«Afrika im Gedicht»: «Alles wird in Afrika vom Wind getragen»

Nr. 8 –

Zu seinem 80. Geburtstag hat der Publizist und Schriftsteller Al Imfeld sich und uns einen umfassenden Sammelband über Afrikas Poesie der jüngeren Generationen geschenkt.

Al Imfeld sei am 14. Januar 1935 in Lachen im Kanton Schwyz geboren, verzeichnet Wikipedia. Und das Datum stimmt und stimmt froh, denn Al Imfeld ist soeben achtzig Jahre alt geworden. Doch in Bezug auf seinen Geburtsort erzählte mir Imfeld selbst einmal, er sei irgendwo im Luzerner Hinterland geboren, seine Mutter sei mit ihm niedergekommen, als sie mit dem Fahrrad unterwegs war. Dann wäre die Ortsangabe Lachen wohl lediglich symbolisch zu nehmen, nämlich für Al Imfelds grosse menschliche Heiterkeit. Wie dem auch sei: Einer, der dem Teufel vom Karren gefallen ist, ist Al Imfeld allemal.

Nun legt er ein Riesenwerk vor: einen Band mit über 500 afrikanischen Gedichten im Original und in Übersetzungen, Gedichte, die im letzten halben Jahrhundert entstanden sind, verfasst von bekannteren, überwiegend aber von hierzulande kaum veröffentlichten AutorInnen. Als profunder Afrikakenner und Afrikabewegter, als Vermittler zwischen dem vielfältigen Kontinent und Europa war Al Imfeld wie kein anderer geeignet, ein solches Projekt zu verwirklichen.

Bauernschlauer Rat des Vaters

1935 als erstes von dreizehn Kindern einer Bergbauernfamilie geboren, wuchs der auf Alois Johann Imfeld Getaufte im Weiler Etzenerlen bei Ruswil auf, in einem tief katholischen Milieu, wunderlich durchmischt mit keltischen Elementen – «eine Einheit aus Lourdeswasser und keltischem Zahnwehkreuz», wie er präzisiert. Am Gymnasium Immensee erlangte Imfeld die Matura, danach trat er in die Missionsgesellschaft Bethlehem ein, studierte Theologie und Philosophie. Dabei ging ihm der bauernschlaue Ratschlag seines Vaters, immer nur die Hälfte zu glauben, nie aus dem Sinn: Das habe ihm nicht nur ein gesundes Misstrauen gegen jede Autorität eingeflösst, sondern ihn auch zur Toleranz erzogen.

In den USA doktorierte Imfeld in evangelischer Theologie, studierte, da ihm der theologische Horizont für seine vielen Fragen nicht genügte, noch Soziologie, Journalismus und Tropenlandwirtschaft, sodass er schliesslich vier Studienabschlüsse vorzuweisen hatte. Al Imfeld kämpfte mit Martin Luther King in der Bürgerrechtsbewegung, wofür ihn der Nixon-freundliche Kardinal Francis Spellman in New York als Priester exkommunizierte. Doch Imfeld wirkte weiterhin als freischaffender Priester und unabhängiger religiöser beziehungsweise spirituell offener Mensch.

Die Missionsgesellschaft Immensee schickte ihn 1967 nach Rhodesien, um dort am Aufbau der Presse mitzuarbeiten. Doch seine Ansichten passten weder der weissen Minderheitsregierung noch der katholischen Kirche (die ihn vor Jahren bereits in Rom der Häresie verdächtigt und als Student der päpstlichen Universität Gregoriana verwiesen hatte). Zwei Jahre später musste er Rhodesien verlassen. Reisen in unabhängig gewordene afrikanische Länder wie Malawi, Tansania, Kenia folgten, in denen Imfeld feststellte, dass die ehemals Kolonisierten mit korrupten Diktaturen kolonialistische Praktiken oft nur umso brutaler fortsetzten.

