Der Fall Sperisen: Schweizer Gesetze

Nr. 24 –

Für sieben Morde in einem Gefängnis wäre der ehemalige Polizeichef Guatemalas Erwin Sperisen zu Hause – anders als jetzt in Genf – nicht verurteilt worden. Seine mächtigen Freunde in Guatemala wüten gegen das Genfer Urteil.

Wenn man in Guatemala von «leyes suizas» spricht – von «Schweizer Gesetzen» –, dann meint man damit Regeln, die gemacht sind für ein perfektes Land, in dem es einen Rechtsstaat gibt und alles wie am Schnürchen funktioniert. Man denkt an ein Land, das ganz anders ist als das von Mafias und Gewalt beherrschte Guatemala. «Leyes suizas» sind eine schöne Illusion, für die Anwendung aber ungeeignet. Man muss schon ein bisschen härter zufassen, wenn man in Guatemala etwas erreichen will.

Erwin Sperisen hat hart zugefasst. Der heute 43-jährige Guatemalteke mit Vorfahren und zweiter Staatsbürgerschaft aus der Schweiz wurde schon mit 33 Jahren Polizeichef seines Landes – ohne jegliche Vorbildung, aber er kam aus der richtigen Familie; einer aus dem engeren Zirkel der Macht. Er hat, das wurde in Genf nun gerichtlich festgestellt, am 25. September 2006 im Gefängnis Pavón einen wehrlosen Häftling erschossen und die Exekution von sechs weiteren überwacht. In den besseren Kreisen Guatemalas wurde das gefeiert. Man lobte den jungen Mann für seine Durchsetzungskraft. Nun wurde er in Genf zu lebenslänglicher Haft verurteilt, nach Schweizer Gesetzen. Jene Kreise, die ihn gefeiert haben, finden das ungerecht.

Weiterer Prozess in Spanien

Der Anwalt Francisco Palomo etwa nennt das Urteil «infam»; es sei das Resultat «gerichtlicher Lynchjustiz». Palomo ist Verteidiger von Carlos Vielman, der damals als Innenminister der Vorgesetzte von Sperisen war. Auch Vielman hat eine zweite Staatsbürgerschaft, in seinem Fall die spanische. Also setzte er sich nach Madrid ab, als ihm der Boden in Guatemala zu heiss wurde. Dort soll ihm nun, wie Sperisen in Genf, der Prozess wegen der Morde von Pavón gemacht werden.

Eduardo Stein, damals Guatemalas Vizepräsident, streitet die Morde weiterhin ab: «Es ist nicht wahr, dass durch unsere Regierung Menschenrechte verletzt wurden», sagte er nach der Urteilsverkündung. Er hoffe, dass ein Berufungsverfahren das Urteil in seinem Sinn zurechtrücke.

Genugtuung herrscht dagegen bei Menschenrechtsorganisationen und bei den von der Uno geschickten Staatsanwälten der Internationalen Kommission gegen die Straffreiheit in Guatemala (Cicig), die dem Land beim Aufbau rechtsstaatlicher Verhältnisse helfen soll. Die Cicig hatte die meisten Beweise gegen Sperisen zusammengetragen und feierte nach dem Genfer Spruch. «Der Kampf gegen die Straffreiheit und für den Rechtsstaat ist durch das Urteil gestärkt worden», heisst es in einer Erklärung. Claudia Samayoa von der unabhängigen guatemaltekischen Menschenrechtsorganisation Convergencia por los Derechos Humanos sieht «einen grossen Schritt» für die internationale Rechtsprechung: «Niemand kann sich mit einer doppelten Staatsbürgerschaft vor strafrechtlicher Verantwortung drücken.»

Was ganz in Vergessenheit geriet, ist das eigentliche Motiv der Morde. Der angebliche Grund, das von den Insassen selbst kontrollierte Gefängnis wieder unter staatliche Herrschaft zu stellen, war vorgeschoben. Die internen Regeln werden in Pavón wie in vielen Haftanstalten Guatemalas von den Häftlingen aufgestellt und durchgesetzt. Nach Recherchen der WOZ galt der Polizeiüberfall ganz gezielt der ermordeten Gruppe. Die nämlich hatte begonnen, aus dem Gefängnis heraus Drogentransporte zu organisieren – und war damit ähnlich gelagerten Interessen von Sperisen in die Quere gekommen.

Abrechnung unter Drogenmafias

Der Polizeichef hat sich seinerzeit nicht in die Schweiz abgesetzt, weil ihm wegen dieser Morde strafrechtliche Konsequenzen gedroht hätten. Männer wie er werden in Guatemala in aller Regel nicht bestraft. Geflohen ist er erst nach einem weiteren vierfachen Mord. Im Februar 2007 wurden drei salvadorianische Abgeordnete des zentralamerikanischen Parlaments und ihr Fahrer in Guatemala erschossen. Das Verbrechen wurde nie richtig aufgeklärt. Klar aber ist: Auch hier ging es um eine Abrechnung unter Drogenmafias; den Mordbefehl hatte der Chef der Antidrogeneinheit der guatemaltekischen Polizei zusammen mit Mitarbeitern vollstreckt. Von ihm bis zu Sperisen war der Weg ganz kurz, und die hinter den Abgeordneten steckende Mafia war viel einflussreicher als die der Häftlinge von Pavón. Sperisen wusste, dass das für ihn gefährlich war. Denn in Guatemala gelten keine «leyes suizas», es gilt das Gesetz des Stärkeren.