Helft euch selbst, sterbt!

Die serbische Polizei hat dieser Tage alle Hände voll zu tun. Zwischen zwanzig und vierzig AktivistInnen der Oppositionsbewegung «Otpor» (Widerstand) werden täglich verhaftet. Obwohl sie in der Regel einige Stunden später wieder freigelassen werden, ist die polizeiliche Sonderbehandlung ein tiefer Einschnitt im Leben der StudentInnen und SchülerInnen. Innerhalb der zehn letzten Maitage wurden, nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen aus Belgrad, 350 AnhängerInnen der Opposition verhaftet.
Kein Zweifel, das Regime zeigt Nerven, und dazu dürfte der Aufstieg von Otpor wesentlich beigetragen haben. Nach Angaben von AktivistInnen hat die Bewegung mindestens 20000 Mitglieder – aber keine AnführerInnen. Immer neue SprecherInnen erklären der Öffentlichkeit das scheinbar einfache Ziel des losen Bündnisses: Slobodan Milosevic und sein Regime müssen weg. Alles andere soll man später regeln.
Das ist der gravierende Unterschied zu den bisherigen Oppositionsparteien, die das Fell verteilen wollen, bevor der Bär erlegt ist. Gerade in dieser Woche liess Vuk Draskovic, der Chef der Serbischen Erneuerungsbewegung, ein am 10. Januar zustande gekommenes Abkommen der demokratischen Parteien über ein gemeinsames Vorgehen bei Wahlen platzen. Monatelang hat sich Draskovic gegen Demonstrationen als Mittel zum Sturz des Regimes ausgesprochen und immer wieder den Machtwechsel ausschliesslich durch Wahlen befürwortet, während der Rest der Opposition bereit war, Wahlen zu boykottieren. Dann verlangte er überraschend und grossmäulig entschlossenere Aktionen der Opposition, dann stritt man sich über die Zusammensetzung oppositioneller Wahllisten. Am Dienstag schliesslich liess Draskovic seine OppositionskollegInnen wissen, er wolle bei keinen Wahlen teilnehmen, solange die demokratischen Voraussetzungen nicht gewährleistet seien. Damit sind die Oppositionsparteien praktisch wieder da, wo sie vor dem Abkommen vom 10. Januar waren – unentschlossen, zersplittert, durch die Eitelkeiten der eigenen Führer gelähmt.
Dabei sitzt Milosevic, seiner skrupellosen Familie und der übrigen Nomenklatura die Angst im Nacken. Jüngste Meinungsumfragen zeigen, dass die Bevölkerung einen Wechsel will. Fast sechzig Prozent der Befragten trauen zwar auch den Oppositionsparteien nicht über den Weg, wollen aber auf keinen Fall, dass die jetzt Regierenden nach den nächsten Wahlen an der Macht bleiben.
Aus diesem Grunde ist kaum damit zu rechnen, dass das Regime sich ohne weiteres den für den Herbst angesagten Wahlen in der Bundesrepublik Jugoslawien stellen und seelenruhig Wahlurnen im Lande verteilen wird. Angeblich sind auch alle diskreten Versuche, für Milosevic ein Exilland zu finden, gescheitert. So bleibt dem Präsidenten nur eins, um seine Haut zu retten: eine Verschärfung des staatlichen Terrors.
In eine schwierige Lage gerät auch der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic. Er hat sich bis jetzt grundsätzlich mit der serbischen Opposition solidarisiert. Wenn sie an den jugoslawischen Wahlen teilnimmt, müsste Djukanovic es auch tun. Damit verliesse er seinen Kurs, Montenegro aus der Bundesrepublik (mit Serbien) zu führen – zur Enttäuschung seiner AnhängerInnen. Der Westen hat Djukanovic zwar unmissverständlich wissen lassen, dass eine weitere Fragmentierung Jugoslawiens nicht im Interesse der internationalen Stabilität läge. Ob er aber auch dessen Wahlbeteiligung honorieren würde, ist so sicher nicht.
Denn dort betrachtet man offensichtlich gelassen das tägliche Anwachsen des Terrors in Serbien. Nachdem jahrelang Milosevic als Stabilitätsfaktor hofiert und am (politischen) Leben gehalten wurde, nachdem mit Nato-Bomben versucht wurde, das «Problem Kosovo» zu lösen, und einfach ignoriert wurde, dass es nur zusammen mit dem «Problem Milosevic» gelöst werden kann, heisst es jetzt lakonisch, das serbische Volk müsse sich selbst helfen, bevor es Hilfe von aussen erwarten könne. Mit anderen Worten: Der Westen will aus gemütlicher Ferne einem blutigen Ende zusehen.