Medientagebuch: Hochseilakt mit Absturz

Nr. 16 –

Andreas Fagetti über die Fortsetzung des Mörgeli-Skandals

Wie leicht war es, bei Doktorvater Christoph Mörgeli einen Doktortitel zu erwerben? Das soll die Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr interessieren. Davon lenkt ein angeblicher Medienskandal ab. Die Frage ist nun, ob die «Rundschau» bei ihrer Recherche über die Arbeit des SVP-Nationalrats als Staatsangestellter mit «miesen Tricks» arbeitete. Hat sie die Öffentlichkeit in die Irre geführt, als sie in einem Beitrag einen Arzt auftreten liess, der Mörgeli als Doktorvater unseriös aussehen liess? Die «Weltwoche» präsentierte wie immer das Gegenteil von dem, was der «Mainstream» berichtete: «Die Weltwoche hat den anonymen Informanten ausfindig gemacht, den die Sendung ‹Rundschau› (…) als Kronzeugen gegen Professor Christoph Mörgeli ins Feld führt. Die Überraschung: Der Mann ist mit seinem Doktorat gescheitert.»

Wirklich überraschend. Hatte die «Rundschau» entlang einer These recherchiert und ihren «Kronzeugen» entsprechend präpariert, damit die Story gegen Mörgeli aufging? Ein gebührenfinanziertes, professionelles Journalistenteam frisiert ihren Hauptinformanten auf hohe Glaubwürdigkeit, baut dessen Legende um, damit sie einen umstrittenen SVP-Politiker vom Sockel stürzen kann? Das wäre tatsächlich ein grösserer Skandal. Die «Rundschau» dementiert die angebliche Enthüllung. Falls die TV-Journalisten nicht beruflichen Selbstmord begehen wollen, können sie die Identität ihrer InformantInnen belegen. Wer sich mit Dr. Mörgeli anlegt und ihn mit solchen Vorwürfen konfrontiert, sichert sich vor Publikation bis ins Detail ab.

Alex Baur, Autor der «Weltwoche»-Story, wagt jedoch einen Hochseilakt ohne Netz. Er baut seinen Artikel darauf auf, dass er den anonymen Informanten tatsächlich gefunden habe. Man liest – immer im Glauben, die «Weltwoche» habe klare Beweise – und erfährt dann: Der Informant bestreitet, der Informant zu sein. Er ist zwar «Dentist», er hat bei Mörgeli eine Doktorarbeit geschrieben, aber sie nie eingereicht. Gegenüber Baur bestreitet er aber, «je Kontakt mit Journalisten gehabt zu haben». Baur kann keine Belege für seine Behauptung anführen, ihn irritiert das offensichtlich nicht. «Das pauschale Dementi von Anonymus wirkt etwa so überzeugend wie jenes der ‹Rundschau›.» Der einzige Beleg für Baurs Behauptung ist also, wie der «Kronzeuge» auf den Journalisten «wirkt»? Gschpürschmi-Journalismus statt Recherche? Ach ja – da wäre noch der Schattenriss: «Gemäss Recherchen der Weltwoche steckt hinter ‹Dr. Anonymus› in Wahrheit der eingangs erwähnte Dentist, der den angeblich so simplen Doktortitel eben gerade nicht geschafft hat. Mehrere Studienkollegen, die das wahre Gesicht von Anonymus unabhängig voneinander sofort erkannten, vermuten hier auch das Motiv für die Anschwärzung des Doktorvaters: Die Frustration über das eigene Unvermögen wird auf den Lehrmeister übertragen.» Die «Rundschau» sagt, sie habe, wie in solchen Fällen üblich, den Schattenriss stark verfremdet.

Die «Weltwoche» bleibt aber jeden Beleg für ihre vollmundige Ankündigung schuldig. «SonntagsBlick» und «SonntagsZeitung» recherchierten nun ebenfalls – und trafen den Dentisten, der ausführlich erklärte, weshalb er nicht der «Kronzeuge» sei. Er habe von jener «Rundschau» erst von Baur erfahren. Die «Weltwoche» baute ihre Titelstory auf dem Glauben auf, den «Kronzeugen» gefunden zu haben. Und verkaufte im Vorspann des Artikels als Faktum, was blosse Behauptung bleibt. Das ist eine Irreführung der Öffentlichkeit – eine recht plumpe.

Andreas Fagetti ist WOZ-Redaktor.