Rückkehrprogramm Kosovo: Die heisse Phase beginnt

Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren: Bereits 10 000 Sitzplätze wurden bei verschiedenen Fluggesellschaften reserviert, um 25 000 Kosovo-AlbanerInnen in den nächsten Monaten aus der Schweiz zu schaffen, bestätigt Urs von Arb, Sektionschef der Abteilung Ausreise und Aufenthalt. Ende April läuft die Frist zur Anmeldung für eine freiwillige Rückkehr ab; dann drohen Zwangsausschaffungen. Sowohl VertreterInnen des Bundes als auch der Kantone hoffen weiterhin auf den guten Willen der Flüchtlinge und verbreiten die erfreulichen Meldungen über den Wiederaufbau an zahlreichen Informationsveranstaltungen. Doch die Flüchtlinge lassen sich anscheinend nur schwer überzeugen: Erst 3000 haben sich für die freiwillige Rückkehr angemeldet.

Sie können auch anders

Was nach der Freiwilligkeit kommt, hat das Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) bereits Anfang März in einem Strategiepapier skizziert, mit dem sich alle Kantone ausser Genf einverstanden erklären. Sobald «die notwendigen internationalen Vereinbarungen getroffen werden konnten», heisst es im Strategiepapier, «ist die Durchführung von Rückführungen in grösserem Umfang auch gegen den Willen der Rückkehrpflichtigen vorgesehen». Kaum hatte Bundesrätin Ruth Metzler während ihres Kosovo-Besuchs ihren Namen unter das «Memorandum of Understanding» gesetzt – und damit die Bedingungen der Einreise von zwangsweise zurückgeschafften Personen mit der UN-Zivilbehörde (Unmik) geregelt –, startete das erste Probe-Ausschaffungsflugzeug mit über fünfzig Kosovo-AlbanerInnen. Die Eile ist nicht grundlos: «Durch die frühzeitige Aufnahme von zwangsweisen Rückführungen soll in einem Zeitpunkt, in welchem die Option der Rückkehr mittels Rückkehrhilfeprogrammen noch offen steht, ein dissuasives Signal» gesetzt werden.
Ob das abschreckende Signal bei den Kosovo-AlbanerInnen in der Schweiz die gewünschte Wirkung auslöste, ist allerdings fraglich. Die Anmeldungen zur freiwilligen Rückkehr haben seit dem Einsetzen der Zwangsausschaffungen nicht sprunghaft zugenommen. Wie es weitergehen soll und ob es tatsächlich zu Massenausschaffungen kommt, wird erst am 4. Mai, an der eidgenössischen Asylkonferenz entschieden. Dort wollen sich die VertreterInnen von Bund und Kantonen über die konkrete Umsetzung verständigen: Wie viele Polizisten man benötigt, ob die Leute begleitet werden müssen etc.

Das Ende einer Euphorie

In der ersten Phase der Rückkehrhilfe, die im Januar dieses Jahres abgeschlossen wur- de, sind fast 20 000 Leute in den Kosovo zurückgekehrt. Die Leute würden, erklärte der Kosovo-Delegierte Urs Hadorn im letzten Sommer, Schlange stehen, um sich für die Rückreise anzumelden. Doch die Rückkehr-Euphorie ist längst vorbei: Im Kanton Bern haben sich in der letzten Woche 96 Personen für das Rückkehrprogramm gemeldet. Zu wenig, erklärt Hugo Köppel, Kosovo-Koordinator der Fürsorgedirektion des Kantons Bern. Seit Dezember, dem Start der Phase II, waren es nur 550 Leute, und erst im Februar waren auch Familien unter den freiwilligen RückkehrerInnen. Im Kanton Zürich sieht die Zwischenbilanz ähnlich aus: In den letzten Monaten hätten sich lediglich fünfhundert Leute angemeldet, sagt Gertraude Jenny vom Schweizerischen Roten Kreuz, die im Kanton Zürich die Rückkehrberatungen durchführt. Fast zehnmal so viele sollten bis Ende Mai «freiwillig» ausreisen. VertreterInnen des Bundes als auch der Kantone erwarten aber einen grossen Ansturm von Rückkehrwilligen. Zejdi Ismajli vom albanischen Kulturzentrum Përparimi in Zürich ist hingegen skeptisch. «Die Leute, die irgendeine Möglichkeit sahen zurückzureisen, sind bereits weg.»

Besonders schwierig wird die Rückkehr auch für jene Kosovo-Albaner, die bereits einige Jahre in der Schweiz leben und eine Arbeit haben. Von dem Geld, das sie in der Schweiz verdienen, leben ihre Familien im Kosovo. Mit der erzwungenen Rückkehr fällt die Unterstützung weg, und die Chance, im Kosovo eine Arbeit zu finden, ist bei einer Arbeitslosigkeit von ungefähr achtzig Prozent verschwindend klein. Wie viele erwerbstätige Personen zurückkehren müssen, weiss niemand. Weder die Kantone noch der Bund können eine genaue Auskunft geben.

