Kommentar: Was ist journalistische Unabhängigkeit?

Nr. 10 –

Unter JournalistInnen ist es üblich zu behaupten, man habe keine politischen Präferenzen, sondern sei unabhängig. Christine Maier etwa, Chefredaktorin des «SonntagsBlicks», sagte gegenüber der «Schweiz am Sonntag»: «Ich bin weder Mitglied einer Partei, noch stehe ich einer näher als der anderen. Ich verstehe mich als unabhängige Journalistin.» Ja, von Parteien sollten JournalistInnen unabhängig sein: Journalismus ist der Aufklärung verpflichtet, PolitikerInnen haben dagegen stets auch ihre Wiederwahl im Blick. Der Zweck heiligt da oft die Mittel. Dass Roger Köppel neben seinem Posten als Chefredaktor der «Weltwoche» nun gleichzeitig für die SVP in den Nationalrat will, bedeutet für sein Blatt die endgültige Bankrotterklärung.

Unabhängig zu sein, heisst jedoch nicht, keine politische Haltung einzunehmen. Jeder Journalismus reflektiert eine Haltung. Bereits die Auswahl der berichtenswerten Fakten geschieht vor dem Hintergrund einer Weltsicht. Und wie stellt man die Fakten dar? Sind es «junge Muslime», die in Frankreichs Banlieues Autos anzünden, oder «arbeitslose jugendliche Franzosen»? Welche Zusammenhänge werden zwischen den Fakten hergestellt? Wen lässt man zu Wort kommen? Warum UBS-Chef Sergio Ermotti und kaum je einen Obdachlosen?

Es wäre redlicher offenzulegen, von welchen Grundwerten aus man die Welt betrachtet.

Bedenklicher ist jedoch, dass diese Fragen immer seltener aus einer bewussten Haltung heraus entschieden werden. Entscheidend ist der Profit. Eine Kampagne über den Pimmel eines Aargauer Politikers oder über einen ausländischen Sozialhilfebetrüger bringt die LeserInnenzahlen zum Steigen. Hohe LeserInnenzahlen bringen Inserate, Inserate bringen Geld. Darauf sind Grossverlage wie Tamedia oder Ringier aus. Zudem entziehen sie den Redaktionen immer mehr die Mittel, die für die Recherche, die Aneignung von Wissen und für eine kritische Auseinandersetzung mit der Welt notwendig wären.

Es sind diese Umstände, die die Unabhängigkeit des Journalismus tief untergraben haben.