Rohstoffplatz Schweiz: «Dieses Geschäftsmodell an sich ist der Skandal»

Nr. 12 –

Mitte April findet in Lausanne der wichtigste Rohstoffgipfel weltweit statt, in Zürich zusätzlich ein Goldforum. Um die Treffen gibt es kritische Veranstaltungen, aus denen eine soziale Bewegung entstehen könnte.

«Once upon a time», wirbt das Fünfsternehotel Beau Rivage Palace in Lausanne. Es war einmal, als Schriftsteller Victor Hugo, Modedesignerin Coco Chanel oder Antiapartheidkämpfer Nelson Mandela am Genfersee logierten. Am 15. April wird, auf Einladung der Wirtschaftszeitung «Financial Times», eine illustre Gästeschar aus der Gegenwart erwartet: VertreterInnen von Öl-, Gas- und Minengesellschaften, von Handelsfirmen und Investmentbanken versammeln sich zum zweiten Mal zum wichtigsten Treffen der Rohstoffbranche weltweit, zum FT Global Commodities Summit. Die Zimmer im «Beau Rivage» sind ausgebucht.

Eine Gala der Sponsoren

«Dass der Anlass am Genfersee stattfindet, unterstreicht die Bedeutung der Schweiz als Rohstoffhandelsplatz», sagt Oliver Classen von der Erklärung von Bern. Mit ihrem Handbuch «Rohstoff» hat die entwicklungspolitische Organisation vor zwei Jahren eine pionierhafte Recherche zur verschwiegenen Branche geleistet. Am jährlichen globalen Umsatz mit Rohstoffen von 3000 Milliarden Franken haben die in der Schweiz tätigen Unternehmen demnach einen Anteil von 15 bis 25 Prozent. «Die Breite der Teilnehmer am Gipfel macht klar, dass sich die Rohstoffbranche selbst als solche versteht», sagt Classen weiter. Die in der Schweiz ansässigen Handelsfirmen versuchten stattdessen immer wieder, Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverschmutzungen in den Förderländern damit herunterzuspielen, dass sie ja nur saubere Händler seien.

Der dreitägige Rohstoffgipfel dient, das zeigt die Sponsorenliste, der Selbstbestätigung der Branche. Zu den Sponsoren zählen Ölhandelsriesen wie Mercuria, Vitol oder Trafigura, alle mit operativen Zentren in Genf, aber auch Banken wie HSBC oder Pictet. Für das Dinner kommt der Privatjetvermieter Netjets auf, für den Lunch der Steuerberater KPMG. Vor allem aber treffen sich die Firmen, um aktuelle Branchentrends zu diskutieren. Greg Pace, Chef des US-Agrarmultis Cargill, wird zum Auftakt eine Marktanalyse präsentieren. Cargill hat nach dem Zweiten Weltkrieg, mithilfe einer Steuererleichterung, mit der Eröffnung der Europaniederlassung in Genf den hiesigen Rohstoffcluster mitbegründet.

Auf dem Programm stehen anschliessend die Finanzierung und die Regulierung der Rohstoffgeschäfte. In den USA wurde kürzlich mit dem Dodd–Frank Act ein Gesetz erlassen, nach dem Unternehmen ihre Zahlungen an die Regierungen der Förderländer offenlegen müssen. Die Information über die Kosten der Abbaulizenzen ist für lokale KritikerInnen wichtig im Kampf gegen Korruption. Die EU will mit einer ähnlichen Regulierung nachziehen.

Die Erklärung von Bern wird am Gipfel in Lausanne teilnehmen. «Für uns bietet sich eine wichtige Gelegenheit, bei Marktentscheidern für mehr Transparenz zu lobbyieren», sagt Classen. Im Sinn einer Arbeitsteilung begrüsse er es, wenn auch Druck von der Strasse komme. «Der Rohstoffgipfel könnte zu einem Kristallisationspunkt für die Kritik werden.» Dadurch, dass es sich um ein Branchentreffen handle und nicht wie beim Wef in Davos um einen Vermittlungsversuch zwischen Politik und Wirtschaft, falle «der ganze Verschwörungskram» weg. «Der Skandal ist hier also nicht die Legitimität der Veranstaltung, sondern das Geschäftsmodell der Rohstoffbranche an sich ist für viele empörend.»