Auch die vor kurzem mit grosser Geste lancierte «Humanitäre Aktion 2000» löst das Problem für so genannte «Altfälle» nicht. Der Vorschlag, vor 1993 in die Schweiz eingereiste Menschen mit einem hängigen Gesuch definitiv aufzunehmen, stösst bei den Kantonen auf Widerstand. Es ist nun an ihnen, die entsprechenden Anträge für die Aufnahme beim Bund zu stellen. Der Kanton Graubünden hat bereits verlauten lassen, dass er von der Möglichkeit nicht Gebrauch machen will, andere Kantone wollen nach strengen Auswahlkriterien vorgehen. Das heisst, dass auch so genannte «Altfälle» aus der Schweiz ausreisen müssten, wenn der Bund sich nicht über die Kantone hinwegsetzt und im Sinne der Rechtsgleichheit die «Humanitäre Aktion» trotzdem für alle viertausend betroffenen Kosovo-AlbanerInnen zum Tragen kommt.

Akzeptanzprobleme

Unterschiedlich ist jedoch nicht nur die humanitäre Praxis der Kantone. Auch die Rückkehrberatungen, die eine erfolgreiche Rückkehr der Flüchtlinge garantieren sollen, sind sehr verschieden geregelt. Während man sich im Kanton Aargau bei der Fremdenpolizei anmelden muss, bietet der Kanton Bern vier Rückkehrzentren an. Dort können die Leute Vorbereitungskurse besuchen und umfassende Informationen über die Situation im Kosovo erhalten. In den meisten anderen Kantonen fehlen solche Beratungsstellen. Seit dieser Woche stellt der Bund ausserdem ein Computerprogramm zur Verfügung, damit sich die RückkehrerInnen besser über die Situation vor Ort informieren können. Reichlich spät, gut zwei Wochen bevor die letzte Anmeldefrist abläuft.

Spät haben sich auch die verschiedenen Organisationen der Kosovo-AlbanerInnen mit der Rückkehrproblematik auseinander gesetzt. Erst letzten Sonntag hat die Dachorganisation der Kosovo-AlbanerInnen ein Papier veröffentlicht, in dem sie die Kriterien für eine «Rückkehr in Würde» festgelegt haben. Die Rückkehr solle gestaffelt erfolgen; bei Familien, die aus einer stark zerstörten Region kommen, sei die Ausreisefrist um ein Jahr zu verlängern; bei allein erziehenden Müttern sei die Zumutbarkeit einer Rückkehr individuell zu prüfen; älteren Personen, deren Verwandte in der Schweiz leben, sei ein vorläufiges Bleiberecht einzuräumen. Eine gestaffelte Rückkehr und die Wahrung der Freiwilligkeit bei den Rückführungen haben auch Hilfswerke wie das Schweizerische ArbeiterInnen- Hilfswerk (SAH) oder die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) seit längerem gefordert. Der Bund lehnte ab. Ausser Schwangeren und Schwerkranken müssen alle möglichst schnell zurück.

Doch zu einer Staffelung kommt es sowieso. 25 000 Kosovo-AlbanerInnen können nicht an einem Tag ausgeschafft werden: «Werden zweihundert Leute in der Woche zurückgeschickt, was nicht wenig ist, würde die ganze Sache etwa zwei Jahre dauern», rechnet Hugo Köppel, Kosovo-Koordinator der Berner Fürsorgedirektion. Sorgen machen ihm in diesem Zusammenhang vor allem die vielen Jugendlichen und Kinder. Im Kanton Bern sind von den ungefähr fünftausend Kosovo-AlbanerInnen dreissig Prozent noch nicht siebzehn Jahre alt. «Die Kinder werden nicht eingeschult, können ihre Schulbildung nicht fertig machen und warten dann auf ihre Ausreise.» Gerade der Umgang mit Jugendlichen in Ausbildung könnte jedoch die Akzeptanz der Ausschaffungen in der Schweizer Bevölkerung gefährden. Als die Zürcher Regierungsrätin Rita Fuhrer vor gut zwei Jahren bosnische Jugendliche in Ausbildung zu- rückschicken wollte, kam es zu einer breiten Solidaritätsbewegung. Und auch jetzt – nach ihrer Kosovo-Reise ist die SVP-Politikerin der Meinung, dass es sich nicht lohne, die Jugendlichen auszubilden, da sie im Kosovo sowieso keine Arbeit finden – könnte dieser Punkt innenpolitisch heikel werden. Das BFF ist vorsichtiger und empfiehlt, alle Kinder ihr Schuljahr beenden zu lassen.

Doch nicht nur die Schweiz bereitet sich auf die Ausschaffung von mehreren tausend Flüchtlingen vor. Deutschland will rund 170 000 Kosovo-AlbanerInnen zurückschicken, die übrigen europäischen Länder kommen auf insgesamt 50 000, die möglichst in diesem Jahr zurückgeschickt werden sollen. Im Kosovo würde die Bevölkerung somit um zehn Prozent ansteigen. Dass dies in der Phase des Aufbaus heikel werden könnte, haben VertreterInnen der internationalen Organisationen, die im Kosovo tätig sind, immer wieder betont.

Massenrückschaffungen sind also nicht nur aus humanitären Gründen problematisch, sie gefährden auch den Wiederaufbau.