Ablehnung der Erbschaftssteuer: Mehr radikale Initiativen bitte!

Nr. 25 –

Nach den Abstimmungen vom Sonntag war in der NZZ und im «Tages-Anzeiger» ausgemachter Blödsinn zu lesen. Der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz mangle es an Gestaltungskraft, sie sei eine Verliererpartei – gut im Verhindern (Verteidigen von sozialen Errungenschaften und fairen Löhnen?), schlecht im Gestalten. Sie habe niedere Instinkte angesprochen – Neid.

Die Blätter bezogen sich dabei auf die geballte Initiativoffensive, mit der die SP innerhalb von drei Jahren vor dem Hintergrund von Finanzkrise, Abzockerei und Armenbashing sachlich gerechtfertigt für mehr Verteilungsgerechtigkeit kämpfte – und auf der ganzen Linie verlor: Ferieninitiative (2012), 1:12 (2013), Mindestlohn (2014), Abschaffung der Pauschalbesteuerung (2014) und an diesem Wochenende die nationale Erbschaftssteuer.

Neu ist die hohe Kadenz, mit der die SP – und nicht nur sie – Initiativen an die Urne bringt. Es ist eine Binsenweisheit, dass die Schweiz seit ihrer Gründung überwiegend ein bürgerliches und konservativ gestimmtes Land ist. Verlieren gehört für Linke – mehr als für die Bürgerlichen – zum Tagesgeschäft. Alles andere sind Illusionen.

Ein Blick in die Statistik der Volksinitiativen belegt es. Da stösst man auf Initiativen für eine Reichtumssteuer, eine gerechtere Besteuerung und Abschaffung der Steuerprivilegien, für die Verlängerung bezahlter Ferien, gegen den Missbrauch des Bankgeheimnisses und der Bankenmacht. Die Liste gescheiterter Vorlagen ist lang. Sind verlorene Initiativen deswegen per se wirkungslos?

Natürlich nicht. Die radikale 1:12-Initiative der Juso hat einen Nerv getroffen, sie hat die Wirtschaft in Erklärungsnot gebracht. Die Mindestlohninitiative ist in einer Linie mit der erfolgreichen gewerkschaftlichen Mindestlohnkampagne zu verstehen – auch wenn sie an der Urne deutlich abgelehnt wurde, ist das nicht als generelle Absage an einen Mindestlohn zu verstehen. Und der Druck der Pauschalbesteuerungsinitiative hat zu einer gesetzlichen Verschärfung auf Bundesebene geführt.

Viele Beispiele aus der Vergangenheit belegen die Wirkmacht scheinbar utopischer Forderungen: Die Armeeabschaffungsinitiative von 1989 hat in einem (zugegebenermassen historisch günstigen) Moment die gesellschaftliche Bedeutung der Armee und die Armee selbst radikal verändert – bei einer Zustimmung von deutlich unter vierzig Prozent. Als die Linke vor bald hundert Jahren mit dem Generalstreik die bürgerlich beherrschte Schweiz unter Druck setzte und dabei zugleich das Frauenstimmrecht, die 48-Stunden-Woche, eine Armeereform und eine Alters- und Invalidenversicherung forderte, brachte der Bundesrat die Armee gegen die Linke und die ArbeiterInnen in Stellung. Es durfte geschossen werden – auf Linke. Die führenden Köpfe des Generalstreiks wurden vor Gericht gezerrt und verurteilt. Einer von ihnen hiess Ernst Nobs.

Das war 1918. Ein Vierteljahrhundert später war Nobs der erste sozialdemokratische Bundesrat. Heute hat die Schweiz ein Sozialversicherungssystem, um das sie andere Staaten beneiden. Es ist eines der Fundamente des sogenannten Erfolgsmodells Schweiz. Dank der Linken – und vernunftbegabter bürgerlicher PolitikerInnen.

Die Geschichte wiederholt sich nicht. Aber man kann aus der Geschichte lernen. Eine Linke, die sich bei der Mitte anbiedert, schafft sich selber ab. Das lässt sich in den von neoliberalem Gedankengut korrumpierten europäischen Schwesterparteien wie der SPD beobachten. Sie liegen saftlos am Boden. Man kann über die SP vieles sagen, aber dieser Kelch ist an ihr vorübergegangen. Und wo sie nicht – übrigens auf allen politischen Etagen – mit radikalen Positionen in den politischen Aushandlungsprozess geht, verliert sie vor allem an Glaubwürdigkeit und Kenntlichkeit.

In einem Land, in dem die Bürgerlichen schon immer die Mehrheit stellten, ist eine SP, die sich nicht radikal positioniert, überflüssig. Das gilt besonders auch für den bevorstehenden Wahlkampf.