Schallplatten vor allem, aber meine Eltern haben auch daheim musiziert mit den Nachbarn: klassische Musik, Barockmusik. Mein Vater hat in dieser Hausmusikgruppe Flöte und Oboe gespielt – nicht Kontrabass. Zum Einschlafen gab es jeden Abend klassische Musik von Schallplatten – die Schlafzimmertür wurde offen gelassen. Jazz gab es auch – «Kind of Blue» von Miles Davis konnte ich auswendig, bevor ich zehn war. Meine Anfänge im praktischen Musizieren waren ziemlich verkorkst, als ich im Kindergarten mit Geige anfing. Die Geigenlehrerin war extrem streng und fordernd. Für mich eine Art Hexe. Ich hatte Angst, habe gezittert, bevor noch der erste Ton erklang. Traumatisch! Ich habe dann aufgehört. Erst mit Hip-Hop fand ich zum Musikmachen zurück. Ich wollte Schlagzeug spielen, aber nicht mehr an einer Musikschule. Meine Mutter hat mir dann fünf Unterrichtsstunden Schlagzeug in einer alternativen Musikschule geschenkt. Ich war panisch, habe mich aber breitschlagen lassen. Ein Typ mit langen Haaren begrüsste mich: «Tschau – ich bin der Berti!» Das war so cool, mein Trauma war wie weggeblasen. Ich war richtig glücklich und konnte nicht genug bekommen vom Schlagzeug – war versessen darauf.

Herr Zumthor, konnten Sie mit Hip-Hop etwas anfangen?

PZ: Klar, ich habe ihm sogar die ersten Hip-Hop-Platten aus Los Angeles mitgebracht. Hip-Hop war eine starke Musik, ich spürte die Rebellion der Schwarzen im Ghetto von Los Angeles. Generell bin ich offen für viele Arten von Musik. Ich mag Bob Dylan und die Beatles. Ich habe Blues gehört. Seit langem interessiere ich mich für zeitgenössische Musik. Am Anfang stand hier die Zweite Wiener Schule, Schönberg, Webern, Berg. Auf die Kammermusik dieser Gruppe komme ich immer wieder zurück. Später interessierten mich unter vielen anderen John Cage, Luciano Berio, Iannis Xenakis oder vor ein paar Jahren Rebecca Saunders und Brian Ferneyhough. Diese Komponisten haben mir geholfen, Musik jenseits von Melodie und figürlicher Darstellung zu hören, so wie ich dreissig Jahre früher schon abstrakte Malerei zu verstehen gelernt hatte. Später habe ich erlebt, wie Peter Conradin stehend in seinem Zimmer meine alten Jazzplatten durchgehört hat. Ein Album vom Clifford Brown Quintet lief zwei Wochen lang – immer wieder und wieder. Und er stand einfach da und hörte. Mir kam es vor, als habe er einen Faden wieder aufgenommen. Das freute mich.

Kinder distanzieren sich normalerweise von der Musik der Eltern. Wie fanden Sie Zugang zu den Jazzplatten Ihres Vaters?

PCZ: Die waren einfach da. Ich hatte dann irgendwann einen eigenen Plattenspieler und habe einfach nach Namen geschaut, die cool klangen, oder auf Platten mit interessanten Covers. Ich hab die Scheiben auf gut Glück aufgelegt und war manchmal positiv überrascht, manchmal auch nicht. Ursprünglich kam das Interesse an Jazz aus dem Hip-Hop. Die Gruppe The Roots hat Hip-Hop live gespielt mit Kontrabass und echtem Schlagzeug – das fand ich toll. Dazu kamen Entdeckungen wie das Album «Free Jazz» von Ornette Coleman mit dem abstrakten Gemälde auf dem Cover. Das habe ich mir angehört und dachte: «Was ist denn das?» Das war ein Schlüsselerlebnis, auch Eric Dolphy.

Peter Zumthor, haben Sie Ihren Sohn auf bestimmte Platten aufmerksam gemacht? Hör doch mal das!

PZ: Nein, das ist nicht meine Art. Es war eher umgekehrt: Ich habe von ihm profitiert, indem er Musik angeschleppt hat, die ich nicht kannte. Etwa Musik von Felix Profos, an der mir die hochkomplexe Einfachheit gefällt und die eigenartige Melancholie. Ich liebe Musik und bin glücklich, wenn ich neue Dinge höre, die mich anregen, in meiner Arbeit Neues zu versuchen.

Peter Zumthor, inspiriert Musik Ihre Architektur?

