Kriminalromane: Der Konflikt des Krimiautors mit dem Gesetz

Nr. 19 –

Ein Tagedieb, ein Polizist oder ein Hauswart: Warum ein Krimiautor welchen Protagonisten wählt und warum er sich am Ende der Geschichte für oder gegen das Rechtssystem entscheidet.

Wer Krimis schreibt (und liest), steht mit dem Gesetz in Konflikt. Wer an das Gesetz glaubt, überzeugt ist, dass Recht und Gerechtigkeit dasselbe sind, wird an Krimis keine Freude haben, muss sie als Spekulation und Zeitverschwendung ansehen.

Es ist unmöglich, Krimis zu schreiben, ohne sich Gedanken über das Recht und das Rechtssystem zu machen.

Die Wahl der ermittelnden Figur sagt bereits einiges darüber aus, wie der Autor oder die Autorin zum Justizapparat steht.

Viele, die Krimis schreiben, wären wahrscheinlich selber gerne Kriminalbeamte, Staats- oder RechtsanwältInnen geworden. Es gibt aber auch solche, die das Justizsystem von der anderen Seite her kennengelernt haben. Ich geriet als junger Mensch hin und wieder mit dem Gesetz in Konflikt, musste Nächte in Zellen verbringen und vor Gericht antraben. Es handelte sich um Bagatelldelikte, die Einträge in meinem Strafregister sind längst gelöscht (offiziell zumindest). Für eine kriminelle Karriere fehlten mir die Nerven, ich bin von Natur aus eher ängstlich. Doch ich bewegte mich in einem Umfeld, das, teilweise aus Überzeugung, teilweise aus wirtschaftlichen Gründen, auf der anderen Seite des Gesetzes stand oder zumindest gerne einen Fuss dorthin setzte: Ladendiebe, Drogenhändler, politische Aktivistinnen, Einbrecher, Feierabendterroristen, Gelegenheitsbetrügerinnen, Hochstaplerinnen, Zechpreller, notorische Schwarzfahrer, Verursacherinnen groben Unfugs, Erreger öffentlichen Ärgernisses, Velo- und Mofadiebe, Vandalinnen – bis hin zu Bankräubern.

Die Polizei als Schicksalsgöttin

Entsprechend gefürchtet war damals die Begegnung mit Vertretern des Gesetzes. Die erfolgreicheren DelinquentInnen zeigten dabei eine Kaltschnäuzigkeit und Gelassenheit, die auf einem vollständigen Mangel an Unrechtsbewusstsein fusste. Für einen wie mich, tendenziell stets mit einem schlechten Gewissen und inkriminierenden Tascheninhalten belastet, waren Ausweis- und Personenkontrollen nervenaufreibend. Stehen bleiben oder davonrennen, das war die Frage, wenn einem ein Polizeiausweis unter die Nase gehalten wurde. Letzteres konnte unschöne Konsequenzen haben. Zwei Bekannte wurden von einem Fahnder mittels Schussabgabe gestoppt, in die Luft zwar, aber trotzdem. Einer der beiden war aus dem Gefängnis ausgebrochen.

Die Polizei spielte in dieser Subkultur die Rolle der Schicksalsgöttin. Sie entschied über Erfolg und Misserfolg, Freiheit oder Gefängnis, im Extremfall über Leben und Tod.

Der Polizei- und Justizapparat war das schwarze Loch, in dem die Leute verschwanden, er war es, der sie mürbe machte und schliesslich besiegte, aus dem Verkehr zog oder zum Aufgeben bewog.

Ein blaues Auge für den Oberschurken

Da erstaunt es nicht, dass mein erster Krimiheld, Köbi Robert («Köbi der Held», 1998), nichts von einem klassischen Kriminalbeamten hatte. Ein Tagedieb ohne Ausbildung, unbewaffnet und kaum kampferprobt. Er stand zwar in der Tradition der Helden der amerikanischen Hard-Boiled-Krimis, die von Raymond Chandler, Dashiell Hammett oder Elmore Leonard geprägt wurden, doch deren Helden wissen mit der Waffe umzugehen, sind hartnäckig und können sich prügeln. Sie haben oft einen Freund bei der Polizei, die ansonsten korrupt ist und von politischen Interessen dominiert wird, der verlängerte Arm der Mächtigen ist. Das Rechtssystem hat in dieser Welt weder mit Recht noch mit Gerechtigkeit etwas zu tun.

