Kulturgüterstreit: «Unser Ekeko möchte nach Hause»

Nr. 16 –

Für das Historische Museum in Bern ist er eine Steinfigur, für das Volk der Aymara ein Teil ihres Wesens: der «Geist des Ekeko». Nun wollen ihn die indigenen BolivianerInnen zurück. Der Aussenminister reiste extra nach Bern, um ihn zurückzuholen. Er hat Zeit.

Gottheit der Fülle: Die umstrittene Steinfigur Ekeko steht seit 1929 in Bern. Foto: Christine Moor © Bernisches Historisches Museum, Bern

David Choquehuanca steht vor dem Bernischen Historischen Museum und sucht nach Worten, die beschreiben können, was er eben erlebt hat. Erst sei ihm warm geworden, dann kalt, sagt der bolivianische Aussenminister, etwas Ausserordentliches habe er gespürt, eine Energie, eine Verbindung. «Seit ich ein Bewusstsein habe, weiss ich von unserem Ekeko. Aber ich wusste nicht, wo er ist. Heute haben wir uns zum ersten Mal getroffen.»

Der Ekeko ist aus Stein und 15,5 Zentimeter gross. Seit über achtzig Jahren steht er im Historischen Museum in Bern als eines von vielen Objekten der Dauerausstellung «Vielfalt der Kulturen in Amerika». Das Museum nennt ihn «Steinfigur BHM Inv. Pe 145». Für die Aymara, das indigene Volk, dem Choquehuanca und Boliviens Präsident Evo Morales angehören, verkörpert die Figur den «Illa del Ekeko», den Geist des Ekeko – eine Gottheit, die für die «energía de la abundancia» steht, die Energie der Fülle, des Wohlbefindens, des Überflusses. «Der Ekeko ist Teil unserer Spiritualität, Teil unseres Wesens», sagt der Aussenminister. «Er verkörpert eine der wichtigsten Energien, die wir kennen.»

Abgefüllt und abgehauen

Bis zum 18. Oktober 1858 stand die Figur in Tiahuanaco, einer Ruinenstätte auf dem Altiplano, der Hochebene im Westen Boliviens, fast 4000 Meter über Meer. Dann kam Johann Jakob von Tschudi – ein Forschungsreisender aus Glarus, der die schweizerische Wahrnehmung der Sklaverei wesentlich geprägt hat und dabei Schwarze und Indigene als minderwertig beschrieb (vgl. «Tschudi und die ‹Mischlinge›» im Anschluss an diesen Text).

Da er seine Erlebnisse in Tiahuanaco später im fünfbändigen Werk «Reisen durch Südamerika» festgehalten hat, ist aus seiner Sicht zu erfahren, was sich an diesem Oktobertag vor 156 Jahren zugetragen hat. Johann Jakob von Tschudi und seine zwei Begleiter wurden bei ihrer Ankunft in Tiahuanaco mit dem Wortführer des Dorfs, «einem geschwätzigen Burschen», bekannt gemacht. Nachdem dieser «von meinen Reisegefährten ein grosses Glas Cognac in Empfang genommen hatte, kannte seine Höflichkeit und Dienstbereitwilligkeit keine Grenzen mehr», schreibt von Tschudi. Nach einem Rundgang durchs Dorf zeigte er dem Schweizer «ein Götzenbild, von dem er uns schon während der Exkursion viel erzählt hatte».

Eine «sehr interessante, gut gearbeitete Statuette», die zudem gut erhalten sei, «nur an der Nase ist ein kleines Stückchen abgebrochen». Johann Jakob von Tschudi brachte in Erfahrung, dass die Figur, die ihm als «Gott der Diebe» vorgestellt wurde, «bei den Indianern von Tiahuanaco in hohem Ansehen» stand. «Die Indianer erzeigten ihm die nämliche Verehrung wie irgendeinem Heiligen der Kirche. Sein Besitzer zündete ihm alle Freitage eine Wachskerze an.» Nur scherzweise, schreibt er, habe er den Besitzer gefragt, ob er «diesen Heiligen nicht verkaufen wolle» – was dieser «mit Entrüstung zurückwies». Aber: «Meine beiden Reisegefährten verstanden den Wink.»

Während Johann Jakob von Tschudi das Objekt in Ruhe abzeichnete, überzeugten seine Gefährten den Mann, dafür zu sorgen, dass der Besitzer die Statuette verkauft. «Eine Flasche Cognac machte die Leute geschmeidiger.» Doch die Verhandlungen scheiterten zuerst am Preis. Als die Besucher dann aber auch noch «den Rest der Flasche unter die Indianer vertheilt» hatten, «ergriffen sie schon gänzlich betrunken die Initiative und als wir schon im Sattel sassen, kam das Geschäft zustande. Ich zahlte schnell, steckte das Idol in die Satteltasche.» Offenbar entbrannte ob dem übereilten Verkauf unter den Dorfbewohnern ein Streit. «Wahrscheinlich bedauerten die Indianer auf der Stelle das Geschäft, denn kaum hatten wir das freie Feld erreicht, so hörten wir einen infernalen Tumult hinter uns und sahen auch einige Indianer uns nacheilen, ihre Köpfe waren aber schwer und die Füsse unsicher.»

Alles an seinen Platz

So kam der Forschungsreisende davon und brachte die Figur in die Schweiz. 1929, dreissig Jahre nach Johann Jakob von Tschudis Tod, verkaufte dessen Enkel die Statuette dem Bernischen Historischen Museum, wo sie ein mässig beachtetes Dasein fristete – bis die bolivianische Botschafterin in der Schweiz, Elizabeth Salguero Carrillo, sie vor zwei Jahren bei einem Besuch in Bern entdeckte. Seither bemüht sich Bolivien darum, die Figur zurückzubekommen – derart entschieden, dass der Aussenminister allein ihretwegen nach Bern gekommen ist und nach seiner Begegnung mit dem Ekeko eine Pressekonferenz zu dessen Ehren einberuft.

