Medientagebuch: Einmalige Chance vertan

Nr. 29 –

Andreas Fagetti über den Untergang der «TagesWoche»

Wohl noch nie hatte in der Schweizer Mediengeschichte ein von grossen Verlagen unabhängiges Start-up bessere Voraussetzungen, um sich in einem regionalen Markt zu etablieren: Als 2011 die «TagesWoche» in Basel mit einer professionellen und personell sehr gut dotierten Redaktion online und mit einem Wochenblatt auf den Printmarkt ging, stand hinter ihr mit Beatrice Oeri eine milliardenschwere Mäzenin. Und die grösste Zeitung am Platz, die von Christoph Blocher gekaufte «Basler Zeitung», erlebte unter Chefredaktor Markus Somm gerade ihr Waterloo und verlor Tausende AbonnentInnen.

Die Chance war also einmalig. Aber dann ging im Lauf der letzten vier Jahre fast alles schief. Jetzt ist die Enttäuschung umso bitterer, und bei manchen ehemaligen «TagesWoche»-MitarbeiterInnen ist sie in Hass umgeschlagen. In einem langen Facebook-Post rechnet der Journalist Michael Würtenberg gnadenlos mit den ehemaligen Chefs ab und bilanziert: «Ihr habt mindestens zwanzig Millionen verballert, damit eine Zeitung gedruckt wird, die sich nicht mal als Klopapier eignet, und eine Website publiziert wird, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheint. Es gab und gibt gute Gründe, eine Stimme gegen das publizistische Gift von Somm von Blochers Gnaden zu führen. Das Problem ist: Somm kann im Gegensatz zu euch schreiben und er hat ein Feu sacré. Und ihr Herrschaften hattet die grösste Chance und die Mittel dazu, eine publizistische Stimme gegen das Gift der Lippe aus Herrliberg zu gründen. Ihr habt es versiebt und dafür spucke ich (euch) vor die Füsse.»

Die «TagesWoche» war bei ihrem Start ein Hoffnungsschimmer in einer kaputt gesparten Medienbranche, ein Projekt, in dem es nicht in erster Linie ums Geschäft, sondern zuvorderst um guten Journalismus gehen sollte. Doch der Goodwill war spätestens vor einem Jahr aufgebraucht, als der erfahrene Journalist und Koredaktionsleiter Urs Buess über Nacht und auf grobe Art von seinem Posten entfernt wurde. Auch andere gute Leute mussten gehen oder verliessen das Medium aus freien Stücken, die Konkurrenz zum Blocher-Medium, die doch ganz anders sein wollte, verspielte dabei ihr wichtigstes Kapital: die Glaubwürdigkeit. Hinzu kam ein Auflagenschwindel, der einen Erfolg vortäuschte, den es nicht gab. Als die Unternehmensleitung vor kurzem Verlagsleiter Tobias Faust und Redaktionsleiter Dani Winter schasste und einen Neuanfang postulierte, war die «TagesWoche» bloss noch eine peinliche Fussnote der Mediengeschichte. Einerlei, ob sie noch eine Weile weiter existiert: Sie hätte an ihrem Konzept scheitern können – Print und Online –, sie hätte wirtschaftlich scheitern dürfen. Das kommt vor. Aber sie hat sich selbst demontiert.

Über die Gründe kann man beim heutigen Kenntnisstand bloss spekulieren. Am Geld lag es nicht, an der journalistischen Qualität bis vor einem Jahr ebenso wenig und auch nicht an den Marktvoraussetzungen. In der tatsächlichen und teilweise bloss gefühlten Medienkrise sollen Crowdfunding, Mäzenatentum und Stiftungen den seriösen Journalismus in die Zukunft retten. Skepsis ist angebracht, wie der Fall der «TagesWoche» zeigt: Die Geldgeberin hält sich hier zwar vornehm im Hintergrund. Aber von ihr hängt dennoch alles ab. Von ihrer Haltung weiss die Öffentlichkeit nichts – in einem Geschäft, das von Öffentlichkeit lebt. Doch die LeserInnen möchten wissen, von wem sie ihre Informationen beziehen – auch das hat mit Glaubwürdigkeit zu tun. Sie ist in diesem Geschäft fast alles.

Andreas Fagetti ist WOZ-Redaktor. 
Zur Finanzierung von Medien vgl. auch 
das Dossier «Die Zukunft der Presse ».