PZ: In einem übertragenen Sinne, ja. Wenn ich höre, wie zeitgenössische Komponisten mit dem musikalischen Material arbeiten, wie Klangflächen gesetzt und Atmosphären aufgebaut werden. Das ist nicht Architektur, aber die Kompositionsprinzipien sind verwandt. Da geht es um Strukturen, Farben, Flächen, Folgen und Rhythmen, den grossen Bogen, das Detail. Da spüre ich Verwandtschaften zur Architektur.

Peter Conradin Zumthor, sind Sie als Musiker von Architektur, vom architektonischen Denken Ihres Vaters beeinflusst?

PCZ: Das ist schwierig zu sagen, weil es viele Einflüsse gibt. Aber vielleicht üben die Eltern doch einen stärkeren Einfluss aus. Doch einen direkt übertragbaren Einfluss von Architektur auf meine Musik gibt es nicht. Dafür sind die beiden Künste zu verschieden.

PZ: Natürlich gibt es den direkten Zusammenhang zwischen der Musik und dem architektonischen Raum. Der Raum bringt Musik zum Klingen, gibt ihr einen Rahmen, eine Ausdehnung. Das machen die Landschaft, das Tal, das Dorf, die Kirche, das Haus und die Stube. Architektur kann eine akustische Atmosphäre schaffen, die ganz spezifisch ist. Die Bandbreite reicht von direktem Schall und Transparenz bis hin zum grossen, symphonischen Klang.

Ich bin im Moment dabei, ein Auditorium für Manfred Eicher und die Musiker seiner Firma ECM zu planen. Dafür haben wir uns mit dem Direktklang beschäftigt, der in den USA in den vierziger Jahren, beeinflusst von der Klangästhetik der Schallplattenaufnahme für die Gestaltung von Konzertsälen, in Mode kam. Der Klang trifft dabei direkt aufs Ohr. Räumlichkeit und Nachhall werden unterdrückt. Meines Erachtens ist der ECM-Sound von Eicher charakterisiert durch eine schöne Räumlichkeit im Hintergrund und direkten Klang im Vordergrund, sehr nah und intim, ohne dass diese beiden Dinge vermischt würden. Diesem ECM-Klang ist noch nie mit einem Konzertsaal entsprochen worden. Viel Direktheit und Transparenz vorne und ein schönes Mass an Räumlichkeit dahinter – das sind die Qualitäten, die wir uns für das ECM-Auditorium wünschen.

Ist die Akustik eines Raums genau planbar?

PZ: Die Akustik eines Raums ist eine Wissenschaft und eine Kunst. Dennoch kann man das alles nicht immer voraussagen, man kann sich wissenschaftlich annähern. Es gibt Nachhallzeiten, die man berechnen kann, auch, wie die erste, zweite und dritte Reflexion aufs Ohr trifft. Man weiss, wie man tiefe, mittlere oder hohe Töne absorbiert oder reflektiert. Aber schlussendlich braucht es eine gehörige Portion Intuition, ein Gefühl für den Raum, wie er wohl klingt, wenn er angeregt wird.

Gibt es einen idealen Konzertraum?

PZ: Meine Philosophie ist, dass die besten Räume eigentlich diejenigen sind, die einen eigenen Charakter besitzen, die also nicht alles können. Der akustische Raum im Kultur- und Kongresszentrum Luzern – das ist nicht mein Fall. Der kann alles, und alles ist so gut. Aber irgendwie spüre ich keinen Charakter. Ich habe lieber etwas Spezifisches. Einen Raum, der einfach sagt: «Ich bin so! Ich bin lang, dünn und schmal und habe viele Obertöne.»

Peter Conradin Zumthor, als Musiker kann man sich die Auftrittsorte nicht aussuchen. Welchen Stellenwert hat der Raum bei Konzerten?

PCZ: Der Raum spielt in vielerlei Hinsicht eine enorme Rolle. Man wird gebucht und kommt dann irgendwo hin, und meistens ist der Raum nicht gerade inspirierend. Wenn die Akustik schlecht ist, muss man schwer arbeiten und hat kein gutes Gefühl auf der Bühne. Ein guter Raum kann die Spiellaune heben. Man passt seine Musik dem Raum an. In Räumen mit sehr viel Hall spielt man vielleicht eher Stücke, bei denen weniger passiert. Man spielt möglicherweise etwas langsamer, ein bisschen leiser. Man versucht, die tieferen Frequenzen zu vermeiden, die leicht wummern. Ich habe mit dem Schlagzeuger Lucas Niggli ein Album in der Therme in Vals eingespielt zwischen Stein und Wasser. Das war eine bewusste Entscheidung wegen der Akustik. Einen fast ebenso grossen Einfluss wie die Akustik hat die Atmosphäre eines Raums. Das Licht spielt eine Rolle. Wenn die Atmosphäre steif oder ungemütlich ist, kommt die Stimmung schwerer auf. Dann macht es weniger Spass – beim Spielen wie beim Zuhören.

