Überwachung als Videospiel: Lasst uns die Welt hacken!

Nr. 24 –

Sie sind die Zauberer der Moderne: Das Videospiel «Watch Dogs» zeigt den Computer-Nerd als Superhelden. Und bietet einen erstaunlich klugen Kommentar zu unserer Überwachungskultur.

  • Spielszene aus dem Videospiel «Watch Dogs». Bilder: Ubisoft
  • Spielszene aus dem Videospiel «Watch Dogs». Bilder: Ubisoft
  • Spielszene aus dem Videospiel «Watch Dogs». Bilder: Ubisoft
  • Spielszene aus dem Videospiel «Watch Dogs». Bilder: Ubisoft
  • Spielszene aus dem Videospiel «Watch Dogs». Bilder: Ubisoft

Das Kerngeschäft für ProduzentInnen von Videospielen ist der Eskapismus und nicht die Reflexion der Wirklichkeit. Es geht darum, Prinzessinnen zu retten und Aliens abzuschlachten, so lautet auch heute noch das gängige Vorurteil. Das Spiel «Watch Dogs» beweist, dass es auch anders geht.

Als Edward Snowden vor recht genau einem Jahr das Prism-Programm der US-amerikanischen National Security Agency (NSA) enthüllte, befand sich das Videospiel bereits seit fünf Jahren in Entwicklung. Nun ist es erschienen und bietet doch ein treffendes Spiegelbild der Gegenwart. Dabei ist die Spielwelt nur ein bisschen finsterer geraten als die Wirklichkeit, die uns Snowden gezeigt hat. Das Prism-Pendant heisst hier Central Operating System und bezeichnet einen Computer-Cluster, der alles in der Stadt steuert – von Überwachungskameras über den öffentlichen Nahverkehr bis hin zur Stromversorgung.

Dieses umfassende Betriebssystem soll das Leben in der Stadt so effizient wie möglich organisieren. Geheuer ist es trotzdem nicht. Während man im Auto durch die Stadt fährt, hört man besorgte AnruferInnen, die sich im Radio nach der omnipräsenten Überwachungsinfrastruktur erkundigen. Plakatwände im Stil von Apple-Anzeigen sollen die BürgerInnen beschwichtigen, die sich davor fürchten, dass etwaige Schwachstellen ausgenutzt werden könnten.

Doch der Protagonist Aiden Pearce ist kein gewöhnlicher Hacker. Mit seinem Smartphone bringt er Verteilkästen zum Explodieren, Brücken heben und Tore schliessen sich, oder es schiessen Poller aus dem Boden, gegen die Polizeiautos in heisser Verfolgungsjagd krachen. In diesem Chicago sind die digitalen Daten fest in der Umwelt verankert – und lassen sie zum Spielmaterial des Hackers mutieren. «Wir sind die Zauberer der Moderne», flüstert ihm ein Kollege über Funk ins Headset. Und über das Internet sagt er: «Eine Datenwolke aus Lügen und Geheimnissen.»

Von der Neben- zur Hauptrolle

Abseits des Settings klingt die Story von «Watch Dogs» erst einmal erstaunlich konventionell. Sie handelt von einem Cyber-Bankraub, der schieflief. Weil dabei die Nichte des Helden ermordet wurde, plagen diesen seither Schuldgefühle. Auf seinem Rachefeldzug gerät er in einen schwer durchschaubaren Strudel aus Korruption und mafiösen Machenschaften. Doch die Möglichkeiten, die das Spiel gewährt, machen klar: Mit Aiden Pearce ist der Hacker endgültig im Pantheon der postmodernen Helden angekommen.

Das war nicht immer so. Seit dem Film «War Games» (1983), in dem sich ein Teenager versehentlich in die Rechner des US-Militärs schleicht und damit fast einen Atomkrieg auslöst, ist der Hacker zwar bestens integriert im Ensemble der Unterhaltungsindustrie. Doch wurde er lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Meist war er nicht mehr als ein pickeliger Deus ex Machina, der dem wahren Helden im Feldeinsatz den Weg freiknobelt, wenn der gerade mal wieder unter Beschuss ist.

Mittlerweile jedoch ist der Hacker vom Nebenrollen-Nerd zum Helden der Geschichte geworden. In der «Matrix»-Trilogie erlöst Keanu Reeves die Menschheit vom Joch der Maschinen, und neuerdings lässt Hollywood auch die Erfolgsgeschichten realer IT-Ikonen wie Steve Jobs oder Mark Zuckerberg als Hochglanz-Biopics produzieren.

Im Jahr 2014 endlich kommen sich Fiktion und Wirklichkeit näher denn je. Im Chicago von «Watch Dogs» lassen sich 6000 unterschiedliche Dinge manipulieren. Und auch wenn die Hacks, die man als Aiden Pearce vollzieht, in Wahrheit natürlich weitaus aufwendiger sind, als bloss auf einen Knopf auf dem Joystick zu drücken: Was man in der Spielwelt damit auslöst, ist in der Konsequenz nicht mehr weit von dem entfernt, was in der echten Welt möglich ist. Denn in Zeiten des «Internets der Dinge» sind nicht nur Computer online. Auch Handys funken permanent ins Netz, genauso wie Strassenampeln, Fernseher, Heizungsanlagen oder Autos.

