Südserbien: Kostunicas erfolgreiche Gratwanderung: Endlich zählen wieder neue Hosen

In Südserbien versuchen albanische Extremisten, mit Gewalt einen Anschluss an Kosovo zu erzwingen. Doch die bewährte Taktik scheint dieses Mal zu misslingen.

Der Hochnebel hängt tief über dem südserbischen Presevotal. Die Dörfer ducken sich auf dem gelbbraunen Winterboden, und selbst die Minarette überragen nur mit Mühe die nassen Dächer. Im Westen verschwinden die unwegsamen Grenzhügel zum Kosovo in der Nebeldecke. «Von dort kommen sie in der Nacht», sagt der Polizist im blaugefleckten Kampfanzug. «Sie greifen an und ziehen sich sofort wieder zurück.» Dieser Taktik sind Mitte November fünf serbische Polizisten zum Opfer gefallen. Dennoch hält sich die Armee im Hintergrund. Ihr ist im Waffenstillstandsvertrag von Kumanovo der Zugang zur fünf Kilometer breiten Pufferzone verboten. Schweres Gerät ist kaum zu sehen, aber die Polizei ist überall. Auf die neuste Eskalation hat sie mit einer neuen Taktik reagiert: Jagdkampf. Kleine Gruppen von fünf bis zehn Elitepolizisten, mit schnellen Geländewagen und automatischen Waffen ausgerüstet, versuchen die Guerilla abzufangen. «Aber die Grenze ist löchrig wie ein Schweizer Käse», sagt Stojan Arsic, der serbische Bürgermeister von Bujanovac. «Das Ziel der Terroristen ist der Anschluss an Kosovo.» Die amerikanischen Kfor-Truppen, die den Abschnitt kontrollieren, nähmen den Terror-Tourismus in Kauf. «Es geht ihnen um die Destabilisierung des Gebietes.» Auch wenn diese Verschwörungstheorie nicht einleuchtet; die Briten haben wiederholt die amerikanischen Einsatzregeln kritisiert, welche die militärische Effizienz dem Selbstschutz unterordneten: «Sie verlassen ihr Fahrzeug nur zum Pinkeln», sagt ein Offizier im Kfor-Pressezentrum in Pristina.

Schon vor dem Kosovo-Krieg kam es im Hügelland Südserbiens immer wieder zu Zusammenstössen zwischen Polizei und bewaffneten Freischärlern, die aus dem Kosovo eindrangen oder ihre Basis in den kleinen Dörfern des mehrheitlich albanisch besiedelten Gebietes haben. Als die Nato im März 1999 ihre Bombenangriffe gegen Jugoslawien begann, eskalierte der Konflikt auch im Presevotal. Serbische Polizisten brandschatzten albanische Siedlungen (andere Quellen machen Angehörige der jugoslawischen Volksarmee oder auch Paramilitärs verantwortlich), wobei nach Angaben von Reza Halimi, dem Bürgermeister von Presevo, elf Menschen ums Leben kamen und hunderte nach Mazedonien vertrieben wurden. Im Juni rettete sich ein Teil der besiegten Sicherheitskräfte aus dem Kosovo ins Presevotal und begann, so Halimi, die Bevölkerung zu schikanieren. Schon damals nannten einige kosovo-albanische Politiker das Gebiet, das die Gemeinden Presevo, Bujanovac und Medvedja umfasst, schlicht Ostkosovo. Im März wurde auf Initiative des früheren UCK-Kommandanten und Politikers Hashim Thaci ein «Politischer Rat für Ostkosovo» gegründet. Er bildet nun gewissermassen den politischen Arm der «Befreiungsarmee für Presevo, Bujanovac und Medvedja» (UCPMB). Zurzeit umfasst die UCPMB maximal 2000 Mann, die mit Infanteriewaffen und Minenwerfern ausgerüstet sind. Sie werden aus dem Gebiet selber, aber auch aus Kosovo und dem albanisch besiedelten Westmazedonien rekrutiert.

Die Kfor reagiert

Als die Gewalt nach dem Tod der serbischen Polizisten zu eskalieren drohte, stellte die jugoslawische Regierung der Kfor ein Ultimatum: Wenn es ihr nicht gelinge, die Grenze innerhalb 72 Stunden wirksam zu sichern, fühle man sich nicht mehr an den Waffenstillstandsvertrag gebunden und werde die Guerilla mit eigenen Mitteln aus der Pufferzone werfen. Das wirkte, obwohl Kostunica das Ultimatum kurze Zeit später zurücknahm und Verhandlungen aufnahm. Die Kfor hat die Grenzkontrollen in den letzten Wochen verschärft, wiederholt Waffenlieferungen abgefangen und vor wenigen Tagen den Freischärlern zum ersten Mal ein Scharmützel geliefert.

