FAIRER KAFFEE: Rebellenbohnen mit Knospe

Nr. 47 –

Philipp Gerbers genauer Blick auf eine zapatistische Kaffeekooperative zeigt den Alltag der aufständischen Bauern und Bäuerinnen.

EthnologInnen sind nicht beliebt im mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Ethnologie, in der Schweiz ein Fach für linke IdealistInnen, erinnert im Süden oft an anderes: an Machtmissbrauch, Rassismus und akademische Karrieren auf Kosten der Armen. Oder, wie es in Chiapas heisst: «Wir haben viel Arbeit mit den Besuchern, und nachher gehen sie wieder, schreiben über uns und verdienen dann besser.» Der weisse Forscher mit Tonbandgerät, der seine barfüssigen Forschungsobjekte ausfragt, hat ausgedient. Die Forschungsobjekte sind, zumindest unter den Aufständischen von Chiapas, zu selbstbewusst geworden, um sich einfach so studieren zu lassen. Die Zapatistas lassen ethnologische Forschung nur noch zu, wenn ihre Gemeinden einen konkreten Nutzen davon haben.

Mit solchen Problemen sah sich der Zürcher Ethnologe Philipp Gerber konfrontiert, als er 2002 die zapatistische Befreiungsarmee EZLN darum bat, die Kaffeekooperative Mut Vitz studieren zu dürfen. Dabei war Gerber kein Unbekannter in der Region. Er ist Aktivist der Gruppe Direkte Solidarität mit Chiapas, die den Kaffee von Mut Vitz in der Schweiz vertreibt. Und gerade diese Nähe, die aus wissenschaftlicher Sicht auch problematisch sein kann, ermöglichte Gerber schliesslich seine Forschung. Was der Ethnologe über die Kooperative gelernt hat, beschreibt er im Buch «Das Aroma der Rebellion».

Mut Vitz liegt im Hochland von Chiapas, in einem von den Tzotzil bewohnten Gebiet. Der Name bedeutet «Berg der Vögel», nach dem höchsten Berg der Region, der für die Tzotzil religiöse Bedeutung hat. 600 Familien bauen für Mut Vitz Biokaffee an, der nach Europa und Nordamerika exportiert wird. In der Schweiz landet er als Café RebelDía in den Kaffeemaschinen von linken Haushalten, von Genossenschaftsrestaurants und von Kollektiven wie der WOZ. Der Weg zu diesem Erfolg war jedoch lang und beschwerlich, wie Philipp Gerber zeigt. Jahrhundertelang herrschten Grossgrundbesitzer wie Fürsten auf den Fincas, den Grossbauernhöfen. Erst in den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gelang es aufständischen Bauernorganisationen mit Landbesetzungen und einem Marsch nach Mexiko-Stadt, eigenes Land zu bekommen und die FincabesitzerInnen zu vertreiben.

Damit waren die Probleme aber noch nicht vorbei. Maoistische Intellektuelle kamen als Berater in die Dörfer des Hochlandes, machten Karriere in den Kaffeegenossenschaften und knüpften enge Beziehungen zu den Funktionären der herrschenden Partei PRI. Anfang der neunziger Jahre warben diese ehemaligen Linken für die Privatisierung des bisher unverkäuflichen Gemeindelandes, und nach dem Aufstand der EZLN 1994 entwickelten sich einige maoistische Organisationen sogar nahtlos zu paramilitärischen Gruppen im Dienste der staatlichen Aufstandsbekämpfung.