Da ist es nur folgerichtig, dass sich «Watch Dogs» auch ästhetisch von anderen Computerspielen abhebt. Wie simuliert man die unsichtbaren Datenströme? Wie setzt man die doch recht nüchterne Computer-Interface-Umgebung stilgerecht in Szene? In Filmen wie der «Matrix»-Trilogie lief Nonsens-Code in grüner Schrift über schwarze Bildschirme, um zu verdeutlichen, dass gerade etwas Relevantes in der Maschine vor sich geht, so geheim und obskur, dass es das Bild der Kamera ja doch nicht übermitteln kann.

Auch in «Watch Dogs» schwirren die Icons durch das Blickfeld, Bilder verzerren sich, Schrift verschwimmt, in Gitternetzoptik wird hin und her gezoomt. Pearce hangelt sich von System zu System, um endlich die Schwachstelle zu finden, die er sucht. Der nächste Hack ist immer nur einen Knopfdruck entfernt. So wird das Spiel zu einem multidimensionalen Raum, beschränkt nur von Firewalls und der eigenen Moral: Soll man die Zentrale der Überwachungsmaschinerie mit Waffengewalt stürmen oder die Wachen lieber mit einer SMS ablenken? Und wessen Kreditkartendaten klaut man – die des Gangsters oder die der alleinerziehenden Mutter?

Stark in der Stille

Die Entwicklungsstudios von Videospielen betonen heutzutage gerne, wie realitätsnah ihre Titel seien. Bei Ego-Shootern weist man stolz darauf hin, dass jedes Rattern eines jeden Sturmgewehrs original auf dem Schiessstand aufgenommen wurde. Weil das in einem Hackerspiel etwas deplatziert scheint, erklärt das Unternehmen hinter «Watch Dogs», das frankokanadische Studio Ubisoft, man habe die Anonymous-Bewegung studiert, um einer im Spiel auftauchenden Hackergruppe namens DeadSec mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.

Doch der Archetyp des klandestinen Whistleblowers oder des Scriptkids, das für seine Hacks den Computer der Eltern zweckentfremdet, kommt für das actionverwöhnte Videospielpublikum dann doch arg körperlos daher. Darum ist Aiden Pearce eher eine Kreuzung aus Julian Assange oder Edward Snowden mit einem gehörigen Schuss Batman oder Dirty Harry. In «Watch Dogs» kann man sich schon mal die Hände schmutzig machen, und trotz seiner Fähigkeiten als Hacker ist das Waffenarsenal, das Pearce durch Chicago schleppt, recht ansehnlich.

Am stärksten aber ist «Watch Dogs» in seinen stillen Momenten. Wenn man nicht gerade in eine Schiesserei oder Verfolgungsjagd verwickelt wird, läuft man, den Blick auf das Smartphone gesenkt, durch die Strassen und vergewissert sich mittels der sogenannten Profiler-App seiner Macht. So lässt sich zu jeder Figur, die einem im Spiel begegnet, herausfinden, welchen Beruf sie betreibt, wie viel Geld sie verdient und was ihre Hobbys sind. «Hat gerade eine zweite Hypothek aufgenommen», heisst es dann. «Nimmt Psychopharmaka.» Oder: «Ist bei einem Online-Dating-Service registriert.» Pearce hört die Telefonate seiner Mitmenschen ab, er weiss, was sie tun werden und was sie umtreibt – und kann all das auch gegen sie verwenden.

Die Welt wird programmierbar

Wie weit die Vernetzung zwischen der physischen und der virtuellen Welt bereits geht, kann man auf Websites wie Opentopia beobachten. Dort hat man einen Blick durch die Linsen zahlreicher privater Webcams, die live senden. Ein Klick, und in einem Büro in Russland sitzt eine Frau gelangweilt an ihrem Schreibtisch, Klick, eine Frau strickt in einem Wohnzimmer in Seattle, zu ihren Füssen ein Hund, noch ein Klick, und in einem Kinderzimmer in einem Pariser Vorort sieht man ein Baby in der Krippe schlafen. Man muss kein Hacker sein, um diese Bilder aus dem Leben realer Menschen in Echtzeit verfolgen zu können. Wir alle können uns hier in das Privatleben der anderen zuschalten, können es bewerten und kommentieren.

Auf der speziellen Suchmaschine Shodan wiederum findet man die IP-Adressen von Hunderttausenden Geräten: Drucker und Klimaanlagen, Krankenhaus-Sicherheitssysteme und gar die Steuerungsanlagen von ganzen Kraftwerken – alles frei zugänglich im Netz und mit dem nötigen Know-how auch manipulierbar.

Was sind also die Einsichten, die «Watch Dogs» anbietet? Vielleicht: Wenn das Internet mit der physischen Welt verbunden ist und Maschinen autonom miteinander sprechen, ist nicht mehr nur die Privatsphäre der NutzerInnen in Gefahr. Wenn nämlich ein Trojaner die Festplatte kapert, kann man immer noch den Laptop zuklappen und aufstehen. In Zukunft jedoch ist das Netz immer da, selbst wenn der Computer abgeschaltet bleibt. Wenn Daten manipuliert werden, bleiben die Auswirkungen nicht auf die digitale Ebene beschränkt. Unsere Welt wird programmierbar – und damit wird sie auch hackbar.

«Watch Dogs». Ubisoft. Ab 79 Franken.