Neuromarketing: Tomaten auf der Theaterbühne

Nr. 29 –

Erdbeerduft und orange Wände in Supermärkten sollen unser Kaufverhalten beeinflussen. Viele ökonomische Entscheidungen fällen wir schliesslich unbewusst, sagen die Neuromarketingfachleute.

Wir nannten ihn den Junkiesupermarkt. Es war immer etwas düster dort, die Gänge eng, über allem schien eine Staubschicht zu liegen, die Verpackungen wirkten speckig, das Gemüse schon leicht angerottet.

Seit ein paar Monaten ist der Junkiesupermarkt kaum mehr wiederzuerkennen. Der Laden hat sich wie das umliegende Quartier seiner Kundschaft angepasst – und den Erkenntnissen der Shoppingwissenschaft. Die Wände sind in warmen Farben gestrichen, das soll die Räume grösser erscheinen lassen und gleichzeitig appetitanregend sein. Uns umgeben neunzehn Grad Celsius, die laut diversen Studien angenehmste Einkaufstemperatur. Aus den Lautsprechern rieselt kaum hörbar Musik von Retailradio.fm, das sich auf die Beschallung von Einkaufsräumen spezialisiert hat. Unserem Ruhepuls entsprechend zählt die ideale Shoppingmusik 72 Taktschläge pro Minute, ist man sich unter NeuromarketingexpertInnen einig.

Statt angetätschten Aprikosen erwartet einen jetzt die volle Convenience-Food-Palette gleich beim Eingang. «Iss mich», ruft der Salat aus der Plastikschale, «ich bin gesund und schon zubereitet.» – «Iss lieber ein Schinkengipfeli, es ist noch warm», sagt der Duft, der in die Nase strömt. «Trink Bier, schau, unser Kühlschrank ist zum Bersten voll.»

Ein Blick in die Zukunft

Noch sprechen die Produkte nicht direkt mit uns. Doch sprechende Einkaufswagen, sogenannte Smartcarts, sind in Produktion und in den USA und in Asien bereits auf dem Markt. Unser Handy dient dabei als Identifikation und Kundenkarte gleichzeitig. Es erlaubt dem Smartcart, auf unser NutzerInnenprofil im Internet zuzugreifen, und gibt ihm unsere Einkaufsliste weiter. Ein am Wagen angebrachter Bildschirm informiert uns über die Tütensuppe, die wir gerade in den Händen halten: Inhaltsstoffe, Hersteller, Haltbarkeit, Nährwerttabelle.

Die Infos zum Produkt sind auf einem der RFID-Chips gespeichert, die auf jeder Packung angebracht sind. Der Einkaufswagen kennt unsere Einkaufsgewohnheiten und Vorlieben bereits und informiert uns, wenn wir am entsprechenden Regal vorbeilaufen, über Aktionen und Neuheiten im Sortiment. Er erzählt uns auch, was andere Leute gerade so einkaufen. Der Smartcart folgt also nicht nur unseren Bedürfnissen, sondern nimmt diese vorweg. Vor dem Ausgang schieben wir unseren schlauen Einkaufswagen zwischen zwei Säulen durch, sämtliche Produkte werden gescannt – auch jene, die wir nicht in den Wagen gelegt, sondern in die Manteltasche gesteckt haben. Und der Betrag wird von unserer bereits registrierten Kreditkarte abgebucht.

Was als hilfreiche Dienstleistung im Dschungel einer immer grösseren Produktpalette verkauft wird, dient in erster Linie dazu, uns zu sogenannten Impulskäufen zu verleiten. Zwei Drittel unserer Kaufentscheidungen treffen wir erst im Laden, sagen HirnforscherInnen. Die Supermärkte wissen das und machen es sich zunutze. Impulskäufe bringen bis zu sechzig Prozent ihres Umsatzes. Shoppingwissenschafts-Guru Paco Underhill, Chef der Marketingfirma Envirosell und Autor von Büchern wie «The Call of the Mall», schreibt hierzu: «Wenn wir nur dann in Geschäfte gingen, wenn wir tatsächlich etwas kaufen würden, was wir tatsächlich brauchen, würde die Wirtschaft zusammenbrechen.»

Nebel im Gemüsebereich

Noch schieben wir einen normalen Einkaufswagen durch den ehemaligen Junkiesupermarkt. Doch auch dessen Design ist nicht zufällig entstanden. Die abgeschrägte Bodenfläche sorgt dafür, dass die schon ausgewählten Produkte stets zu uns hin und aus unserem unmittelbaren Blickfeld rollen. Der Wagen sieht aus unserer Perspektive leerer aus, als er tatsächlich ist. Zudem lässt sich ein voller Einkaufswagen leichter manövrieren.

Statt im Uhrzeigersinn, wie vor dem Umbau, werden wir nun im Gegenuhrzeigersinn zur Gemüseabteilung geführt. Neunzig Prozent aller Handelsunternehmen sind laut den Marketingprofessoren Willy Schneider und Alexander Hennig so aufgebaut, dass wir uns gegen den Uhrzeigersinn bewegen. Anscheinend fühlen wir uns dann wohler und kaufen mehr ein. Doch das Neuromarketing bestimmt nicht alles. So sagt beispielsweise Mathias Hoffmann, Filialtechniker bei der Genossenschaft Migros Zürich: «Wir achten nicht darauf, ob der Kunde sich im Gegen- oder im Uhrzeigersinn durch die Filiale bewegt. Wir achten viel mehr auf den Grundriss. Das Ziel ist es, dem Kunden ein möglichst breites Sortiment präsentieren zu können.»