Überzeugte Biobauern

Was ist so zapatistisch an Mut Vitz? Was unterscheidet die Kooperative von anderen? Zum einen ist es das Beharren auf Unabhängigkeit: Die Kooperative will kein Geld vom Staat und keine externen BeraterInnen, sie funktioniert selbst verwaltet, die Vorstandsfunktionen sind ehrenamtlich und wechseln. Zum andern ist es der Biolandbau: «Einer der wirklich überraschenden Erkenntnisse meiner Feldforschung war, dass die biologische Produktion und das Selbstverständnis als Biobauer ein zentrales Moment für die Mitglieder von Mut Vitz ist», schreibt Philipp Gerber. Eigene Erfahrungen mit Agrochemikalien mögen den Ausschlag gegeben haben. Zur Zeit der maoistischen BeraterInnen hätten sie Insektizide und Kunstdünger verwendet, sagt ein Kaffeebauer. «Aber nachher hörten wir auf, diese Mittel zu benutzen. Denn sie sind heiss, und die Erde lebt ja. Diese Mittel verbrennen die Erde und lassen sie wie nackt zurück.» Zum Biolandbau gehört auch das Pflanzen von Schattenbäumen, die die Kaffeepflanzen vor der Sonne schützen und gleichzeitig essbare Blätter, Früchte oder Edelholz liefern. Gerber: «Der Unterschied zu den Nichtbiofeldern ist wirklich frappant: Hier dunkelgrüne, volle Kaffeesträucher auf einem Untergrund aus Laub, in den man bei jedem Schritt tief einsackt. Daneben die blattlosen, fruchtarmen Stauden des Nachbarn, meist von ungenügendem Schatten gedeckt.»

Der Präsident als Lastesel

In der Organisation der Kooperative läuft nicht alles perfekt. Die ehrenamtlichen Funktionen heissen nicht nur «cargos» (Lasten), sie sind auch wirklich eine Last für ihre «Träger». Wer ehrenamtlich für den Kaffeevertrieb arbeitet, vernachlässigt notgedrungen das eigene Kaffeefeld und macht Schulden. Die anderen Pflanzer sollten einem Cargo-Inhaber auf dem Feld helfen, aber tun es oft nicht, weil sie Verwaltungsarbeit nicht ernst nehmen. So klagt der erste Präsident von Mut Vitz: «Während meiner vier Jahre als Präsident hat mir niemand auf dem Feld geholfen. Ich musste nachher einen Teil meines Kaffeefeldes aufgeben, es war schon wieder richtiger Wald.»

Im letzten Teil des Buches zeigt Philipp Gerber die Beziehungen von Mut Vitz zu anderen Kooperativen und zum umkämpften Wachstumsmarkt des fairen Handels. Er befürchtet, dass Fairtrade immer mehr zu einem Feigenblatt für transnationale Unternehmen wird: Ein kleiner Anteil an fair gehandelten Produkten soll die ganze Firma «grünwaschen». Abschreckendes Beispiel ist die Kaffeekette Starbucks, die in Mexiko versucht, die Kontrolle über Kaffeekooperativen an sich zu reissen - ausgerechnet mit Hilfe einer Umweltschutzorganisation, der Conservation International. Die Verquickung von Umweltschutz, Big Business und Menschenrechtsverletzungen ist ein brandaktuelles Thema, das in Gerbers Buch nur am Rand vorkommt, aber selber ein Buch füllen würde.

«A ver si funciona» - «Mal schauen, ob es funktioniert», sei ein häufig gehörtes Motto bei den Zapatistas, schreibt Gerber. Gerade das Einverständnis, keine fertigen Lösungen zu haben, macht die Zapatistas sympathisch. Sie probieren laufend neue Strategien aus, wie es auch der Leitsatz «Preguntando caminamos» - «fragend gehen wir voran» - verdeutlicht. Wer dieses Buch gelesen hat, wird seinen Kaffee hoffentlich nicht mehr ganz so gedankenlos trinken.

Philipp Gerber: Das Aroma der Rebellion. Zapatistischer Kaffee, indigener Aufstand und autonome Kooperativen. Unrast Verlag, Münster 2005. 194 Seiten, Fr. 25.30

Weitere Informationen über Chiapas und Café RebelDía finden Sie auf der Webseite www.chiapas.ch