Sie arbeiten beide mit einer modernen Formensprache. Welche Rolle spielt die Tradition?

PZ: Als Entwerfer bin ich im Geist der Klassischen Moderne erzogen worden: Bauhaus, Sachlichkeit. Man stand auf Kriegsfuss mit der Tradition und der Architekturgeschichte. Man hat Architekturgeschichte nur gelernt, um sie ja nicht anzuwenden. Man meinte, das Rad neu erfinden zu müssen. Das grösste Kompliment für einen Entwurf war damals: «Er ist innovativ!» Auch wenn man ihn nicht gebrauchen konnte. Dann kam die Postmoderne als formaler Stil: Man konnte jetzt wieder alte Dinge kopieren. Ich fand das nie so richtig lustig.

Grossen Einfluss auf die Wiedereinführung der Geschichte in der Architektur, nicht als Stil, sondern als biografisches Gefühl für die Landschaften, Städte und Häuser der eigenen Herkunft und Kultur, hatten die Bücher des italienischen Architekten Aldo Rossi. Das war für mich in den siebziger Jahren eine grossartige Bereicherung und hat mich gelehrt, die Geschichte nicht mehr als etwas Überwundenes zu sehen, sondern als Herkunft und Grundlage meiner Arbeit. Heute, gut dreissig Jahre später, spüre ich mehr und mehr, dass das alles, was mich umgibt – Häuser, Städte, Dinge, auch die Musik – von Menschen geschaffen wurde, die ich nicht kenne und von denen die meisten nicht mehr leben. Die Welt, in der ich lebe, kommt mir vor wie eine riesige Vergangenheit. Ich bin ein winziger Teil einer grossen Geschichte, aus der alles Neue entsteht. Von daher stellt sich mir die Frage der Modernität oder des Progressivseins nicht mehr. Manchmal erfordern die Umstände neue Antworten. Aber wenn die alten Antworten die besseren sind, dann nehme ich sofort die alten.

Der Jazz hat seit den sechziger Jahren eine ähnliche Entwicklung durchlaufen. Vom radikalen Bruch mit der Tradition im Free Jazz zur Polystilistik der Gegenwart. Wie verhalten Sie sich als junger Musiker dazu?

PCZ: Generell habe ich grossen Respekt vor jeder Tradition, ob in der Musik oder in anderen Künsten, was nicht heisst, dass ich mich laufend damit auseinandersetze. Mein Interesse vagabundiert. Zuerst habe ich mich für Jazz interessiert, dann für die europäische freie Improvisation, danach kam die Neue Musik, die klassische Musik – es interessieren mich alle Arten von Musik. Selbst im Heavy-Metal-Genre gibt es grossartige Sachen. Wenn ich selbst Musik mache, achte ich darauf, was sich gut anfühlt für die Aufgabe, den Ort oder die beteiligten Musiker. Wesentlich ist, das Gefühl zu haben, dass meine Musik nicht aufgesetzt wirkt, sondern dass ich das bin. Und ob das dann nahe an einer Tradition ist oder ganz weit weg, spielt keine Rolle.

Als ich neunzehn Jahre alt war, habe ich im letzten Trio von Werner Lüdi gespielt, dem grossen Schweizer Saxofonisten. Wir haben extremen Free Jazz gespielt, extremer ging es nicht mehr. Wir haben versucht, diese total freie Musik noch mit Elektronik und Verstärkung zu steigern. Doch irgendwie war ein Grenzpunkt erreicht, eine Sackgasse, wo es nicht weiterging. Dann ging eine neue Suche los. Und diese Suche dauert wahrscheinlich ein Leben lang. Heute tut mir eine gewisse Bescheidenheit in der eigenen Musik gut, auch Einfachheit und Klarheit.