Die Tomaten werden angeleuchtet wie auf einer Theaterbühne, ein Nebelzerstäuber sorgt dafür, dass sie frisch wirken. Wir legen sie in den Einkaufswagen, schliesslich kommen sie aus der Region. «Konsumpatriotismus» nennt man das im Marketingdeutsch.

Weiter zum Brot, dessen Duft uns in die Nase steigt, seit wir durch die Schiebetür eingetreten sind. Dafür sorgt die «Inhouse»-Bäckerei, wo die Industrieteiglinge ausgebacken werden. Wenn der Ofen gerade nicht läuft, helfen mancherorts Duftsäulen nach. Im Namen des Duftmarketings werden ausgeklügelte Systeme zur Beduftung von Verkaufsräumen entwickelt. Über den Geruchssinn sollen die Kaufentscheidungen der KundInnen beeinflusst werden. Eine deutsche Supermarktkette soll in der Gemüseabteilung Duftsäulen aufgestellt haben, die den Duft von frischen Erdbeeren verbreiten. Als ein ungeschickter Kunde mit seinem Einkaufswagen eine solche Säule umfuhr, sei der Umsatz der Filiale während der Zeit der Reparatur um zehn Prozent zurückgegangen. So geht jedenfalls die Legende. Eine Studie der Universität St. Gallen kam 2009 zum Schluss, dass KundInnen nachweisbar länger in einem Warenhaus bleiben, wenn es dort angenehm riecht. Und je länger wir in einem Supermarkt bleiben, desto mehr kaufen wir.

Wir packen also auch einen Zopf in unseren Einkaufskorb, der Zopf ist noch warm, und morgen ist Sonntag. Nach wenigen Schritten versperrt uns eine Palette mit Stapelware den Weg. Siehe da, Spaghetti sind Aktion, und Olivenöl ist es auch! Und da stehen ja auch grad die Pelati im Zehnerpack bereit! Dieses Verfahren wird Blocking genannt. Denn so wird nicht nur unsere Aufmerksamkeit auf die Aktionsware gelenkt, sondern sie versperrt auch unseren Weg und zwingt uns, die Geschwindigkeit zu drosseln. Die Aktionsware wird en masse präsentiert. Dass auf einem der orangen Schildchen gar nicht «Aktion», sondern «Aktuell» steht, die Pelati also gleich viel kosten wie immer, fällt uns gar nicht auf.

Wir biegen ab in einen Seitengang zwischen den Regalen. Sind die Gänge zu eng, gehen wir automatisch schneller, sagen die Neuromarketingmenschen. Zu breit dürfen sie jedoch auch nicht sein, denn dies wirkt sich unmittelbar auf die Flächenproduktivität, sprich den Umsatz pro Quadratmeter, aus. Nun stehen wir also vor dem Regal mit den Konservenbüchsen. Achtzehn verschiedene Sorten Apfelmus buhlen um unsere Aufmerksamkeit. In der sogenannten Sicht- und Greifzone stehen die teuersten Produkte – oder Neuheiten: Apfelmus mit Wasabigeschmack, das nehmen wir. Zuoberst und zuunterst, also in der Reck- beziehungsweise in der Bückzone, finden wir die billigsten Angebote. Wer günstig einkaufen möchte, muss beweglich bleiben.

Genervt in der Quengelzone

Gehen wir weiter im Gegenuhrzeigersinn. Zu unserer Rechten werden immer wieder Aktionen feilgeboten. Es ist eine Welt der RechtshänderInnen, die den Ladenbau bestimmt. Wir finden eine Fleisch-, Fisch- und Käsetheke, einen der wenigen Orte, wo wir noch mit Angestellten in Interaktion treten. Jede Produktgruppe wird anders beleuchtet: der Käse mit gelbem Licht, der Fisch mit blauem, das Fleisch mit rotem. KonsumentenschützerInnen bemängeln, dass sich unter diesen Lichtverhältnissen die Qualität eines Produkts nur schlecht erkennen lasse.

Nun kommen wir zu den Kühlschränken mit den Milchprodukten. Diese Artikel des täglichen Gebrauchs, die kurze Verfallszeiten haben und regelmässig eingekauft werden, finden sich oft im hinteren Bereich eines Ladens. Um zum Mozzarella zu gelangen, müssen wir durch den ganzen Laden laufen, und dabei landet auch das eine oder andere in unserem Wagen, das nicht auf der Einkaufsliste stand. Die Zwangsstreckenführung darf aber nicht zu offensichtlich sein. Denn wenn wir die Manipulation bemerken, verärgert uns das, und wir wechseln in ein Geschäft mit subtileren Mechanismen. Auch das Neuromarketing hat Grenzen und verwandelt uns nicht in ferngesteuerte, willenlose KonsumentInnen von Dingen, die wir nicht brauchen. Vorbei an Putz- und Waschmitteln, an der in Hellblau gehaltenen Beauty- und Self-Care-World steuern wir auf den Kassenbereich zu. Die sogenannte Quengelzone ist jene mit dem höchsten Umsatz im Laden. Der Name sagt bereits alles. Es gilt, in der Schlange zu warten, gleichzeitig finden sich Schokostängel und Gummibärli auf Sichthöhe der Kinder.

Wir bezahlen mit Karte am Self-Check-out und legen noch einen Zahnputzkaugummi drauf, unser letzter Impulskauf von heute. Dass ein billigerer Kaugummi im Standardregal liegen würde, wissen wir zwar, aber das ist uns jetzt egal.