Büschel, Bündel, Schwärme

In die allseits bewegten sechziger Jahre, in denen sich Imfeld auf drei Kontinenten aktiv gegen Rassismus, Ökoterror und die Ausbeutung sozial Benachteiligter einsetzte, reichen auch die Ursprünge des Projekts zurück, das heuer seinen 80. Geburtstag krönt: «Afrika im Gedicht» heisst das Mammutwerk, das soeben, runde 800 Seiten schwer, erschienen ist: 586 Gedichte aus über vierzig Ländern, immer in der deutschen Übersetzung sowie im Original, auf Französisch, Englisch, Portugiesisch, Arabisch, Suaheli oder Afrikaans.

Insgesamt birgt «Afrika im Gedicht» also über 1150 Texte, entstanden zwischen 1960 und 2014, ausgerüstet mit Quellenangaben, Worterklärungen sowie einem zünftigen AutorInnenverzeichnis. Und die Texte kommen keineswegs als öde Bleiwüste daher, sondern unterteilt in 63 sogenannte Cluster: in Bündel, Büschel, Schwärme, regionale oder thematische Zusammenstellungen, allesamt informativ eingeleitet und immer geschmückt mit je einer farbigen Zeichnung des Künstlers Frédéric Bruly Bouabré (1923–2014) von Côte d’Ivoire; das Titelbild zum leinengebundenen Opus magnum steuerte die in Zürich und Kapstadt lebende Künstlerin Evelyn Wilhelm (1975 geboren) bei: ein rätselhaftes Schriftbild, ein Rückgrat, ein Teppichmuster, ein Flussnetz, eine Studie in Weiss und Schwarz.

Die 63 Cluster sind unterteilt in 35 braune und 28 blaue, wobei Erstere regionale, also erdhafte Bezüge erhellen unter Titeln wie «Nigeria: Neue Poesie aus dem Chaos», «Sierra Leone nach der Zeit der Zerfleischung», «Inseldichtung rund um Afrika», «Algerierinnen im Widerstand» oder «Gärende Stimmung in Nordafrika». Die blauen Cluster stellen derweil thematische, ideelle oder soziologische Bezüge her: «Schwarz – Weiss – Coloured», «Vom Stamm über die Kolonie zum Nationalstaat», «Krieg, Terror und Folter – Visionen des Friedens», «Armut und Elend – eine Gesellschaft von Bettlern», «Spirituals und Soul, Zorn und Wut», «Liebe und Gesundheit auf Afrikanisch» oder «Tourismus und Migration».

Allein die Titel der 63 Cluster verleihen einen Eindruck von der kaleidoskopischen Fülle, mit der Al Imfeld mit dieser Anthologie die Poesie des Kontinents Afrika für die deutsche Sprache ausleuchtet. Dabei lässt er auch bekannte Namen zum Zug kommen, darunter Chirikure Chirikure, Joyce Mansour, Amina Saïd, Ken Saro-Wiwa, Girgis Shukry und Wole Soyinka, bestellt aber vorwiegend Neuland, präsentiert hierzulande kaum bekannte AutorInnen, Neuentdeckungen also.

«Afrika im Gedicht» blättert ein Panoptikum der afrikanischen Poesie ab 1960 auf, von Südafrika bis Ägypten, von Marokko bis Madagaskar, von Somalia bis zu den Kapverdischen Inseln. Imfeld erläutert dabei die vielfältige Bedeutung, die Gedichte in den verschiedenen afrikanischen Ländern haben: «Man spürt sehr intensiv die Freude der Dichter und Dichterinnen am Gedicht. Für die meisten ist es mehr als L’art pour l’art; es ist Waffe, und es wird zur Politik. Gedichte werden zu afrikanischen Gebeten. Gedichte können sehr viel Magisches in sich haben; sie kommen oft alten Zaubersprüchen oder Beschwörungen gleich.»

