Japan: Schlamperei und immer neue Lecks

Nr. 35 –

Noch immer zeitigt die Katastrophe im AKW Fukushima gravierende Folgen. Die AKW-Betreiberfirma Tepco informiert jedoch nur häppchenweise.

Fast zweieinhalb Jahre nach der dreifachen Kernschmelze im japanischen AKW Fukushima zeigt sich, dass die Lage noch immer ausser Kontrolle ist. Die jüngsten Unfälle mit kontaminiertem Kühlwasser, das in grossen Mengen austritt, bestätigen das. Seit dem Unfall vom 11. März 2011 werden die Brennelemente in den geschmolzenen Reaktoren mit Wasser gekühlt, das danach als kontaminiertes Material in Speichern «vorübergehend zwischengelagert» werden muss. Bereits im Februar berichteten japanische Medien jedoch, dass die Speicher für das Wasser am Rande der Aufnahmekapazität sind.

Sogar die Medien schweigen nicht

Nun ist klar: Sie sind auch nicht dicht. Letzte Woche gab die AKW-Betreiberfirma Tepco zu, dass drei Container leck sind und zirka 300 Tonnen mit radioaktivem Tritium kontaminiertes Wasser ausgeflossen waren. Der Unfall wurde auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare Ereignisse (INES) mit Gefährlichkeitsstufe 3 als ernster Störfall bewertet. Die Lage ist so dramatisch, dass sogar die japanischen Mainstreammedien, die normalerweise vieles totschweigen, gezwungen sind, darüber zu berichten. Dennoch üben sie nur vereinzelt Kritik an Tepco und der Regierung. Meist werden die Verfehlungen nur in den wenigen alternativen Medien, auf Facebook und auf der Strasse aufgegriffen. Im Regierungsviertel von Tokio findet jeden Freitag eine Anti-AKW-Kundgebung statt.

Kritik an Tepco kommt nun immerhin von der japanischen Regulierungsbehörde NRA, die dem Unternehmen offen schlampiges Management vorwirft. So würden Aufzeichnungen über regelmässige Inspektionen im Umkreis der Wasserbehälter fehlen. Die undichten Stellen hätten schon viel früher entdeckt werden können. Die NRA ist eine dem Umweltministerium untergeordnete Behörde. Sie hat nicht nur den Auftrag zu entscheiden, ob die nach der AKW-Katastrophe stillgelegten Reaktoren wieder in Betrieb genommen werden, sondern soll auch das «schwer angeschlagene öffentliche Vertrauen in die Regulierung und Verwaltung der nuklearen Sicherheit» wiederherstellen.

Keine leichte Aufgabe, zumal immer neue Berichte über Unfälle an die Öffentlichkeit gelangen, wenn auch nur in kleinen Portionen. Dass dahinter ein Muster steckt, zeigt schon nur ein Blick ins Archiv der Vorfälle von 2013. So teilte Tepco Anfang April mit, dass bis zu 120 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser aus einem Auffangtank ausgetreten sein könnten. Es sei aber unwahrscheinlich, dass dieses Wasser ins Meer gelange. Wenige Tage später wurde die Vermutung dann als Tatsache bestätigt – und ein neuer Unfall bekannt gegeben: Beim Umleiten von radioaktiv verseuchtem Wasser aus einem Sammelbecken seien Rohre geplatzt.

Anfang Juni wurde das nächste Leck bekannt. Zwei Wochen später informierte man die Bevölkerung, dass im Grundwasser von Fukushima eine erhöhte Konzentration an Strontium 90 entdeckt worden sei. Wieder zwei Tage später gab Tepco den Austritt von radioaktiv verseuchtem Wasser aus einer schadhaften Entsalzungsanlage zu. Im Juli seien zudem Cäsium 134 und Cäsium 137 aus einem Leck ins Grundwasser gelangt. Und Ende Juli gestand Tepco erstmals ein, dass bereits seit 2011 radioaktiv verseuchtes Kühlwasser ins Meer geflossen ist – schätzungsweise 300 Tonnen täglich. Hinzu kommt, dass weiterhin eine grosse Menge Grundwasser in die beschädigten Reaktorgebäude eindringt und sich dort mit dem aus lecken Tanks austretenden Kühlwasser vermischt.

Siebzig Prozent wollen Ausstieg

Wenig wundert es also, dass das Vertrauen der JapanerInnen in Bezug auf die «nukleare Sicherheit» sehr tief ist. Daran ändert auch die Ankündigung von Tepco nichts, weitere Container für 800 000  Tonnen kontaminiertes Kühlwasser aufzustellen. Und ob es die Menschen beruhigt, dass nun die Regierung das Ruder in die Hand nehmen will, wie von Industrieminister Toshimitsu Motegi angekündigt, ist ebenfalls fragwürdig.

Dass die jüngsten Unfälle etwas an der Entscheidung ändern, die stillgelegten Reaktoren nach und nach wieder in Betrieb zu nehmen, glaubt in Japan ohnehin kaum jemand. Ministerpräsident Shinzo Abe hat bereits mehrfach angekündigt, nicht nur die bestehenden AKWs wieder einzuschalten, sondern auch neue bauen zu wollen. Dies, obwohl sich laut Umfragen rund siebzig Prozent der Bevölkerung einen Atomausstieg wünschen.