Whistleblower Rudolf Elmer: Der Finanzplatz und der Abtrünnige

Nr. 45 –

Nächste Woche verhandelt das Zürcher Obergericht über das Berufungsverfahren des Exbankmanagers und Wikileaks-Whistleblowers Rudolf Elmer. Die politische Bedeutung des Prozesses wird unterschätzt.

Vor wenigen Tagen urteilte er in Nizza an der Gegenveranstaltung zum G20-Gipfel über die Schweizer Justiz, nächste Woche wird die Justiz über ihn urteilen: Rudolf Elmer, 56, ehemaliger Manager der Privatbank Julius Bär und Wikileaks-Whistleblower, steht am 17. November einmal mehr vor Gericht. Elmer war im Januar 2011 vom Bezirksgericht Zürich wegen Verletzung des Bankgeheimnisses und wegen Nötigung zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt worden. Er soll als Angestellter der Privatbank auf den Cayman Islands Bankdaten entwendet haben. Nach seiner Entlassung 2002 habe er die Bank bedroht und Kundendaten veröffentlicht. Teilweise hat Elmer gestanden, Drohmails und -faxe verschickt zu haben, teilweise bestreitet er dies. Seine Anwältin ging deshalb gegen das Urteil in Berufung. Nun wird der Fall vor dem Zürcher Obergericht verhandelt.

Während des Verfahrens wird viel von Nötigung die Rede sein, von geschriebenen, verschickten und nicht verschickten Drohungen, und Verteidigung und KlägerInnen werden über technische Fragen streiten, zum Beispiel die, ob das Schweizer Bankgeheimnis auch auf den Cayman Islands zur Anwendung kommt. Aber bei diesem Prozess geht es um mehr: Der Fall Elmer ist ein politischer Fall. Es geht neben dem Juristischen auch darum, wie Justiz, Medien und der Finanzplatz mit einem Abtrünnigen umgehen, mit einem sogenannten Nestbeschmutzer. Dabei geht gern vergessen, dass der Schmutz nicht in erster Linie von Elmer kam. Max Frisch sagte einmal: «Die das Nest schmutzig machen, zeigen empört auf einen, der ihren Schmutz bemerkt, und nennen ihn den Nestbeschmutzer.»

Bundesgericht: «Willkür»

Rudolf Elmer ist kein Unschuldiger, er ist kein Held. Er arbeitete jahrelang als Bankmanager in einer Steueroase, ehe er zum Whistleblower wurde und die Verschleierungstaktiken der Banken anprangerte. Er verschickte Drohungen an Angestellte der Bank Julius Bär, das hat er vor Gericht zugegeben.

Allerdings wendete seine Anwältin ein, dass Elmer «bei der Ausübung der strafbaren Handlung unter erheblichem Druck gestanden» sei. Für das Urteil im Januar hatte diese «Bedrohungs- und Drucksituation» nur eine kleine Bedeutung. Für das Verständnis der Geschichte von Rudolf Elmer jedoch ist sie zentral. 2007 hat er gegen die Bank Bär, einzelne Geschäftsleitungsmitglieder und die Privatdetektei Ryffel wegen Nötigung, Drohung und Körperverletzung geklagt: Zwischen sechs und elf Detektive waren 2004 und 2005 von der Bank beauftragt worden, Elmer zu beobachten, weil sie vermuteten, er bedrohe die Bank. Elmer fühlte sich eingeschüchtert: Die Detektive fuhren mit «quietschenden Reifen» durch sein Wohnquartier, verfolgten seine Frau auf der Autobahn, sprachen seine Sekretärin an, fingen gar seine Tochter auf dem Weg zum Kindergarten ab und boten ihr einen Apfel an – um sie «in Angst und Schrecken» zu versetzen, wie das Bundesgericht festhielt.

Dieses Verfahren war im Kanton Zürich eingestellt worden, aber das Bundesgericht korrigierte den Entscheid im vergangenen März, sprach von «Willkür» und gab Elmers «Laienbeschwerde» statt: Die Staatsanwaltschaft Zürich habe es versäumt, belastende ZeugInnen einzuvernehmen, und nur die Eingeklagten befragt, rügte das Bundesgericht. Mittlerweile wurden auch Elmer und seine Familie angehört. Das Verfahren ist formell noch nicht abgeschlossen.

Leere CDs an Assange

Das eine Verfahren hat mit dem anderen direkt nichts zu tun. Und doch erzählt es viel über das Schicksal von Rudolf Elmer, dass er bis vor Bundesgericht gehen musste, damit man seinen Klagen überhaupt Gehör schenkte. Der Bundesgerichtsentscheid im März war ein erster Erfolg für Elmer. Nächste Woche will er sich vor dem Obergericht ein weiteres Stück Gerechtigkeit erstreiten.

Unabhängig von dessen Ausgang wird Elmer bald wieder mit der Schweizer Gerichtsbarkeit zu tun haben. Denn am 19. Januar dieses Jahres, am Abend nach der erstinstanzlichen Verurteilung am Bezirksgericht, wurde Elmer in seiner Garage verhaftet, weil er zwei Tage vor dem Prozess an einer Pressekonferenz in London aufgetreten war und dort zwei Datenträger an Julian Assange übergeben hatte.

Die Zürcher Staatsanwaltschaft vermutete auf den CDs geheime Schweizer Bankkundendaten, Elmer sagt, diese seien leer gewesen. Trotz der dürftigen Beweislage steckte man Rudolf Elmer ein halbes Jahr lang in Untersuchungshaft. Erst Ende Juli wurde er nach 187 Tagen im Gefängnis endlich wieder freigelassen.