Unterstützt von der Lektorin und WOZ-Autorin Lotta Suter und den ÜbersetzerInnen Zineb Benkhelifa, Ueli Dubs, Elisa Fuchs, Danài Hämmerli und Andreas Zimmermann, konnte freilich nur einem Al Imfeld – einem, der dem Teufel vom Karren gefallen ist – ein solches Meisterstück gelingen. Unter vielen Texten stehen Hinweise wie «Text vom Dichter persönlich für die Anthologie zugestellt» oder «Gedicht vom Autor gemailt». Denn «Afrika im Gedicht» ist die Frucht eines während vieler Jahrzehnte sorgfältig aufgebauten und gepflegten Beziehungsnetzes und zugleich die Ausbeute einer ebenso langen, ausserordentlich aufmerksamen Lektüre – ein Lebenswerk.

Der Brückenbauer

In der Einleitung erzählt Imfeld die Genese. 1963 in den USA sei in ihm die Frage nach dem typisch Afrikanischen zum ersten Mal aufgetaucht; doch bald habe er bemerkt, dass nicht er den AfrikanerInnen etwas über sie, sondern sie ihm viel über sie selbst zu erzählen hätten. Er streifte den eurozentristischen Ansatz ab und begann, «systematisch, neo-afrikanische Literatur anzuschaffen und zu lesen». Bereits 1968 gab er an einer rhodesischen Mittelschule an den freien Samstagmorgen Kurse in afrikanischer Geschichte und neuer afrikanischer Literatur. An Literaturfestivals und -messen, am Radio, durch Bücher und Vorträge wurde Al Imfeld im Folgenden ein wichtiger interkultureller Brückenbauer zwischen Afrika und Europa.

Vor fünfzehn Jahren entstand erstmals die Idee, nach der eindrücklichen, aber nicht mehr zeitgemässen afrikanischen Lyrikanthologie «Schwarzer Orpheus» (1954/1964) ein aktuelles Monument für die afrikanische Poesie im deutschsprachigen Raum zu errichten. Doch es bedurfte 2011 des Anstosses eines «älteren und hageren Pensionärs, eines in Gedichte verliebten Pädagogen», um Imfelds Projekt mit dem genannten MitarbeiterInnenstab voranzubringen.

In jeder Bibliothek

Dieser Pensionär wird jetzt Augen machen. Doch der Band ist keineswegs für die schmale Gemeinde der Poesie-Aficionados konzipiert, die er sowieso in nachhaltige Hochstimmung versetzen wird. Gedichte, so Imfeld, «helfen einem Geschäftsmann so gut wie einem Entwicklungsarbeiter. Gedichte sind eine besondere Form der Philosophie. Wie nirgendwo anders legen sie Bedürfnisse offen und zeigen deutlich Schwachstellen, ohne zu beleidigen. Gedichte sind ehrlich.»

Deshalb hat der Herausgeber recht, wenn er meint, dass dieser Band «in allen Bibliotheken stehen, in Schulen und Entwicklungseinführungskursen benutzt werden müsste». Statt eines doch nur zufällig auswählbaren Gedichts aus dem Band soll zum Schluss ein Gedicht von Al Imfeld selbst zitiert werden, das er einst Alexandra Stäheli und mir für die Poesieanthologie «Warenmuster, blühend» (Waldgut-Verlag, Frauenfeld 2000) überliess. Es sagt viel über seine tiefe Beziehung zu Afrika aus: «nur ein blatt / an der bananenstaude / ist grün geblieben // alle anderen / wurden braun und / fielen auf den boden // das grüne / ob es in der hitze nun fragt / wozu // wie einen fächer / bewegt der wind / das grüne // sein leben / liegt gar nicht in seiner hand / alles wird in afrika vom wind getragen».

Buchvernissage: Sonntag, 22. Februar 2015, 10.30 Uhr
 im Kulturhaus Helferei, Zürich. Al Imfeld diskutiert 
mit dem Afrikakorrespondenten Ruedi Küng, der Musiker und Dichter Stan Weier aus Simbabwe liest
 aus seinen Gedichten, dazu gibt es Musik des Duos
 Djam Rek.

Al Imfeld (Hrsg.): Afrika im 
Gedicht. Offizin Verlag. Zürich 2015. 820 Seiten. 72 Franken