Durch den Monat mit Rolf Bossart (Teil 4): Papi, der Kumpel?

Nr. 51 –

Rolf Bossart: «Man hat den ganzen politischen Widerstand auf die Jugend ­festgelegt und damit erledigt.»

Was ist ein guter Vater?
Rolf Bossart: Sartre sagte, es gibt keine guten Väter. Er hatte Recht. Das liegt in der Natur der Sache. – Gut vielleicht so: An einem guten Vater können die Kinder Widerstand lernen, er erträgt es auch, wenn sie ihn verwerfen – ohne das zu provozieren. Die heutige linksliberale Mittelschicht hat aber mit dem Hausmannmodell wieder begonnen, die Väter zu idealisieren. Daraus wird oft ein sehr fragwürdiges Familienidyll. Die Grenzen zwischen den Generationen verwischen sich, der Vater wird zum Kumpel. Diese Rolle ist genauso problematisch wie die frühere, als der Vater der grosse Abwesende war, mit dem die Mutter drohte.

Warum finden Sie diese Rolle problematisch?
Die Familie ist etwas Zweideutiges. Als Eltern stellen wir für die Kinder den Ursprung dar, die Herkunft. Aber die Kinder müssen ja unabhängig werden und Freiheit lernen können, das heisst, der Ursprung ist auch zum Entspringen da, zum Wegspringen. Das ist eine Konfliktsituation, und genau das ist Familie. Wenn dieser Konflikt wegharmonisiert wird, gibt es für die Kinder gar keinen Grund mehr, eine neue Generation zu werden. Wieso etwas anderes wollen als die kleine, harmonisierte Welt, die einem im Elternhaus gezeigt worden ist, mit diesen Eltern, die Kollegen sind und einem alles bieten können? Solche Kinder können keine Konflikte lernen.

Was machen Sie, damit es mit Ihren Kindern nicht so kommt?
Wir leben in einer Gross-WG, fünf Erwachsene, zwei Kinder, die auch noch grösser werden kann. Damit versuchen wir, die Familienidylle etwas aufzubrechen. Im täglichen Zusammenleben sehen die Kinder die Eltern nicht nur als Eltern, sondern auch in ganz anderen Beziehungen. Wir trennen auch immer wieder bewusst die Sphären von Kindern 
und Erwachsenen. Manchmal hat der Papi keine Zeit, um zu spielen, auch wenn er nur faul auf dem Sofa liegt. Und in gewissen Bereichen interessiert er sich stark für die Kinder und in anderen gar nicht. Der Papi geht auch 
nie mit in den Zirkus, da kann das 
Kind quengeln, wie es will. Es geht darum, die Erfahrung von Widersprüchen zu machen, möglichst angstfrei. Das ist in der Pubertät dann auch angreifbar.

Sie spekulieren schon darauf?
Nein, ich glaube nicht, dass in der Pubertät zwangsläufig die Fetzen fliegen müssen. Es kann auch sein, dass das Kind einfach merkt: Das ist mir zu klein, das stimmt so nicht mehr. Die Pubertät ist seit den fünfziger Jahren sowieso hochstilisiert worden zur Zeit des Ausprobierens und Widerständigseins. Man hat den ganzen politischen Widerstand auf die Jugend festgelegt und damit sozusagen auch erledigt. «Du musst jetzt halt ausbrechen, du bist ja pubertär, also ein bisschen krank.»

Was wäre eine gesunde 
Bedingung für Emanzipation?
Es gibt drei verschiedene Arten von Gemeinschaften: erstens die Urgemeinschaft, also alles, was mit Blut und Boden zu tun hat: Familie und Nation. Dann die klassische Zwangsgemeinschaft wie Firma, Schulklasse, Quartier. Und als Drittes die Wahlgemeinschaft. Sie ist der freie Zusammenschluss: Man ist nicht durch ein Band verbunden, sondern durch ein Bündnis. Man hat das Band der Herkunft, der Urgemeinschaft, durchschnitten, dadurch ist man frei und fähig, sich wieder zu binden.

Aber sobald Sie mit Ihrer Frau eine Wahlgemeinschaft eingegangen sind und eine Familie gegründet haben, ist daraus eine Urgemeinschaft für die Kinder entstanden …
Ja. Und viele Eltern verleugnen das. Sie tun so, als hätten ihre Kinder sie auch gewählt. Sie wollen sich gewählt fühlen, und die Kinder erfüllen ihnen diesen Wunsch vielleicht auch, wenn sie die Eltern als Kumpel wahrnehmen. Aber es stimmt nicht. Das muss klar sein, für die Kinder und für die Eltern: Auf welcher Ebene habe ich gewählt, auf welcher nicht.

Die WG ist auch eine Wahlgemeinschaft.
Ja. Und ich finde sie für eine Familie geeignet, denn die Kleinfamilie ist einfach eine Überforderung. Es ist ohnehin eine Überforderung, in dieser Gesellschaft Kinder zu haben. Aber in der Kleinfamilie ist sie noch grösser; es können einfach zu viele Bedürfnisse nicht abgedeckt werden. Und die Kleinfamilie gibt das nicht zu. Die Bedürfnisse werden einfach so zurechtgedrückt, dass der Wunsch nach dem anderen, das jenseits der Familie liegt, sich gar nicht mehr entwickeln kann.

Man darf nicht zugeben, dass noch etwas fehlt?
Ja. Das Bewusstsein von «Etwas fehlt», das der Grundimpuls ist für jeglichen Fortschritt und jeglichen Widerstand, wird weggemacht. Urgemeinschaften wie Familie oder Nation sind tendenziell ausschliessend und selbstgenügsam. Eine Wahlgemeinschaft beziehungsweise ein Bündnis kann sich nur dagegen wehren, selber zur Urgemeinschaft zu werden, wenn es sich von aussen her verändern und bewegen lässt.

Rolf Bossart, 35, ist Theologe, 
WG-Bewohner und Vater von Clara (4) 
und Rosanna (1).