Nachdem der erste Rohstoffgipfel weitgehend unbemerkt stattfand, wird es in diesem Jahr Proteste geben: Am Samstag, 13. April, findet im Quartierzentrum Sous Gare in Lausanne ein Gegenforum statt, am Montag darauf folgt zum Gipfelauftakt eine Demonstration, die vor das «Beau Rivage» führt. «Wenn an einem Montag tausend Personen kommen, wäre das ein grosser Erfolg», sagt Rémy Gyger, der als Sekretär von Attac Schweiz die Kundgebung mitorganisiert. Die Rohstoffunternehmen würden auch in der Westschweiz vermehrt zum Thema. «Die rechtlose Zone, in der die multinationalen Unternehmen tätig sind, muss von einer breiten Öffentlichkeit diskutiert werden.»

Einen Anstoss für die Proteste gab die diesjährige Tour de Lorraine in Bern, die sich den «Drecksgeschäften» widmete. Yvonne Zimmermann von der NGO Solifonds leitete dort einen Workshop zum Arbeitskampf indischer LeiharbeiterInnen gegen den Zementriesen Holcim. «Wir müssen darauf hinarbeiten, dass eine Bewegung entsteht», sagt sie. «Dabei geht es um die Verbindung der verschiedenen Widerstände im Süden und im Norden. Es ist ein gemeinsamer Kampf gegen die Macht der Konzerne.» Am Gegenforum in Lausanne werden ein kanadischer Aktivist, ein kolumbianischer Kleinschürfer und ein kongolesischer Bauer von ihren lokalen Auseinandersetzungen mit den Multis berichten, anschliessend diskutieren sie mit den Finanzplatzkritikern Jo Lang und Jean Ziegler.

Nach der Verbindung zwischen den Minen und den Metropolen fragt auch eine Veranstaltung, die bereits nächste Woche im Lausanner Squat «Espace Autogéré» stattfindet. Sie sucht nach Mitteln gegen die «Glencorporisation».

Schmutziges Gold

Das Hotel Park Hyatt in der Zürcher Innenstadt rühmt sich seiner Nähe zu den «prestigereichen Banken am Paradeplatz» und seiner «Konferenzräume für Geschäftsunterzeichnungen». Hier findet vom 16. bis 18. April das European Gold Forum statt, bei dem Investoren und Minenbetreiber zusammenkommen. Zwar handelt es sich um eine kleinere Veranstaltung als jene in Lausanne, doch sie wirft ein Licht auf die Schweiz als Goldhandelsplatz.

Die Schweiz ist der wichtigste Abnehmer von Rohgold, wie eine im Dezember veröffentlichte Studie der Gesellschaft für bedrohte Völker zeigt. Woher das Gold stammt, wird seit den siebziger Jahren nicht mehr ausgewiesen. Diese gezielte Intransparenz vertuschte einst die Zusammenarbeit mit dem Apartheidregime in Südafrika. Anders als bei den übrigen gehandelten Rohstoffen, die nie hierher gelangen, spielt die Schweiz mit vier der neun grössten Raffinerien auch bei der Verarbeitung des Edelmetalls eine zentrale Rolle. Den Raffinerien wird vorgeworfen, «schmutziges Gold» zu schmelzen, das unter Missachtung von Menschenrechten und Umweltvorschriften gefördert wird.

Bundesrat will zur Tat schreiten

Beim industriellen Tagbau bleiben hochgiftige Abfälle zurück. Im rumänischen Rosia Montana ist die grösste europäische Goldmine geplant, für die 2000 Menschen zwangsumgesiedelt werden sollen. Hinter dem Projekt steht der weltweit grösste Goldkonzern Newmont, der im Tessin eine der Raffinerien betreibt. Aus Anlass des Goldforums werden AktivistInnen aus Rosia Montana am 12. April im «Autonomen Beauty Salon» in Zürich von ihrem Widerstand berichten. Unter dem Motto «Goldforum aufschürfen!» soll am 17. April ebenfalls eine Kundgebung vor dem Hotel stattfinden.

Die vielfältigen Proteste in den nächsten Wochen zeigen, dass aus der Information über die verschwiegene Rohstoffbranche ein Widerstand wächst. Sogar der Bundesrat will zur Tat schreiten. Dem Vernehmen nach könnte er noch vor Ostern seinen lange angekündigten Grundlagenbericht zur Regulierung der Rohstoffgeschäfte veröffentlichen. Vielleicht schweigt er aber auch weiter, bis die Gipfel vorüber sind.

Die WOZ nimmt die anstehenden Rohstofftreffen zum Anlass, das Thema «Rohstoffbranche» intensiver zu bearbeiten. Als Nächstes sind Artikel zur Regulierung der Rohstoffbranche in der Schweiz sowie zum Minenprojekt im rumänischen Rosia Montana geplant.

Alle Artikel der Serie sind im Dossier auf 
www.woz.ch/dossier zu finden.