Im Duo mit der Pianistin Vera Kappeler gelingt uns das nicht schlecht. Dieses Duo macht mir deshalb grosse Freude. Doch sonst gelingt es mir nicht immer. Darum habe ich auch schon wiederholt den Komponisten Felix Profos gebeten, Musik für meine Projekte zu schreiben. Er hat eine unglaubliche Klarheit und auch Einfachheit in seiner Musik. Auch wenn sie dann oft sehr schwer zu spielen ist. Mir als vornehmlich improvisierendem Musiker tut es sehr gut, ausgeschriebene Musik zu spielen. Es eröffnet mir neue Sichtweisen, gibt mir direkten Einblick in das Denken des Komponisten. Beim Improvisieren ist das «richtig» oder «falsch» oft schwer zu definieren. Bei Kompositionen gibt es keine Gnade. Das tut gut. Und auch als Interpret versuche ich möglichst bei folgendem Grundsatz zu bleiben: Lieber eine falsche Note richtig spielen als ein richtige falsch.

Das habe ich durch das jahrelange Hören unzähliger Aufnahmen von Swjatoslaw Richter gelernt. Ich schätze das Risiko als musikalische Energie.

Schönheit war in den sechziger Jahren und danach verpönt. Kommt sie heute zu neuen Ehren?

PCZ: Schönheit ist, wenn eine Musik oder ein Kunstwerk berührt. Was das ist und warum das so ist, ist zum Glück bei allen Menschen verschieden. Schönheit findet sich in vielerlei Gestalt, in ganz einfachen Dingen, aber auch in hochkomplexen Sachen. Was man als schön empfindet, hängt von vielem ab. Nur schon wie es einem gerade geht, in welchem Lebensabschnitt man sich gerade befindet, kann einen Einfluss haben. Viele Dinge finde ich zeitlos schön. Anderes, was ich vor fünfzehn Jahren sehr gemocht habe, finde ich heute nicht mehr so toll. Ich denke, man kann den eigenen «Schönheitshorizont» erweitern. Man kann dazulernen und neue Schönheiten für sich entdecken. Ich glaube, die Schönheit kam immer zu ihren Ehren. Vielleicht ändert sich in den jeweiligen Epochen lediglich die Definition, was Schönheit ist, was Schönheit ausmacht. Mit einer «alten» Schönheit wird gebrochen, eine neue Schönheit wird propagiert. Und wenn man nicht in Ideologien gefangen ist, kann man die Schönheit überall finden.

Können Kunstwerke, Musik oder Architektur zu schön sein?

PZ: Zu schön, um wahr zu sein? Das Schönheitserlebnis ist ein Gefühl, das jeder kennt. Es ist ein positives Gefühl, das im Gegensatz zu Zorn, Hass oder Neid steht und eigentlich nicht gross genug sein kann. Diese Empfindung lässt viel zu und hat nichts mit Egoismus oder Feindschaft zu tun. Man könnte meinen, es wäre ein individuelles Gefühl, doch gibt es viele Situationen, in denen man ein Schönheitserlebnis mit anderen teilt. Das heisst wohl, dass wir in der gleichen Kultur ähnlich auf Schönheit reagieren.

PCZ: Schönheit erfordert, dass man offen dafür ist. Im radikalen Jazz – und nicht nur da – waren Melodien, Dur-Akkorde und einfache Harmonien lange Zeit verboten, und viele Leute haben deswegen bis heute Ressentiments.

PZ: Das ist dann reine Ideologie. Ideologie verfolgt eine Idee, ein Konzept, eine Theorie. Dagegen ist Schönheit ein wildes Tier und passt nicht unbedingt in eine katholische, nationale, kommunistische oder progressive Philosophie. Schönheit kommt aus der Tiefe.

Die Zumthors

Der 1943 in Basel geborene Peter Zumthor absolvierte im väterlichen Betrieb eine Lehre als Möbelschreiner, darauf folgten Studienjahre als Innenarchitekt und Designer. Nach einem Architekturstudium in New York arbeitete er während zehn Jahren als Denkmalpfleger im Kanton Graubünden. Seit 1979 ist er als selbstständiger Architekt in Chur und später in Haldenstein tätig. Zu seinen wichtigsten Bauten gehören die Therme Vals (1997), das Kunsthaus Bregenz (1997) und der Schweizer Pavillon an der Expo 2000 in Hannover. 2009 wurde Peter Zumthor mit dem Pritzker-Preis, dem wichtigsten Architekturpreis der Gegenwart, ausgezeichnet.

Der 1979 in Chur geborene Peter Conradin Zumthor spielte als Neunzehnjähriger Schlagzeug im Trio des Saxofonisten und WOZ-Kolumnisten Werner Lüdi (1936–2000). Seit einigen Jahren ist er regelmässig in Projekten des Schlagzeugers Lucas Niggli sowie mit der Pianistin Vera Kappeler zu hören.