Medientagebuch: In Polemik ungenügend

Nr. 14 –

Andreas Fagetti über den Fall Mörgeli.

Nationalrat und «Weltwoche»-Kolumnist Christoph Mörgeli ist angezählt. Der Mann, der verbal alles scharf attackiert, was er links der SVP wähnt, steht seit Monaten im Schussfeld der Medien. Im vergangenen Herbst gelangte eine Expertise an die Öffentlichkeit, die ihm als Leiter des Medizinhistorischen Museums der Universität Zürich ein miserables Zeugnis ausstellte. Christoph Mörgeli wehrte sich polemisierend, worauf ihn die Universität wegen illoyalen Verhaltens entliess. Jetzt stellt ein Bericht der «Rundschau» seinen Ruf als Doktorvater infrage. Er habe rund ein Dutzend Dissertationen der Medizinischen Fakultät anerkannt, die wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen. Weite Teile der kritisierten Doktorarbeiten bestehen demnach aus Transkriptionen alter Texte und marginalem wissenschaftlichem Beiwerk. Man reibt sich verwundert die Augen: MedizinerInnen transkribieren historische Texte? Können die das? Gehört das zu den Kernkompetenzen von ÄrztInnen?

Als Christoph Mörgeli vergangene Woche auf dem «heissen Stuhl» der «Rundschau» sass, verlor der Politiker gleich die Contenance: Er schlug verbal wild um sich, beantwortete keine Fragen, besetzte stattdessen kurzerhand die Rolle des Interviewers. Marc Meschenmoser, den Autor des Beitrags, bezeichnete er als ehemaligen Mitarbeiter der «linksextremen» WOZ und den Interviewer als Teil eines Komplotts linker JournalistInnen. Das brachte schliesslich den bis dahin gelassen wirkenden Moderator Sandro Brotz aus der Fassung. Er fragte am Ende im Stil von Mörgeli: «Wann treten Sie zurück, Herr Mörgeli?» Es war ein erhellendes Fiasko, aber kein Interview.

Dieses fand einen Tag später auf Tele Züri statt, wo Markus Gilli den Nationalrat hart befragte – und Mörgeli sich darauf einliess. Schon wieder gings um die WOZ, die bislang keine Zeile zum Fall Mörgeli gedruckt hat. Mörgeli wiederholte die Behauptung, Marc Meschenmoser sei Mitarbeiter der WOZ gewesen, Gilli korrigierte: Meschenmoser schrieb für «Swissinfo», und die WOZ kaufte einen oder zwei von Meschenmosers Artikeln ein. Für Mörgeli ist die WOZ aber ein «Kommunistenblatt, das bis heute den Tod von Millionen von Menschen eines menschenverachtenden Systems verteidigt».

So weit, so chaotisch. Was ist eigentlich passiert? Die «Rundschau» hat ihren Job gemacht, im Umfeld einer Person des öffentlichen Lebens recherchiert und Material gefunden, das ein zweifelhaftes Licht auf Christoph Mörgeli als Doktorvater wirft. Erfüllt der Nationalrat, der immer wieder hohe Ansprüche an die Integrität, die Eignung und den Fleiss von Staatsangestellten stellte, die eigenen Ansprüche?

Sicher muss sich auch die «Rundschau» Fragen gefallen lassen: Geht es um das Fehlverhalten und die (allenfalls berechtigte) Demontage eines Politikers? Oder geht es darum, ob Doktorarbeiten an der Medizinischen Fakultät Zürich ohne nennenswerte wissenschaftliche Anstrengung vergeben werden, und wäre Mörgeli dann kein Einzelfall? Noch weiss die Öffentlichkeit für ein abschliessendes Urteil zu wenig. Recherchieren oder abwarten.

Die Universität untersucht wieder einmal das eigene Verhalten. Der Fall Mörgeli wirft auch auf sie kein gutes Licht. Sie hat erst nach mehr als zwanzig Jahren gemerkt, dass der politisierende Titularprofessor ihren Ansprüchen nicht genügt. Übrigens: Aus WOZ-Sicht fällt Christoph Mörgeli auch als Polemiker durch. Denn PolemikerInnen spitzen Tatsachen zu. Sie verdrehen oder erfinden sie nicht.

Andreas Fagetti ist WOZ-Redaktor.