Junge Männer, die bereit sind, für ein noch so abstruses politisches Ziel Kopf und Kragen zu riskieren, finden sich in den verarmten Gesellschaften der Region wohl immer. Doch stellt sich die Frage, wem dieser Konflikt nützt. Nach der euphorischen Begrüssung des neuen jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica im Westen erwarteten viele Beobachter eine Radikalisierung der Kosovo-Albaner, denen mit Slobodan Milosevic der «Garant» für eine nichtserbische Lösung der Kosovo-Frage abhanden gekommen war. Stattdessen gewann der gemässigte Nationalist Ibrahim Rugova die Lokalwahlen im Kosovo. Nun versuchen radikale Elemente aus der ehemaligen UCK sich wieder ins Spiel zu bringen. In Pristina haben sich die Führer der Kosovo-Albaner vorsichtig distanziert oder schweigen.

Kostunicas Auftritte

Befürchtungen, dass die Parteien des alten serbischen Regimes vom ethnischen Konflikt in Südserbien profitieren könnten und sich als Garanten der Unverletzbarkeit der Grenzen profilieren, scheinen unberechtigt. Milosevics Sozialistische Partei Serbiens, die Jugoslawische Linke von Milosevics Frau Mira Markovic und die Radikalen von Vojislav Seselj wirken verbraucht oder sind in Auflösung. Selbst in ihren südserbischen Hochburgen ist ihr Überleben ungewiss. «Ich habe immer Slobo gewählt», sagt Rade Josic, der Portier des Gemeindehauses in Bujanovac. «Aber seit ich mir nicht mal neue Hosen kaufen kann, ist Schluss.» Das Porträt des alten Präsidenten hat er unter einer Matratze in seiner Loge verstaut. Mit dem Aufhängen des neuen wartet er noch etwas ab. Kostunica ist es mit seinen Auftritten im krisengeschüttelten Presevotal gelungen, Vertrauen zu bilden. Selbst die Spitze der «Demokratischen Aktion», der einzigen albanischen Partei in der Region, räumt ein, dass er der erste Präsident sei, der sich für ihre Probleme interessiere. Diesen Erfolg mochte Zoran Djindjic seinem DOS-Partner und Konkurrenten nicht gönnen. Mit markigen Sprüchen über albanische Terroristen und serbische Erde distanziert er sich von den versöhnlicheren Tönen des Präsidenten. Die Zerfallserscheinungen auch des demokratischen Bündnisses sind unübersehbar.

Offensive Informationspolitik

Auf dem internationalen Parkett kommt Kostunicas Mischung aus moderater Sprache und hartnäckiger Interessenvertretung gut an. Der Reihe nach haben die Aussenminister der grossen Staaten die Angriffe der albanischen Freischärler verurteilt. George Robertson, der Nato-Generalsekretär, nennt sie «Terroristen». Man ist in Brüssel heilfroh, Jugoslawien nun endlich an Bord zu haben auf der Zitterpartie, die zur Stabilisierung des Balkans führen soll. So fehlt dem Versuch, «zwei, drei, viele Kosovo» zu schaffen, die entscheidende Ressource, die dem Original zum Erfolg verhalf: die westliche Öffentlichkeit. Die serbische und die jugoslawische Regierung werden sich hüten, die Provokationen mit jener brutalen Gewalt zu vergelten, welche die westlichen Medien auf die Seite der Guerilla bringen könnte. «Schreibt dieses Mal, wie es wirklich ist», sagt der Kommandant eines Schützenpanzers in Bujanovac. «Ich will nicht bombardiert werden, weil ich Jagd auf Terroristen mache.» Die Regierung betreibt eine offensive Informationspolitik und hat sogar ein Pressezentrum eingerichtet. Auch wenn die meisten Serben im Tal die Journalisten nicht mögen und vor kurzem einen verprügelt haben: Das offizielle Serbien lernt, mit ihnen umzugehen.

Wiederholt sich im Presevotal die Kosovo-Tragödie als Farce? Nein, aber die schwierigen ethnischen und ökonomischen Probleme verlangen von den Beteiligten Engagement und Augenmass. Sonst droht die Chronifizierung des Konflikts. «Mit dem Machtwechsel hat sich hier vorerst nichts geändert. Der Staatsapparat führt sich als Okkupationsmacht auf und behandelt uns als Bürger zweiter Klasse», sagt Bürgermeister Halimi. Die Arbeitslosigkeit ist riesig, und gleichzeitig fehlen Lehr- und Pflegepersonal, weil deren Diplome aus Pristina nicht anerkannt werden. Er sei gegen Gewalt und setze auf internationale Vermittlung. Aber verurteilen mag er jene nicht, die zu den Waffen greifen. «Unser bester politischer Partner ist aber die wirtschaftliche Entwicklung. Wenn es den Leuten besser geht, spielen die Grenzen keine grosse Rolle mehr.»