Antirassistische Weltmeisterschaft: Mit Dubdub gegen die Faschos

Nr. 28 –

Im italienischen Montecchio sangen Hooligans und Punks, während Fuss- und BasketballerInnen ohne Stahlkappenstiefel spielten.

Ich habe Fussball nie wirklich gemocht. Mit sieben Jahren bin ich im St. Galler Espenmoos mit einem selbst gebastelten Basler Fähnli gestanden. In der Fankurve der St. Galler. Mein Rossschwänzli hat damals arg gelitten. Danach hab ich mich gut fünf Jahre nicht mehr in ein Stadion getraut. Erst mit dreizehn versuchte ich mich ganze zwei Monate lang als FCSG-Fan. Geblieben sind mir Bilder von grünen Perücken, Hitlergrüssen, «Huga, huga»-Rufen für schwarze Spieler, und «Schwule Comisetti, ohohooh schwule Comisetti». Kein guter Start.

Und doch sitze ich jetzt mit Clemens aus Hamburg, der schon sechzehn Stunden unterwegs ist, im Auto und lasse mich an eine Fussball-WM chauffieren. An die Mondiali Antirazzisti, die Antira-WM, in Montecchio, einem kleinen unscheinbaren Kaff in der Nähe von Parma. Und plötzlich mag ich Fussball, denn hier ist alles ganz anders. Und irgendwie dann doch wieder nicht. Anders ist, dass (fast) keine professionellen Teams spielen. Die Antira-WM ist ein Spassturnier, es soll nicht ums Gewinnen gehen. Wer zu oft zu hart spielt, wird vom Turnier ausgeschlossen. Wer sich prügelt sowieso. Stollenschuhe sind verboten, Stahlkappenstiefel auch. Es gibt kein Abseits und keine SchiedsrichterInnen. Die Mannschaften müssen sich selbst um Konsens bemühen. Und die Fussbälle sind natürlich hundert Prozent kinderarbeitsfrei und auch sonst sehr gerecht. Teilnahme am Turnier und Übernachtung auf dem Zeltplatz sind gratis, gesponsert wird der Anlass von verschiedenen Gemeinden der Region, der Abfall wird getrennt.

Runder Bauch mit Kurve

So viel zu den Unterschieden. Was gleich bleibt, sind die vielen Glatzköpfe, Hektoliter Bier und laute Stadiongesänge. Letztere gehen schon am Abend vor dem Turnier los. Im vom Pyrorauch vernebelten Festzelt stehen die Hooligans auf Tischen und Bänken, recken Fäuste in die Luft und johlen «You never walk alone» oder «Berlusconi, pezzo di merda» und am liebsten und stundenlang «Scheiss Polizei, scheiss Polizei». Einer hat sich «no border, no nation» auf seinen Unterarm tätowieren lassen, ein anderer trägt stolz eine Stadionkurve auf seinem ebenfalls runden Bauch zur Schau. Es braucht weder Ball noch SpielerInnen fürs heimelige Stadionfeeling. Bier, Pyros und Gleichgesinnte bringen die eisernen Stimmbänder zum Schwingen.

Vor neun Jahren fanden die ersten Mondiali Antirazzisti statt, veranstaltet vom italienischen Fanprojekt Progetto Ultra und dem Geschichtsinstitut Istoreco. Letzteres forscht seit Jahren im Bereich Faschismus, Antifaschismus und der Resistenza, dem antifaschistischen Widerstand in Italien. «MigrantInnen und Ultras sollten sich kennen lernen und damit der Welt beweisen, dass sie gar nicht das sind, was ihnen unterstellt wird: als gewalttätige und rassistische Fangruppen beziehungsweise als Quelle der Kriminalität», sagen die VeranstalterInnen. Auf der Piazza Antirazzista können die TeilnehmerInnen ihre Projekte und Aktivitäten vorstellen.

193 Teams nehmen dieses Jahr an der Weltmeisterschaft teil. Die meisten kommen zwar aus Deutschland und Italien, aber was wäre eine WM ohne internationale Präsenz, besonders wenn sie antirassistisch sein soll? So werden laut OrganisatorInnen gemischte Teams und solche aus Osteuropa bei der Einschreibung besonders berücksichtigt. Aus dem Osten sind trotzdem nur wenige gekommen - dafür heissen wir, die ursprünglich alle aus St. Gallen kommen, wenigstens «Ostblock». Aber es gibt Teams aus Marokko, Israel und sogar eines aus Nigeria.

