Bosnien und Herzegowina : Die Normalität der Spaltung

Nr. 42 –

Bei den Wahlen vom Sonntag gewannen in Bosnien und Herzegowina erneut nationalistische Kandidaten der drei ethnischen Gruppen. Dies macht eine Überwindung der tiefen politischen und sozialen Krise unwahrscheinlich.

Zuletzt erreichte das Wahlfieber gefährlich hohe Temperaturen. Die Kandidatinnen und Kandidaten gaben sich gegenseitig die Schuld für die miserable Wirtschaftslage, die über sechzig Prozent der jungen Menschen arbeitslos gemacht hat. Sie warfen sich gegenseitig Korruption vor und stellten manchmal sogar die Zusammenarbeit mit den jeweils anderen Bevölkerungsgruppen infrage.

Der konfrontative Kurs hat sich ausgezahlt: Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Sonntag zeichnet sich ein erneuter Sieg der nationalistischen Parteien ab. Jene Kräfte, die sich vor zwanzig Jahren bekriegt hatten, bekamen mit dem Versprechen von Stabilität die meisten Stimmen.

Kein Raum für Reformen

So wurde Bakir Izetbegovic, Sohn und Nachfolger des Staatsgründers Alija Izetbegovic, als bosniakisches Mitglied der dreiköpfigen Staatspräsidentschaft im Amt bestätigt. Seine Partei, die Demokratische Aktion, bleibt die stärkste politische Kraft unter den muslimischen WählerInnen und bekommt die meisten Parlamentssitze. Dragan Covic, Vorsitzender der Kroatischen Demokratischen Union Bosnien und Herzegowinas, behauptete sich gegen seine etwas moderateren Konkurrenten und wurde zum ethnisch kroatischen Mitglied der Präsidentschaft gewählt. Und Mladen Ivanic von der Partei des Demokratischen Fortschritts kommt wohl, wenn auch nur knapp vor dem bisherigen Milorad Dodik, als Vertreter der serbischen Bevölkerungsgruppe ins Präsidentschaftsgremium.

Ivanic wurde auch von der nationalistischen, von Radovan Karadzic gegründeten Serbischen Demokratischen Partei unterstützt und steht für eine grössere Autonomie der serbischen Entität Bosniens, der Republika Srpska. Die radikalere Allianz der Unabhängigen Sozialdemokraten von Milorad Dodik verliert damit die landesweite Präsidentschaftswahl, sie behält aber die Präsidentschaft der Republika Srpska. Oft stellte Dodik die Existenz Bosnienund Herzegowinas als Staat infrage, viele AnhängerInnen dieses politischen Lagers wünschen sich eine Vereinigung mit Serbien.

Mit diesem Wahlresultat bleibt das Land so gespalten wie eh. Die Chancen auf eine politische Einigung unter den ethnisch definierten politischen Kräften und für eine Überwindung der tiefen sozialen Krise stehen alles andere als gut. Viele BürgerInnen blieben der Wahl fern, die Beteiligung der 3,3 Millionen Wahlberechtigten lag bei lediglich 54 Prozent. Der Hauptgrund dafür liegt im komplizierten und ineffizienten politischen System, das 1995 mit den Dayton-Abkommen in der Verfassung des Lands festgeschrieben wurde. Es bietet wenig Spielraum für die Durchsetzung tiefgreifender Reformen, die die Wirtschaft stärken und die Gesellschaft gerechter organisieren könnten.

Nicht nur die grassierende Korruption plagt die aufgeblähte öffentliche Verwaltung, die seit Jahren EU-Hilfsgelder in den Taschen von Politikern und Beamtinnen versickern lässt. Auch die allgegenwärtige nationalistische Rhetorik der wichtigsten Parteien verhindert eine freie politische Willensbildung und lenkt die Aufmerksamkeit auf Themen, die von den eigentlichen Problemen ablenken.

Ein langer Weg

Viele Menschen verlieren allmählich die Hoffnung, dass das Land jemals gut funktionieren könnte. «Daran ist auch die EU schuld», glaubt Feda Kazlagic, ein dreissigjähriger Deutschlehrer aus Banja Luka. «Es ergibt überhaupt keinen Sinn, uns mit Geld zu überhäufen, wie jetzt nach der Hochwasserkatastrophe. Man weiss ja, dass kaum etwas dort ankommt, wo es wirklich benötigt wird.» Kazlagic unterrichtet an mehreren Schulen und auch privat, oft mehr als zehn Stunden am Tag: «Alle wollen Deutsch lernen, damit sie später eine Stelle in Mitteleuropa finden.»

Ähnlich sieht die Lage der 25-jährige Tamir Kuko, der Marketing studiert und abends als Kellner in einem Café in der Altstadt von Sarajevo arbeitet. Im Frühjahr hat er an den Protesten teilgenommen, die das Land bewegten. «Wir wollen einfach normal arbeiten in einem normalen Land», sagt er. «Doch diese Perspektive rückt in immer weitere Ferne.»

In Tuzla, wo die Proteste begonnen hatten, kämpft die 54-jährige Emina Busuladzic seit Jahren für die Rechte der Beschäftigten. Die Waschmittelfabrik Dita, in der sie als Technikerin arbeitete, wurde infolge einer gescheiterten Privatisierung geschlossen; zuvor hatte das Unternehmen monatelang die Löhne nicht mehr gezahlt. Busuladzic, eine der Hauptfiguren der Protestbewegung, kandidierte bei den Wahlen für die multiethnische Kommunistische Partei. Mit Erfolg: Sie zieht jetzt als Abgeordnete ins Parlament des Kantons Tuzla. «Doch», sagt sie, «wir haben einen langen Weg vor uns.»