Bruno Margadant (1929–2013): Der Kommunist, der auch Picassos kaufte

Nr. 2 –

Mit Leidenschaft sammelte Bruno Margadant politische Plakate aus der Schweiz und aus aller Welt. Und wurde so zu einem bedeutenden Chronisten der Arbeiter- und Protestbewegung.

«Bruno Margadant 2009 bei sich zu Hause. Er feierte damals seinen 80. Geburtstag.» Foto: Ursula Häne

Wann genau Bruno Margadant mit dem Sammeln von Plakaten angefangen hatte, wusste er selbst nicht mehr. Es muss in den frühen fünfziger Jahren gewesen sein. Doch fasziniert von «bedrucktem Papier» war er seit frühester Jugend. Diese war vom antifaschistischen Milieu der Zwischenkriegszeit geprägt. Sein Vater Mathis Margadant, ein kantiger Bündner Bergler, der nach Zürich gezogen war, diente 1935 selbst als Modell für ein Wahlplakat der Kommunistischen Partei.

Margadants politische Sozialisation erfolgte in der Partei der Arbeit (PdA). Er wurde Kommunist. Beruflich arbeitete er als Schriftsetzer – unter anderem als erster Redaktionsgrafiker beim jungen «Blick». Mehrmals verlor er aus politischen Gründen den Job. Dabei hatte die Bundespolizei die Hand im Spiel, sie verfolgte ihn auf Schritt und Tritt. An seiner Fiche lässt sich die schweizerische Mc-Carthy-Ära in den 1950er Jahren bestens rekonstruieren: Kommunistenhysterie par excellence. Als Margadant 1961 eine neue Stelle in Flawil antrat, informierte der Dorfpolizist «in ganz diskreter Weise» den Arbeitgeber über Margadants politische Gesinnung. So lief damals das Kesseltreiben gegen missliebige Eidgenossen.

Mehr als «Reklamekunst»

Die «Schwere» des Falls Margadant für die Bundespolizei lässt sich in Kilogramm ausdrücken: Am Schluss wogen seine von der Bundespolizei erhobenen Spitzelberichte nahezu drei Kilogramm. Dabei war Margadant nichts weiter als anderer Ansicht. Er wollte sich nicht mit der kapitalistischen Schweiz abfinden. Dem kommunistischen Ideal von Gleichheit und Gerechtigkeit blieb er im Herzen bis zuletzt treu, auch wenn er sich schon vor Jahrzehnten – im Vorfeld der Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahr 1968 – von der PdA abgewandt hatte und in die SP eingetreten war.

Für Margadant war der 1. Mai der höchste Feiertag. Er hängte dann jeweils eine rote Fahne aus dem Fenster seiner Wohnung in St. Gallen. Und wenn die Demo unten am Haus vorbeilief, so war dies ein weithin sichtbares Zeichen, dass mit ihm noch zu rechnen war, selbst als er nicht mehr am Umzug teilnehmen konnte. «Kopf gut, Beine scheisse», pflegte er jeweils brummig und in gebotener Kürze auf Fragen nach seinem Gesundheitszustand zu antworten. Nur um dann sofort ins Politisieren zu verfallen, das für ihn einfach zu einem anständigen Leben gehörte.

Ein feines Sensorium für visuelle Belange liess Margadant auf die hoch entwickelte Schweizer Plakatkunst aufmerksam werden. Bald stapelten sich zu Hause politische Plakate aus aller Welt. «Für das Volk, gegen das Kapital», ein PdA-Slogan, lieh ihm den Titel für seine erste Publikation, die 1973 erschien. Sie zeigte Plakate der schweizerischen Arbeiterbewegung seit dem Ersten Weltkrieg. Theo Pinkus schrieb dazu das Nachwort.

Zehn Jahre später erschien der Band «Das Schweizer Plakat 1900–1983», mit dem er landesweit bekannt wurde. Erstmals bot eine Publikation eine Gesamtschau des schweizerischen Plakatschaffens. Margadant hatte in akribischer Arbeit die Daten von 300 teils unbekannten Künstlern und Gestalterinnen zusammengetragen. «Wir fragten sogar viele Einwohnerkontrollen an», erinnert sich Alexa Lindner Margadant. Sie war ihrem Mann bei den langwierigen Recherchen behilflich. Das Buch gilt längst als Standardwerk eines Genres, in dem die Schweiz punktete: Sie ist nach Meinung von Fachleuten das einzige Land, das früh einen für alle Bereiche praktikablen Plakatstil entwickelt hat.