1:0 für RAF

Die Durchsagen werden dennoch nur auf Italienisch und Deutsch gemacht. Ausser am Donnerstag, dem ersten Spieltag, da werden im Halbstundentakt Neuigkeiten aus London und Opferzahlen auch auf Englisch durchgegeben. Gespielt wird trotzdem. Zum Beispiel gegen die Rothenburger Amateur Fussballer (RAF), die bei dreissig Grad im Schatten in Hassmasken antreten, oder gegen die Dubpartie aus Graz, deren Schlachtrufe sich auf «Dubdubdub» beschränken. Ihre Trikots sind grün-gelb-rot geringelt, wer den Torwart zu lange anschaut, dem flimmert es vor den Augen, vom Spielfeldrand wummern Goa-Trance-Bässe, die Mittelfeldspielerin wiegt sich versonnen im Rhythmus der Musik und der Stürmer trägt ein Tigerkostüm. Zweimal zehn Minuten auf LSD. In der Spielpause gibts Bier statt Gatorade, der Torwart dreht einen Joint.

Überhaupt ists ein bisschen wie an einem Openair. Zelten, sich über die lauten Nachbarn ärgern und sich trotzdem auf ein Bier zu ihnen setzen, Heavy Metal, Streetpunk und Schlachtrufe bis in die frühen Morgenstunden.

Im Amphitheater spielt währenddessen richtige Musik, live und direkt: langweiliger Rap von L’Infanterie aus Marseille, der wohl eher für die Basketballer gedacht war, die ebenfalls gegen Rassismus Körbe werfen. Für die wahren Hooligans, die es schliesslich nur beim Fussball gibt, kommt die richtige Musik von der Banda Basotti und natürlich Los Fastidios. «Was für ein Konzert!», Clemens lächelt versonnen und veranstaltet mit seinen MitspielerInnen ein Höllenpogo vor der Bühne, oben knallt das Feuerwerk, und das Sicherheitspersonal wird nach Hause geschickt. Die tapferen ZSK haben als Anschlussband keine Chance, nur eine Hand voll deutscher Punks torkelt auf und ab, aber die sind wahrscheinlich Tote-Hosen-Fans. Der Mob trampelt derweil im Festzelt auf Tischen und Bänken und schmettert die Hymne von Los Fastidios weiter hinaus in die Nacht: «C’mon, c’mon, c’mon, c’mon, c’mon, c’mon, Antifa-Hooligans.»

Genau wie an Openairs stösst man auch hier auf einen Bazar - einen ohne Haschpfeifchen und Bob-Marley-Mützen allerdings. Kaufen kann man unzählige Ultra Shirts, Aufkleber, Kapuzenpullis und dicke Fotoalben von nicht minder umfangreichen alten Hooligans, die Fotos von ihren grandiosen Pyroshows und Choreografien an den Mann zu bringen versuchen. An den Mann, denn Frauen sind nur wenige gekommen. Selbst linker Fussball ist nach wie vor eine Männerdomäne. Dennoch schafft es die Gruppe Giessen Asozial am Samstag, ein Frauenturnier auf die Beine zu stellen. Und plötzlich stehen zehn Frauschaften im Matsch. Und sie spielen, im Gegensatz zu den Männern. Weil es in der vergangenen Nacht wie aus Kübeln geschüttet hat, stehen die Spielfelder unter Wasser, und die Herren schiessen nur noch Penaltys.

Wo bleibt die Polizei?

Das Frauenturnier hat entsprechend viele ZuschauerInnen. Frauenfussball und Schlamm versprechen viel Spass. Gewinnen tun dann gleichauf zwei Teams aus Deutschland. Auch nach dem Penaltyschiessen ist der Spielstand noch unentschieden, und es geht ja schliesslich nicht ums Gewinnen, sondern um Toleranz und gegen Rassismus. Ob so viel Harmonie wird es manchen Antifa-AktivistInnen schon fast langweilig: «In der Schweiz wären längst die Nazis einmarschiert. Oder zumindest die Polizei. Dann wärs abgegangen.»

Die Polizei hat sich in den ganzen vier Tagen tatsächlich nur kurz gezeigt. Und zwar an der Demo vom Freitagabend. Von einem knappen Dutzend Carabinieri in Regenjacken begleitet, zieht der Zug von 2000 Ultras, Hooligans und LinksaktivistInnen zum Dorfplatz. Keine Kastenwagen, keine Wasserwerfer, kein Kessel. Die Anwohner winken freundlich aus den Fenstern und freuen sich über das Feuerwerk, die grossen Fahnen und die ArtistInnen auf ihren Stelzen. Und ich frage mich, ob das auch in Uzwil möglich wäre.


Die Mannschaft Ostblock ist nicht ins Finale gekommen. Die Frauschaft Ostblock hingegen, verstärkt durch Spielerinnen aus Bern und aus Deutschland, hat das Frauenturnier auf dem dritten Platz beendet.