Die Schweiz im USA-Iran-Konflikt: Die «Guten Dienste» einer Exportmacht

Nr. 51 –

Seit 35 Jahren vertritt die Schweiz die diplomatischen Interessen der USA im Iran und steckt so mitten in einem der grossen Konflikte unserer Zeit. Was bedeutet das sogenannte Schutzmachtmandat konkret? Und wer profitiert davon?

Dass die Schweiz im Iran in die Rolle der Vermittlerin kam, hat viel mit ihrer diplomatischen Geschichte zu tun. Als neutraler Staat hat die Schweiz bei internationalen Konflikten traditionell «Gute Dienste» zur Beilegung internationaler Konflikte geleistet – und nach dem Abbruch diplomatischer Beziehungen zweier Staaten die diplomatische Interessenvertretung des einen oder gar beider übernommen. Zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kalten Kriegs hatte die Schweiz oft Dutzende solcher Mandate als Schutzmacht innegehabt.

Im Fall Irans kam das persönliche Engagement des damaligen Schweizer Botschafters hinzu: Als nach der Islamischen Revolution im November 1979 mehrere Hundert StudentInnen die US-Botschaft stürmten und über fünfzig US-AmerikanerInnen in ihre Gewalt brachten, bot Botschafter Erik Lang den USA sogleich seine Dienste und sein Beziehungsnetz zur Beilegung der Krise an. Faktisch übernahm die Schweiz unverzüglich die diplomatische Vertretung im Iran, auch wenn sie erst im folgenden Jahr offiziell zur Schutzmacht wurde. Im Geiselkonflikt, der 444 Tage dauerte, konnte die Schweiz eine Zeit lang vermitteln – die eigentliche Lösung geht hingegen auf das Konto der algerischen Diplomatie, die bei den islamischen Hardlinern in Teheran letztlich mehr Vertrauen genoss.

Diplomatische Briefträgerin

Übrig geblieben ist bis heute ein Schutzmachtmandat, das als einziges der noch sechs Schweizer Mandate über reine Formalitäten hinausgeht. Es beinhaltet zwei Funktionen. Eine sogenannte Interessensektion, die räumlich von der Schweizer Botschaft getrennt ist und bei der zurzeit drei SchweizerInnen und sieben IranerInnen angestellt sind, übernimmt die typischen konsularischen Tätigkeiten der USA in Teheran – also etwa das Pass- und Zivilstandswesen für die rund 100 US-BürgerInnen im Iran und die rund 9000 DoppelbürgerInnen. Nach Auskunft des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) werden die Kosten dafür voll von den USA übernommen. Als zweite Funktion stellt die Schweiz die vertrauliche Kommunikation zwischen Teheran und Washington sicher, ist also quasi eine diplomatische Briefträgerin. Damit bleibt die Schweiz in der Rolle einer neutralen Dialogförderin ohne direkte Einflussmöglichkeiten.

Warum tut das die Schweiz? Der direkte Eigennutz stehe nicht im Vordergrund, sagt Simon Geissbühler, Chef des Diensts für fremde Interessen beim EDA: «Für die Schweiz als neutralen Akteur ist die Rolle als Schutzmacht eine diplomatische Tradition und Teil einer verantwortungsvollen Aussenpolitik.» Immerhin leiste die Schweiz dadurch «einen Beitrag an eine Annäherung zwischen den beiden Ländern und damit an die Stabilisierung der Region».

Daniel Trachsler schätzt in einer Publikation des Center for Security Studies der ETH Zürich das schweizerische Engagement als eigennütziger ein. Die Übernahme von Schutzmachtmandaten biete immer wieder eine gute Plattform, um eigene Interessen zu verfolgen, schrieb er 2012: «Als Schutzmacht geniesst die Schweiz Zugang zu obersten Regierungskreisen. Damit dienen Schutzmachtmandate gewissermassen als Türöffner auch für bilaterale schweizerische Anliegen.» Besonders die frühere Aussenministerin Micheline Calmy-Rey wusste solch offene Türen zu durchschreiten, in Teheran etwa 2008 mit dem (seit 2010 wieder aufgehobenen) Gasdeal zwischen der Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg und der nationalen iranischen Gasexportgesellschaft.

«Wichtige und handfeste Vorteile» sieht auch Ali Tavakoli, Vorstandsmitglied der Handelskammer Iran–Schweiz – besonders dadurch, dass die Schweiz bei den Atomverhandlungen der UN-Vetomächte und Deutschlands mit dem Iran eine bedeutende Rolle spiele: «Die Einigung, die vor einem Jahr in Genf erzielt wurde, hatte die Lockerung der Sanktionen zur Folge, und das vor allem in den Bereichen Grundnahrungsmittel und Medizin», schreibt Tavakoli im Namen seiner Organisation per E-Mail aus Teheran. In den genannten Bereichen ist die Schweizer Wirtschaft stark vertreten, etwa mit Nestlé beziehungsweise Roche und Novartis. Gemäss Tavakoli hätten zudem Schweizer Banken überproportional von den Lockerungen der Sanktionen profitiert, die die Freigabe iranischer Ölgelder auf Auslandskonten ermöglichten.

Die Sanktionen und die Wirtschaft

Die These, dass die Schweiz mithilfe ihrer «Guten Dienste» die Lockerung der Sanktionen vorangetrieben hat und nun stärker als andere davon profitiert, scheint weit hergeholt – die Schweiz sass vor einem Jahr in Genf nicht einmal am Verhandlungstisch. Plausibler ist, dass die Schweiz als Schutzmacht weniger Sanktionen mittragen muss und sich so wirtschaftliche Vorteile verschafft. Die von den Vereinten Nationen verhängten Sanktionen hat sie von Anfang an mitgetragen, die unilateralen Sanktionen der USA und EU jedoch nur zeit- und teilweise. Was Bern hier tut und lässt, ist entscheidend für einige schweizerische Unternehmen: Die Schweiz ist zumindest gemäss iranischer Statistik eine der grössten europäischen Exporteurinnen in den Iran. (Die schweizerische Statistik kommt auf deutlich tiefere Exportwerte und klammert etwa die Goldexporte aus.) Seit Inkrafttreten der UN-Sanktionen 2007 sind die Exporte der Schweiz, ähnlich wie die von EU-Ländern, um rund die Hälfte eingebrochen.