Margadant zeigt die Entwicklung von Ferdinand Hodler bis Augusto Giacometti und Hans Erni auf und legt die Wurzeln des Plakatschaffens frei, das in der Frühzeit des 20. Jahrhunderts noch als «Reklamekunst» firmierte. Überraschend ist, wie unbekannt die SchöpferInnen von Plakaten geblieben sind, die seinerzeit jedes Kind kannte. Darunter Herbert Leupins Werbung für die Bata-Schuhe aus dem Jahr 1954 oder Niklaus Stoecklins Plakatwerbung für Gaba-Hustenbonbons 1927. Margadants politischer Blick offenbarte sich im Kapitel über verbotene Plakate, an denen meist ein (zu) nackter Frauenkörper oder eine (zu) linke Kritik Missfallen erregte.

Zeuge und Täter zugleich

Beispielsweise genügte 1938 die Darstellung von vier Bundesräten mit einem Gesslerhut für ein Verbot, das der St. Galler Stadtrat aussprach. Noch 1981 verbot der Zürcher Stadtrat ein Plakat der rebellierenden AJZ-Jugend, auf dem diese zu einem «Zürcher Tribunal» gegen Polizeiwillkür aufrief. Als Unikum in der Plakatgeschichte vermerkte Margadant den Protest ländlicher Bevölkerungskreise gegen das offizielle Plakat der Landesausstellung 1914, das vom Maler Emil Cardinaux stammte: Stein des Anstosses war ein grünes Pferd. «Darin verbarg sich der noch nicht überwundene Schock durch die moderne Kunst», analysierte Margadant.

Als sein «Hauptwerk» hat Margadant selbst sein 1998 erschienenes Buch «Hoffnung und Widerstand» bezeichnet. Es lässt auf 300 Seiten das 20. Jahrhundert Revue passieren: ein ikonografisches Fresko der sozialen Kämpfe, kraftvoll, bewegt, gewaltig. Margadants Sammlung «sozialistischer» Plakate, wie er sie nannte, befindet sich heute im Besitz des Zürcher Museums für Gestaltung. Ein grosser Teil des Verkaufserlöses floss in die Buchproduktion. Dass es dazu kam, ist wesentlich das Verdienst des damaligen Direktors Martin Heller. «Margadant ist mit Recht stolz darauf, Zeuge und Täter gewesen zu sein», schrieb er in der Einführung, in Anspielung auf Margadants politisches Engagement.

Die Sammlung zeigt die grossen historischen Umbrüche wie etwa die russische Revolution oder die chinesische Kulturrevolution, aber auch 1.-Mai-Aufrufe oder die Plakatwerke der Befreiungsbewegungen aus der Zeit der Dekolonisation. Weniger bekannt ist, dass Margadant seit 1949 Gebrauchsgrafik von Pablo Picasso erwarb. Auch daraus resultierte eine grosse Sammlung von 300 Blättern. Picasso war einer jener Künstler, in denen sich in aufsehenerregender Weise Kunst und Politik trafen. Die Welt horchte auf, als der damals schon berühmte Künstler 1944 der Kommunistischen Partei Frankreichs beitrat.

Die Picasso-Sammlung befindet sich heute in Berlin, ebenso wie die Sammlung mit den Schweizer Plakaten: Die dortigen staatlichen Museen kauften sie ihm ab. Dass der Verkauf ins Ausland erfolgte, war ein Akt mit Symbolgehalt. Ausgerechnet Margadants Einsatz für das eidgenössische Kulturerbe fand keine abschliessende Würdigung im eigenen Land. Der Kommunist und spätere SP-Mann galt dem Establishment zeit seines Lebens als missratener Sohn. Seine schwere Fiche hielt Margadant fast triumphierend in der Hand: Es sei der Bupo – der Bundespolizei – trotz aller Anstrengung nicht gelungen, ihn zu vernichten, pflegte er zu sagen.

Die Unruhe bleibt

Diesem Gefühl, Überlebender eines langen politischen Kampfes zu sein, gab er ganz zuletzt in der eigenen Todesanzeige Ausdruck. Sie war in der letzten Ausgabe der WOZ zu lesen. «Die politische Polizei hat mich länger als 40 Jahre amtlich bespitzelt und beruflich behindert», lässt er darin die Nachwelt wissen. Den Text hatte er im Angesicht des nahenden Tods selbst verfasst, mit jenem störrischen Eigensinn, der seine Persönlichkeit charakterisierte. Am Lebensende hatte er eine 84-jährige Karriere als Nonkonformist und linker Aufwiegler durchlaufen. Und so erschien ihm Bertolt Brechts Gedichtzeile äusserst passend, in der es heisst: «Wo er verjagt ist, bleibt die Unruhe doch.»

Die Nachgeborenen können Margadants Vermächtnis, seine Plakate mit den Kämpfen der Arbeiter-, Revolutions- und Protestbewegungen, in seinen Büchern nachschlagen. Oder einen Abstecher ins Zürcher Museum für Gestaltung oder auch nach Berlin machen. Der Verstorbene sähe es aber viel lieber, wenn alle mehr Widerstand leisten würden. Und dabei die Hoffnung auf gerechtere Zustände nicht aufgeben. So, wie er das nie getan hat.