Editorial: Wer überwacht 
die Überwacher?

Nr. 49 –

Ein Mitarbeiter des Schweizer Geheimdiensts entwendet Daten im 
grossen Stil, die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments wirft 
dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gravierende Sicherheitsmängel vor. Darauf gibts neue Stellen, um die Sicherheits-
lücken zu schliessen, während weiterhin lediglich sechs ParlamentarierInnen die ÜberwacherInnen überwachen. Wann 
immer Geheimdienste Skandale verursachen, erhalten sie mehr Personal, um hinter sich aufzuwischen.

Damit nicht genug: Der Bundesrat will dem Schweizer Geheimdienst nicht etwa weniger, sondern mehr Befugnisse geben. Noch diesen Winter wird er dem Parlament einen bereinigten Gesetzesvorschlag vorlegen.

Draussen in der Welt haben die Enthüllungen von Edward Snowden derweil deutlich gemacht, wie der US-Geheimdienst NSA überwacht: flächendeckend und umfassend. Noch ist unklar, inwieweit der NDB seinen Teil dazu beigetragen hat.

Überwachung geschieht mit neusten technologischen Mitteln und stellt ganze Bevölkerungen unter Generalverdacht. Wir drehen den Spiess um: Wir überwachen die Überwacher. Was geschieht, wenn man Markus Seiler, den höchsten Geheimdienstler der Schweiz, observiert? Die Resultate finden Sie in einer grossen Reportage: Was ist möglich, welche Konsequenzen ergeben sich für die Betroffenen, und wo
 stösst die Überwachung an Grenzen – die der Geheimdienst natürlich geheimerweise stets überschreiten kann.

Daher ist Aufklärung nötig. Wir tun das mit Recherchen und Artikeln über Big Data und Überwachungsfirmen in der Schweiz, erinnern 
an die Fichenaffäre, zeigen aber auch, wie man sich im Internet vor den zudringlichsten Übergriffen schützen kann, und präsentieren eine Alternative aus Athen. Die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh, die sich seit langem gegen den Überwachungsstaat einsetzt, erklärt im Interview, wie mit Überwachung die Demokratie ausgehebelt wird.

Zeh weist auf einen weiteren Aspekt hin: Erst Geheimnisse machen 
uns zum Menschen. Tatsächlich umkreist diese Spezial-WOZ das 
Thema «Geheim» in einem weiten Sinn. Wir gehen kulturgeschichtlich den Geheimnissen der Schweizer Seele nach, verfolgen, wie die katholische Beichte zur öffentlichen Abbitte geworden ist, diskutieren, wie die versuchte Aufdeckung von Geheimnissen in Verschwörungstheorien umschlagen kann und wie Letztere durch Filme geschürt werden. Geheimnistuerei mag zuweilen sogar berechtigt sein, etwa im Fall des IKRK. Oder dann, wenn wir selbst über unsere NachbarInnen zu 
spekulieren beginnen. Auch Sie, die unbekannten WOZ-LeserInnen, entgehen der Durchleuchtung nicht. Dafür schenken wir Ihnen geheime Preise, wenn Sie unsere Rätsel lösen. 


Das WOZ-Kollektiv