Es ist der Held, es gab nur wenige Heldinnen, der mit seinem Rechtsempfinden, seiner Unbestechlichkeit, die meist auf selbst erlittenem Unrecht basiert, für wahre Gerechtigkeit sorgt und TäterInnen überführt, die ungestraft davongekommen wären. Sie werden nicht der Justiz übergeben, sie nehmen ein böses Ende, wobei nicht selten der Oberschurke mit einem blauen Auge davonkommt. Weil er reich und mächtig ist. Das System ist durch und durch verrottet. Nur das unerschrockene, unbestechliche Individuum, der Aussenseiter, der nichts zu verlieren hat, kann Sand ins Getriebe streuen, die Maschine ins Stocken bringen. Kein Wunder, sind diese Helden der Hard-Boiled-Krimis oft desillusioniert, zynisch, trinken zu viel und sind einsam. Nicht umsonst wird das Genre auch Série noire genannt. Diese Sicht der Dinge entsprach weitgehend meiner Wahrnehmung. Darum war es reizvoll, eine Figur zu schaffen, der es trotz aller Unzulänglichkeiten gelingt, dem Polizei- und Justizapparat zu trotzen und der Gerechtigkeit zumindest zu einem Teilsieg zu verhelfen.

Als ich Jahre später angefragt wurde, für eine Tageszeitung einen Fortsetzungskrimi zu schreiben, war mir klar, dass der Held ein Polizist sein musste. Ein richtiger Kriminalbeamter nach dem Vorbild von Wachtmeister Studer oder Maigret. Ein Polizist, der aufgrund seines Mitgefühls, seiner Fähigkeit, zuzuhören, eigenständig zu denken und sich nicht von vorgefassten Meinungen lenken zu lassen, in der Lage ist, in einem kalten, hierarchischen, unbeweglichen Beamtenapparat korrigierend einzugreifen. Ein Apparat, der sich gerne mit Tätern zufriedengibt, die dem gesellschaftlich akzeptierten Bild des Verbrechers entsprechen. Deshalb gehört bei einer solchen Figur der Konflikt mit Vertretern dieses Apparats – meist einem ambitionierten Vorgesetzten, dem es wichtiger ist, den Fall abzuschliessen, als den wahren Schuldigen zu finden – zum Programm. Jede Spielart des Krimis hat seine Regeln, die man als Autor befolgen oder brechen kann.

Die Absicht ist, Zweifel zu säen

Einen Polizisten zum Helden zu haben, hat viele Vorteile, weil eine Menge Aufgaben und Nachforschungen zusammen mit KollegInnen erledigt oder an sie delegiert werden kann. Diese Figuren können natürlich nicht allesamt korrupt, unfähig oder böswillig sein. Um solche Krimis zu schreiben, muss man sich als Autor ein Stück weit mit dem System versöhnt haben, in das der Protagonist eingebettet ist. Auch wenn dessen Stärken sich vor allem dann entfalten können, wenn er gegen die Regeln verstösst, ein Auge zudrückt oder eine Abkürzung nimmt. Er ist kein völliger Aussenseiter, aber ein Aussenseiter innerhalb des Systems. Dasselbe gilt wahrscheinlich auch für den Autor.

PolizistInnen haben mehr Macht als ein Privatermittler. Sie walten kraft ihres Amts, können Beweise verschwinden lassen, Geständnisse ablehnen, sogar Mitleid zeigen und Täter laufen lassen. Henry Kummer, der Held meines Fortsetzungskrimis, tut das in einem seiner drei Fälle («Metzgete in Zürich Nord», 2006). Es ist eine Täterin, und er findet, sie habe schon genug gelitten, weiss aber, dass die Justiz das anders beurteilen würde. Er sieht den gesellschaftlichen Nutzen nicht, diese Frau, die nur dieses eine Verbrechen begangen hat und für niemanden eine Bedrohung darstellt, einzusperren. Gerechtigkeit durch Unrecht, durch Manipulation des Rechtssystems. Niemand merkt etwas, die Tat wird einem Toten, der ohnehin ein Sauhund war, angelastet. Subversive Nutzung des Systems, das nicht nur schlecht ist, auch wenn ein wenig getrickst werden muss, damit es funktioniert.

