Internationale Krisendiplomatie in Mazedonien: Fehltritte und immer wieder die gleichen Köpfe

Eigentlich war die internationale Krisendiplomatie in Mazedonien lange recht erfolgreich. Bis der OSZE-Sonderbotschafter Robert Frowick kam.

Zu wenig und zu spät. Mit dieser Formel wird das häufige Scheitern der westlichen Krisendiplomatie auf dem Balkan gerne kritisiert – auch jetzt wieder, mit Blick auf Mazedonien. Abgesehen davon, dass es nicht immer zu wenig und zu spät, sondern öfter das Falsche war, was der Westen tat oder unterliess, stellt sich die Frage, ob diesmal die Bilanz wirklich so schlecht ist. Als im Februar und März die Taktik der «nationalen Befreiungsarmee» UCK klar wurde, nämlich durch Überfälle auf Polizei und Armee massive Vergeltungsschläge und zivile Opfer zu provozieren, war die Reaktion der «internationalen Gemeinschaft» schnell und eindeutig. Mehr noch: Sie sprach mit einer Stimme. Die Gewalt der UCK wurde von EU, Nato und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) klar verurteilt. Sie sei durch nichts legitimiert und ein Gespräch mit ihren Verursachern unmöglich. Aber es blieb nicht bei der Verurteilung der Provokateure: Man forderte die mazedonische Regierung auf, nur mit «dosierter» Gegengewalt vorzugehen und vor allem den interethnischen Reformdialog zu intensivieren, um die UCK politisch zu isolieren.
Nachdem es den Regierungskräften im März überraschend gelungen war, die UCK aus den Hügeln von Tetovo zu vertreiben, schien der Weg für Reformen offen. Niemand erwartete schnelle Resultate, doch erste Schritte schienen möglich. Damit wäre die UCK aus dem Spiel gewesen. Doch die albanischen Freischärler verhinderten dies, indem sie acht Soldaten in einem Hinterhalt erschossen. Nun eskalierte die Situation: In Bitola zündeten mazedonische Jugendliche Geschäfte von Albanern und slawischen Muslimen an, Premierminister Ljubco Georgievski drohte mit Kriegsrecht und die albanische Regierungspartei DPA im Gegenzug mit Regierungsaustritt. Die Lage war kritisch, als EU-«Aussenminister» Xavier Solana und Nato-Generalsekretär George Robertson in die mazedonische Hauptstadt Skopje flogen, die bevorstehende Ausrufung des Kriegsrechts stoppten und die DPA zurückpfiffen.
Der nächste Schritt war die Konstruktion einer grossen Regierungskoalition, der alle wichtigen Parteien angehören sollten. Der Name «Koalition der politischen Einheit» ist blanker Etikettenschwindel; das wissen alle Beteiligten. Aber das künstliche Gebilde schuf die Voraussetzung, um alle relevanten Parteien gemeinsam in die Verantwortung zu zwingen. Diese Regierung, nicht durch Wahlen, sondern durch Druck von aussen zustande gekommen, ist das Instrument der internationalen Krisendiplomatie und hat aus Mazedonien fast ein Quasiprotektorat gemacht. Entsprechend klein ist ihre Legitimität in der Bevölkerung, gleich welcher ethnischen Herkunft.
Bis dahin sah die Situation dramatisch, aber nicht hoffnungslos aus, und die Bilanz der westlichen Krisendiplomatie konnte sich sehen lassen – aber nur, wenn man von einem schwerwiegenden Versäumnis absieht. Die internationale Kosovo-Streitmacht Kfor hatte und hat bis vor kurzem die Grenze zwischen Kosovo und Mazedonien nur lückenhaft kontrolliert und damit Waffenlieferungen nach Mazedonien und den Rückzug der Freischärler in den Kosovo toleriert. Noch heute ist sie nicht bereit, Grenzübertritte notfalls mit Waffeneinsatz zu verhindern. Dahinter steht die Angst, im Kosovo vom Befreier zum Besatzer zu mutieren und eigene Soldaten zu verlieren.
Doch dann trat Robert Frowick auf, der Ex-US-Diplomat und Sonderbotschafter der OSZE – und alles ging sehr schnell. Er habe einen Plan, verkündete der rüstige Senior am 18. Mai: Die UCK legt die Waffen nieder. Internationale Beobachter betreten die Dörfer und lassen die Sicherheitskräfte einrücken, aber erst nachdem sich die Gemüter etwas beruhigt haben. Und wer keine Verbrechen begangen hat, wird amnestiert und reintegriert. Frowick betonte, die Initiative sei mit allen relevanten Kräften abgestimmt, was die mazedonische Regierung postwendend dementierte. Ein hoher Beamter liess durchblicken, dass «einige von der Sache gewusst hätten», sie aber geheim halten wollten. Und als wenige Tage später bekannt wurde, dass die albanischen Parteiführer sich mit dem politischen Kopf der UCK, Ali Ahmeti, im Kosovo getroffen und ein Abkommen unterzeichnet hätten, angeblich auf Betreiben Frowicks, wurde dieser auch von der «internationalen Gemeinschaft» geschnitten. «Verrat!», hiess es in den mazedonischen Medien, und die «Internationalen» bekräftigten: Verhandlungen mit der UCK sind tabu. Frowick musste abreisen. Am nächsten Tag begann die Armee die immer noch anhaltende «Endoffensive». Ob Frowick die albanischen Führer zum verhängnisvollen Schritt ermunterte, wie es aus Kreisen der albanischen Partei der demokratischen Prosperität (PDP) heisst, ist nicht klar. Auch nicht, ob das Weisse Haus in Washington, zu dem Frowick einen direkten Draht hatte, die Umgehung des US-Aussenministeriums und der Europäer guthiess. Fest steht, dass seither die Gewalt eskaliert, die OSZE eine immense Glaubwürdigkeitseinbusse erlitten hat und das Eis, auf dem sich die Krisenmanager bewegen, gefährlich dünn geworden ist.
Ist Frowick also an allem schuld? Nein. Er hat zwar schwer gepatzt, aber für das Haupthindernis einer erfolgreichen Krisendiplomatie kann er nichts: den fehlenden regionalen Ansatz. Frieden in Mazedonien ist nicht möglich, ohne dass die Zukunft des Kosovo geklärt wird. Die unentschiedene Situation in der Provinz lädt Ethnonationalisten dazu ein, gewaltsam ihren Einfluss im Kosovo aufrechtzuerhalten und ihn mit Unterstützung lokaler Extremisten nach Mazedonien auszuweiten. Wie selbstzerstörerisch der schwache mazedonische Staat und die noch schwächere multiethnische «Zivilgesellschaft» darauf reagieren, erleben wir derzeit.
Das Kosovoproblem ist nicht der jetzigen Krisendiplomatie anzulasten. Oder etwa doch? Haben der Nato-Generalsekretär Robertson und der EU-Aussenminister Solana es vielleicht Politikern wie dem damaligen britischen Verteidigungsminister Robertson und dem Nato-Generalsekretär Solana zu verdanken?