Seit 2006, als mit Evo Morales zum ersten Mal ein Indigener zum Präsidenten gewählt wurde, sei Bolivien daran, seine indigenen Wurzeln wiederzufinden, sagt David Choquehuanca dort, «unsere Musik, unsere Spiritualität, unsere Philosophie, unsere heiligen Orte, unsere Symbole». Während Hunderter Jahre sei die indigene Kultur unterdrückt worden. «Unser Wissen war vergraben. Jetzt sind wir daran, es wieder auszugraben.» Es gehe darum, wieder auf den Pfad des «vivir bien», des guten Lebens, zurückzufinden, eines Daseins im Einklang mit Pachamama, der Mutter Erde. Statt wie die Industrienationen in ihrem Bestreben nach immer mehr Wachstum die Erde zu zerstören, müsste die Menschheit nach Harmonie streben, nach einem Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur, sagt er.

Die Aymara sind überzeugt: Allem, was Pachamama erschaffen hat, wohnt Leben inne, den Menschen, Tieren und Pflanzen, aber auch dem Meer, dem Gestein – und dem Ekeko. «Unser Ekeko leidet. Er weint. Er möchte nach Hause», sagt der Aussenminister. Ein Tiger könne auch nicht im Meer leben, «er gehört in den Dschungel». Und der Ekeko, der gehöre auf den Altiplano, ins bolivianische Hochland. Ein Leben in Harmonie sei nur möglich, «wenn die Dinge an ihren Platz zurückkehren».

«Sie werden uns recht geben»

Die Verantwortlichen des Historischen Museums teilen mit, sie seien grundsätzlich bereit, Objekte «bei begründeten Ansprüchen zurückzugeben». Doch während für die BolivianerInnen ausser Frage steht, dass ihr Anspruch begründet ist, stellt sich die Situation für die Verantwortlichen des Museums weniger eindeutig dar. Unbestritten ist: Johann Jakob von Tschudi nahm die wohl um die 2000 Jahre alte Figur in Tiahuanaco an sich. Aber wie lange war sie schon dort? Wo war sie zuvor? Und stellt sie tatsächlich den «Illa del Ekeko» dar?

Lediglich ein bolivianischer Archäologe, schreibt das Museum, interpretiere die Figur als eine Darstellung des Ekeko – andere Autoren sähen in ihr die Darstellung einer Wassergottheit, einer Gottheit der Fruchtbarkeit oder «einfach eine weibliche Figur». Um «die kontroverse Frage, was die Figur überhaupt darstellt, zu klären», will das Museum nun Gutachten einholen.

Auch David Choquehuanca hat nichts dagegen, dass ExpertInnen die Bedeutung der Statuette untersuchen. «Sie werden uns recht geben», sagt er, «denn wir wissen, dass der Ekeko der Ekeko ist.» In ein paar Monaten sollen die ExpertInnenurteile vorliegen. «Diese werden Grundlage für die weiteren Verhandlungen zwischen dem Museum und Bolivien sein», schreibt das Historische Museum. Der bolivianische Aussenminister sagt: «Wir werden zusammen eine sichere Brücke bauen, auf der unser Ekeko nach Hause kommen kann. Es wird nicht schnell gehen. Aber das entmutigt uns nicht. Wir sind nicht in Eile.»

Das darf man dem Mann glauben, zumal das Volk der Aymara eine ureigene Konzeption von Zeit hat: Die ungewisse Zukunft liegt hinter ihnen – dort, wo man keine Augen hat –, die Vergangenheit, über die man Gewissheit hat, liegt vor ihnen. Von Bedeutung für sie ist das, was sie selbst gesehen, gehört, gefühlt haben. Da man die Zukunft nie sieht, hat sie wenig Wert. Und wer wenig Erwartungen an die Zukunft stellt, hat viel Geduld. «Irgendwann, da bin ich sicher, wird unser Ekeko nach Hause kommen», sagt David Choquehuanca. Bis dahin blickt er in Gedanken wohl ab und an 200 Jahre nach vorne, nach Tiahuanaco, und dann sieht er ihn, den Ekeko, wie er dort steht an seinem Platz, und er weint nicht.

Tschudi und die «Mischlinge»

Der Glarner Naturforscher und Reiseschriftsteller Johann Jakob von Tschudi (1818–1889) prägte die «schweizerische Wahrnehmung der Sklaverei und der versklavten Schwarzen nachhaltig», schreibt der Historiker Hans Fässler im Buch «Reise in Schwarz-Weiss».

Wohl hielt Tschudi fest, dass sich angesichts des Bürgerkriegs in den USA die Sklaverei auch in Lateinamerika nicht mehr lange halten könne. Er argumentierte allerdings nicht humanistisch für eine Abschaffung, sondern rein wirtschaftlich und brachte seine Geringschätzung der SklavInnen und ihrer Nachkommen zum Ausdruck: Die SklavInnen seien ein «fruchtbares, aber böses Element». Und: «Es gibt auf der Welt keine verworfenere Menschenklasse als die Mischlinge von Negern und Indianern.»

Bei der Frage, ob Schweizer Auswanderer in Brasilien SklavInnen halten dürften, stützte sich der Bundesrat auf Tschudi als Sondergesandten: Er beantwortete sie, aus Mangel an Dienstboten, positiv.