Der Reiz, so einen Schluss zu schreiben, liegt darin, dass nur Kummer und die LeserInnen wissen, dass der gelöste Fall ganz anders abgelaufen ist. Die beruhigende Meldung in den Medien ist in Wirklichkeit eine Falschmeldung. Wie steht es um die anderen Meldungen, die wir lesen? Die Absicht ist, Zweifel zu säen.

Was aber ist mit einem Polizisten, der sich mit dem System arrangiert hat? Der akzeptiert, dass die Gerechtigkeit nicht immer siegt, dass ihm ein Täter entwischt, weil er dessen unbestritten feststehende Schuld nicht beweisen kann? Der, ohne zu zögern, einen Menschen erschiesst, der mit einer Waffe auf seinen Kollegen zielt? Ist es mir als Autor möglich, so einen Polizisten zu mögen und entsprechend darzustellen? Ich habe es mit Gion Kundert versucht. Er tritt nur in einem Roman auf und steht Köbi, dem Dilettanten, zur Seite («Stirb, schöner Engel», 2011).

Die Kluft im System

Die Welt hat sich seit Köbis erstem Fall verändert. Die Polizei ist nicht mehr, was sie einmal war. Die Uniformierten auf der Strasse heischen keinen Respekt mehr, sie werden ausgelacht, angepöbelt und attackiert. Sie riskieren bei der Jagd nach Verbrechern mitunter Kopf und Kragen, haben aber wenig Einfluss darauf, was danach mit ihnen passiert. Das entscheiden die Gerichte. Es tut sich eine Kluft auf im System, eine Art Klassenkampf. Wie überall einer von oben nach unten. Hier die PolizistInnen, die aus Lehrberufen stammen und die Drecksarbeit machen, dort das Justizsystem, in dem die AkademikerInnen das Sagen haben. Die Polizei weniger der Büttel der Mächtigen als ihr Spielball. Verbal werden sie von der Politik, insbesondere von ihren traditionellen Verbündeten, den bürgerlichen Parteien, unterstützt, beim Geld aber hört die Solidarität auf. Die einstigen Autoritätsfiguren sind zu Service-Providern verkommen. Effizient, unsichtbar und billig sollen sie die Probleme beheben, mit denen niemand etwas zu tun haben will.

Der Polizist ist zum Aussenseiter geworden. So ist es einfacher geworden, sich als Autor mit ihm zu identifizieren und Verständnis für ihn zu zeigen. Auch für den harten Hund, der am Ende der Gerechtigkeit zum Sieg verhilft, indem er sich über alle Vorschriften hinwegsetzt.

Trotzdem hüte ich mich, wenn ich mit Polizisten zu tun habe, meinen Beruf zu nennen. Krimiautoren sind bei Kriminalbeamten nicht gut angesehen. Wir prägen mit unserer Arbeit die Wahrnehmung ihres Berufs, den wir als Projektionsfläche für unsere eigene Vorstellung von Recht und Gerechtigkeit benutzen. Für ihren Arbeitsalltag hingegen interessiert sich kaum jemand.

Allein in der Schweiz lösen KrimiautorInnen Jahr für Jahr ungleich mehr spektakuläre Mordfälle als die Kriminalpolizei. Es gibt nur sehr wenige Mordfälle, und die sind meist schnell gelöst. Das Justizsystem ist einiges effizienter, als es im Krimi dargestellt wird. Trotzdem ist es für einen Autor, der vollkommen im bestehenden System angekommen ist, wahrscheinlich Zeit aufzuhören.

Vielleicht war darum der Held meines letzten Krimis, «Mordgarten», ein Hausabwart.

Stephan Pörtner ist Krimiautor und lebt in Zürich. 
www.stpoertner.ch