Wie sehen im Iran tätige Schweizer Firmen die Rolle der Schweizer Diplomatie? Von der WOZ angefragte Konzerne wie Roche, Nestlé und die Bühler-Gruppe halten sich bedeckt. Aus den Antworten ihrer Kommunikationsabteilungen wird aber deutlich, dass die Schweiz als Schutzmacht im Iran für sie kein Thema ist. Nestlé-Sprecher Philippe Aeschlimann beteuert etwa ohne entsprechende Frage: «Die Aktivitäten von Nestlé im Iran sind in voller Übereinstimmung mit den internationalen Sanktionen.»

Warum aber hat die Schweiz die Verschärfung der EU-Sanktionen 2012 nicht mehr voll mitgetragen? Warum hat sie für die iranische Zentralbank weiterhin Geschäfte abgewickelt und den Handel mit iranischem Erdöl zugelassen? Livia Leu müsste das wissen, war sie doch von 2009 bis 2013 Schweizer Botschafterin in Teheran und ist heute die Leiterin der Abteilung Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). «Aus aussenpolitischen Erwägungen, insbesondere wegen der Neutralität und um ihrer Rolle im Bereich der ‹Guten Dienste› gerecht werden zu können, muss die Schweiz mit beiden Parteien gute Beziehungen pflegen», weist Leu ökonomische Überlegungen zurück. «Die iranische Regierung hat damals klar gesagt, dass sie das Mittragen unilateraler Sanktionen als nicht neutral betrachtet.»

Die vorhersehbaren Reaktionen kamen prompt: Der iranische Aussenminister lobte die Schweiz und forderte die anderen westlichen Länder auf, «dem guten Beispiel» zu folgen. Der damalige US-Botschafter in Bern brachte diplomatisch seine «Enttäuschung» zum Ausdruck, dass die Schweiz den EU-Sanktionen nicht mehr folge. Das US-amerikanische Wirtschaftsmagazin «Forbes» unterstellte der Schweiz, dass sie all jene Teile der EU-Sanktionen ignoriere, die nicht in ihrem wirtschaftlichen Interesse sind.

Trotzdem blieben gröbere Folgen für die Schweiz aus. Selbst die USA haben wenig andere Möglichkeiten, ihre diplomatischen Interessen in Teheran vertreten zu lassen. Denn auch andere neutrale Länder sind nicht voll auf US-Linie: Wie die Schweiz nehmen die meisten Staaten iranische Tochterfirmen eigener Konzerne von den Sanktionen aus.

Baldiges Ende einer Ära?

Es gibt also Hinweise, dass die Schweiz mit ihrer Berufung auf die Rolle als Schutzmacht zuweilen Sonderwege gehen kann, die ihren wirtschaftlichen Interessen dienen. Doch letztlich lassen fast alle Staaten in ihren Sanktionsregimes Schlupflöcher offen, die ihren dominanten Wirtschaftszweigen Vorteile verschaffen. Der Iran mit seinen bald achtzig Millionen meist gut gebildeter EinwohnerInnen ist ein potenziell hoch profitabler Markt. Verschiedenste Staaten und globale Konzerne versuchen sich deshalb in eine Poleposition zu bringen für eine sanktionsfreie Zukunft, die aufgrund der Atomverhandlungen durchaus realistisch erscheint.

Spätestens dann werden die USA wieder diplomatische Beziehungen mit dem Iran aufnehmen. Die Schweiz wird bestenfalls noch etwas vom Beziehungsnetz und vom Goodwill profitieren können, die sie in den Jahrzehnten als Schutzmacht in Teheran aufgebaut hat. Und die Ära der Schweiz als eine diplomatische Macht im Bereich der «Guten Dienste» wird sich weiter ihrem Ende zuneigen.

* Wunsch von Edeltraud Gamper: «Schreibt etwas zur 
Schweizer Diplomatie 
im Iran!»

Schweiz und Iran

1979:
Islamische Revolution; die USA verhängen unilaterale Sanktionen.
1980:
Die Schweiz wird offiziell Schutzmacht der USA im Iran. Diese Funktion übte sie faktisch schon 1979 nach der Geiselnahme von US-Botschaftspersonal aus.
1995:
Die USA weiten ihre Sanktionen aus.
2006:
Der UN-Sicherheitsrat spricht erste Sanktionen aus, nachdem ein UN-Bericht Teheran die «Nichterfüllung» von Abmachungen im Bereich der Urananreicherung bescheinigte.
2007:
Die Schweiz setzt die UN-Sanktionen um, auch die Anpassungen in den Folgejahren.
2010:
Die EU verhängt unilaterale Sanktionen.
2011:
Die Schweiz übernimmt weitgehend die EU-Sanktionen.
2012:
Die EU und die USA erweitern ihre Sanktionen, vor allem im Bereich der Öl- und Gaswirtschaft sowie der Finanzdienstleistungen. Die Schweiz macht nicht alle Verschärfungen mit und führt stattdessen eine sogenannte Meldepflicht ein.
2014:
Nach einem Interimsabkommen in der Atomfrage heben die USA, die EU und in der Folge die Schweiz einen Teil ihrer Sanktionen auf.