Internationale Intervention in Afghanistan: Die Uno als Subunternehmer

Seit einem Vierteljahr durchpflügt die modernste und spektakulärste Militärmaschinerie der Welt eines der ärmsten und schwächsten Länder des Globus – mit Mitteln, über die das allgegenwärtige CNN der Generalität Schweigen gelobte. Zugleich ist die zugegebenermassen wenig attraktive afghanische Herrschaftsstruktur vollständig umgekrempelt und durch eine hoffentlich vertrauenerweckendere ausgewechselt worden. Die USA und ihre europäischen Vasallen sind um ein Protektorat reicher und dabei, es zumindest militärisch vollständig in den Griff zu bekommen. Das alles läuft unter der offiziellen Begründung der «Selbstverteidigung» (Art. 51 Uno-Charta) gegen den Terrorismus. Das wird wohl auch noch eine Zeit lang so laufen und droht auf andere, jeweils neu zu definierende Länder (wie Somalia, Irak, Jemen) überzugreifen, ohne dass die immer krasser werdende Absurdität des Selbstverteidigungsarguments die Akteure sonderlich stört.

Man kann den USA diesmal nicht wie im Falle des Nato-Krieges gegen Jugoslawien vorwerfen, die Uno schlicht übergangen zu haben. Die US-Regierung hat sie schon am Tag nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 um Unterstützung nachgesucht. In zwei Resolutionen (1368 und 1373) signalisierte der Uno-Sicherheitsrat, den geplanten US-Feldzug gegen den Terrorismus nicht mit eigenen Initiativen und Begrenzungen zu stören. Er hat den USA zwar kein Mandat gegeben, aber ihnen den Vortritt gelassen – in der resignierten Erkenntnis, dass sie ihn sich sowieso genommen hätten. Doch nun ist der Feldzug weitgehend erfolgreich abgeschlossen, und die verstärkte Einschaltung der Uno lässt keine quer laufenden Interessen im Neuordnungsprozess Afghanistans mehr befürchten. Im Gegenteil, die aktive Beteiligung der Uno bringt Vorteile. Der grösste ist wohl die nachträgliche Legitimation der kriegerischen Operationen, die auch von den schärfsten KritikerInnen nur schwer widerlegt werden kann. Zudem erweitert die Einbeziehung der Uno die Legitimations- und Operationsbasis durch Arbeitsteilung. Diese überträgt anderen Staaten die Sicherungs- und Ordnungsaufgaben, die zwar notwendig sind, aber nicht unbedingt von den USA selbst übernommen werden müssen – sofern deren strategisches Oberkommando unangetastet bleibt.

Das sind die politischen Voraussetzungen für die jüngste Resolution 1386 des Uno-Sicherheitsrats, die er am 20. Dezember in nur wenigen Minuten einstimmig verabschiedete. Sie schafft die völkerrechtliche Voraussetzung für die Einsetzung einer «International Security Assistance Force» (Isaf) für Afghanistan, in Deutschland in freimütiger Anknüpfung an die unvergessene Kolonialpraxis «Schutztruppe» genannt. Die Isaf ist keine Truppe der Blauhelme, die der Zustimmung der Regierung des Gaststaates bedürfen. Die schnell wahrnehmbare Abneigung der noch nicht einmal installierten neuen Machthaber in Kabul gegen zu viele ausländische Truppen und das Fehlen eines Kampfauftrags für Blauhelme liessen eine wesentlich robustere Uno-Truppe angebracht erscheinen. So bediente sich der Sicherheitsrat des VII. Kapitels der Uno-Charta und erklärte die Situation in Afghanistan auch «weiterhin zu einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit» (Art. 39 Uno-Charta).

Damit schafft er sich die Möglichkeit, auf die militärischen Massnahmen nach Art. 42 Zugriff zu nehmen. So ermächtigte er «die an der Sicherheitsbeistandstruppe (Isaf) teilnehmenden Mitgliedstaaten, alle zur Erfüllung ihres Mandats notwendigen Massnahmen zu ergreifen». Das ist die Formulierung, die der Sicherheitsrat schon in der Resolution 678 vom November 1990 benutzt hatte, um die irakischen Truppen aus Kuweit zu vertreiben; sie eröffnet weitreichende Operationsmöglichkeiten. Ihre Begrenzung auf die «Aufrechterhaltung der Sicherheit in Kabul und Umgebung» entspricht schon nicht mehr dem neuesten Stand der Dinge, da über eine Ausweitung auf weitere Städte und Regionen bereits verhandelt wird.

Die Resolution 1386 weicht vom bis anhin gewahrten «Solidaritätsprinzip» bei der Finanzierung ab, das alle Uno-Mitgliedstaaten mit abgestuften Beiträgen zur Deckung der Militärmissionen heranzieht. Für die Isaf aber sollen die beteiligten Staaten ihren Einsatz selbst bezahlen. Das privilegiert die Nato-Staaten, die trotz allem Gejammer immer zahlungskräftig sind, wenn es ums Militär geht. Und es schliesst die Beteiligung jener ärmeren Staaten aus, die weniger unter Verdacht stehen, mit einem Einsatz auch eigene ökonomische und strategische Ziele zu verfolgen. Der einzurichtende Treuhandfonds für freiwillige Beiträge wird diese Benachteiligung nicht kompensieren können.

Der britische Aussenminister Jack Straw hat in einem Brief an den Sicherheitsrat vorgängig angeboten, dass Britannien die Führung der Streitkräfte übernimmt. Der Sicherheitsrat hat das Angebot akzeptiert und auf das Schreiben Straws «mit Genugtuung» verwiesen, ohne in der Resolution auf seinen weiteren Inhalt einzugehen. Straw unterstellt darin die Isaf dem Oberbefehl des «United States Central Command» der «Enduring Freedom»-Truppe, um von vornherein Konflikte der parallel operierenden Kontingente zu vermeiden. Das «US-Central Command» in Florida hat eine Dependance in Kabul, den «Joint Coordinating Body», dem nun auch die Isaf angegliedert wird. Die Nachfolger der Briten in der Führung der Isaf, die Türken, werden an dieser Befehlskette nichts ändern.

Die Uno werden so zum Subunternehmer der USA. Diese dehnen ihre Militäreinsätze zeitlich und territorial beliebig aus, da auch noch im letzten Wüstenloch ein al-Kaida-Terrorist vermutet werden kann. Währenddessen wird der Uno die weit schwierigere Aufgabe übertragen, die rivalisierenden Fraktionen der labilen afghanischen Regierungsallianz in Schach zu halten, worüber das «US Central Command» wacht. Dies mag man als Meisterleistung der US-Diplomatie bewundern und als Vollendung der Neuen Bush-Weltordnung erkennen – eine Perspektive für die Uno und den Frieden in der Welt bietet es allerdings nicht.

Norman Paech

Der Autor ist Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für Wirtschaft und Politik, Hamburg.