James Joyce: Vom Beten und Schnüffeln

Nr. 45 –

Blasphemie, Wortwitz und Erotik: James Joyce hat immer noch Etliches zu bieten. Das zeigen eine Inszenierung und ein kleines Bändchen mit neuen Übersetzungen eines Joyce-Textes.

Im Spiegelkabinett versuchter Deutungen: Stefan Kollmuss, Shirley Grimes und Rob Kloet steuern in «Pure Joyce» immer wieder mal in eine Sackgasse. Foto: Tabea Hüberli

Lustig ist James Joyce, versichert der führende Joyce-Forscher Fritz Senn immer wieder, und man soll sich doch von der angeblichen Komplexität nicht so einschüchtern lassen. Lustig ist der kürzlich in Zürich uraufgeführte Abend «Pure Joyce» tatsächlich.

Zuerst aber trifft einen Joycens Blasphemie. Wenn der Schauspieler Stefan Kollmuss als Priester zur Messe bittet und die ZuschauerInnen dringlich zum Aufstehen auffordert, wirkt die Macht der herkömmlichen Rituale. Und gleich darauf wirkt die Macht von deren Zerstörung, wenn der unrettbare Ire Joyce die Formeln verballhornt, zermalmt, zertrümmert. «Let us pray» wird zu «let us pry», und so kommen wir vom Beten gleich zum Herumschnüffeln, was ja gelegentlich dasselbe ist, aber auch ein paar aktuelle Bezüge zur NSA erlaubt.

Joyce (1882–1941) hat sich für seine Kunst in allen Kulturen, Sprachen und Gegenden bedient, und ein internationales Trio setzt das in einer Aufführung im Zürcher Lokal Helsinki adäquat um: Shirley Grimes, irische Sängerin, die seit zwanzig Jahren in der Schweiz wohnt, hat sich mit dem Schauspieler und Rezitator Stefan Kollmuss aus Genf und dem niederländischen Schlagzeuger Rob Kloet (der unter anderem mit The Nits spielt) zusammengetan.

Irische Volksmusik, natürlich

Joyce lesen heisst immer auch, lustvoll um die Bedeutung seiner Worte streiten. Eifersüchtig wachen die drei über eine einzige, zerfledderte Joyce-Ausgabe und machen dann doch gemeinsame Sache, um die vielfältigen Sinnebenen auszuschöpfen. Wenn sie in eine Sackgasse zu geraten drohen, werden in zuvor aufgezeichneten Telefongesprächen Experten oder Namensvettern beigezogen, was weiter ins Spiegelkabinett versuchter Deutungen führt.

Zum Wortwitz gehört die Musik, irische Volksmusik natürlich, oder dann katholische Hymnen; ein via Tonband eingespielter Rap ist indes nicht so ganz gelungen. Dafür schlägt Rob Kloet einen hypnotischen, sich zum Crescendo steigernden Rhythmus. Erotisch ist Joyce ebenfalls, wie Shirley Grimes anhand eines Ausschnitts aus dem grossen inneren Monolog von Molly Bloom am Schluss des «Ulysses» zeigt, der über fünfzig Druckseiten hinweg läuft, ohne Satzzeichen und mit nur ganz wenigen Abschnitten, die in jene allerletzten Halbsätze, Gedanken, Gefühle münden, die von der unvergleichlichen Kate Bush als «Flower of the Mountain» vertont und gesungen worden sind.

Erotisch sind auch die kurzen Prosanotizen und das längere Prosagedicht «Giacomo Joyce», die Joyce um 1914/15 in Triest niederschrieb. Aus dem Nachlass 1968 herausgegeben, wurden sie im gleichen Jahr vom verdienstvollen Klaus Reichert ins Deutsche übertragen. Jetzt werden in einem kleinen Bändchen gleich zwei neue Übersetzungen vorgelegt. Oder noch mehr als zwei. Denn die beiden deutschen Autoren Alban Nikolai Herbst und Helmut Schulze haben ihre je verschiedenen Versionen im Internet zur Diskussion gestellt und die Anregungen jeweils verarbeitet.

«Giacomo Joyce» ist nicht der beste Text von Joyce. Offenbar ist er damals in Triest von einer amourösen Affäre übermannt worden. Das geheime Begehren zwischen irischem verheiratetem Intellektuellen und italienischer Adligen inszeniert er als Zusammenprall zwischen Zerebralität und Vitalität, und er verwendet stellenweise leicht klischierte Bilder der Frau als Schlange. Immerhin, das unterschreitet nie ein gewisses hohes Niveau, und die vielschichtigen Anspielungen bieten Stoff zum Duell um die trefflichere Übersetzung.

«Heidnisch gesegneter Ehebetrug»

Welchen Sprachgestus zum Beispiel soll man wählen: aktualisierend oder mit ein wenig Patina? Zwei Beispiele mögen genügen. «Ihr Körper hat keinen Geruch: eine duftlose Blume», übersetzt Herbst, dagegen Schulze: «Ihr duftloser Körper: Blume, die nach gar nichts riecht.» Offenkundig ist die erste Fassung näher beim originalen Rhythmus. Andererseits wirkt die «duftlose Blume» botanisch unelegant und wäre einfacher und rhythmischer durch «eine Blume ohne Duft» zu ersetzen. Schulze hingegen will mit dem «nach gar nichts riecht» ein wenig wegwerfendes Alltagsdeutsch in den Text hineinbringen.

Wie sieht es mit den verführerischen Schlangen aus? Herbst dichtet: «Sie windet sich über das zerknautschte Lager näher und näher heran. Ich kann mich weder rühren noch kann ich etwas entgegnen. Sich ringelndes An-mich sterngeborenen Fleisches. Heidnisch gesegneter Ehebetrug. Nein. Ich will weg. Ich werde.» Schulze kontert: «Langsam umschliessen mich ihre Windungen auf dem zerknautschten Sofa. Ich bin gelähmt, ich sag’ kein Wort. Sich heranschlängelndes Fleisch, aus Sternen geboren. Treuloses Orakel. Nein. Weg von hier. Weg.» Im Internet übrigens hiess das noch ganz anders. Schulzes «umschliessen mich ihre Windungen» macht die Bewegung zum Subjekt: Das ist geschmäcklerisch. Das «starborn flesh» ist wohl schon bei Joyce gescheitert.

Bemerkenswert die unterschiedlichen Versionen von «adultery of wisdom». Herbst interpretiert auf den ersten Blick plausibler. Es ist Giacomo, der betrügt, und Herbst führt die «Weisheit» dann in die Kulturgeschichte zurück. Schulze geht weiter weg: Bei ihm betrügt die «wisdom» als ein falsches Orakel. Einen Sieger gibt es da natürlich nicht.

«Pure Joyce» in: Zürich, Club Helsinki, 
Freitag, 19., bis Sonntag, 21. November, 18 Uhr.

James Joyce: «Giacomo Joyce». 
Mit zwei Aneignungen ins Deutsche von Alban Nikolai Herbst und Helmut Schulze. edition taberna kritika. 
Bern 2013. 72 Seiten. 15 Franken.