Afghanistan: Die Taliban vor der Spaltung?

Nr. 32 –

Um die Nachfolge des Talibangründers Muhammad Omar ist in der paschtunisch-islamistischen Miliz ein Machtkampf entbrannt. Dessen Ausgang wird entscheidenden Einfluss auf die Friedensgespräche haben.

Nach dem Bekanntwerden des Todes von Talibangründer und -führer Mullah Muhammad Omar, der bereits im April 2013 gestorben sein soll, ist ein Streit um seine Nachfolge ausgebrochen. Am schnellsten reagiert hat der bisherige Stellvertreter Mullah Achtar Muhammad Mansur, der sich am 30. Juli nicht nur zum politischen Nachfolger Omars ausrufen liess, sondern auch den religiösen Titel Amir al-Muminin (Oberhaupt der Gläubigen) annahm.

Die konkurrierenden Seiten versuchen nun, möglichst viel Gefolgschaft um sich zu scharen. Mansur hat deshalb in seiner ersten Audiobotschaft die Weiterführung des «Dschihad gegen die westliche Okkupation» des Landes in den Mittelpunkt gestellt und schloss gleichzeitig Friedensgespräche mit der afghanischen Regierung nicht aus. Dass der bewaffnete Kampf notwendig und legitim sei, ist bei den Taliban unumstritten, stellt also in den verschiedenen Strömungen den einigenden Faktor dar. Streitpunkt – und möglicher Spaltungsgrund – ist die Haltung zu direkten Friedensgesprächen und die Rolle Pakistans in diesem Prozess.

Auf der von Mansur kontrollierten offiziellen Website der Bewegung werden gerade reihenweise Gefolgschaftserklärungen hochrangiger Talibanführer veröffentlicht. Dabei gibt es zwei ganz wichtige Unterstützer: den 2014 abgesetzten früheren Talibanmilitärchef Qayum Zaker, bisher als Mansurs ärgster Rivale bekannt, der per offenem Brief dementierte, dass er Streit mit Mansur habe; und Dschalaluddin Haqqani, den Anführer des berüchtigten, zu den Taliban gehörenden und mit al-Kaida verbündeten Haqqani-Netzwerks. Haqqanis Sohn Seradschuddin war am Donnerstag zum Stellvertreter Mansurs aufgerückt.

Familiäre Gegnerschaft

Unter den Gegnern Mansurs profilieren sich zwei Familienangehörige Mullah Omars, sein 26-jähriger, ältester Sohn Mullah Muhammad Jakub sowie ein Bruder namens Mullah Abdul Mannan. Ausserdem trat der Leiter der politischen Kommission der Taliban, also ihr Hauptverhandlungsführer, Tajeb Agha, zurück. Er war während der Herrschaft der Taliban über Afghanistan (1996–2001) und einige Jahre danach der wichtigste Vertraute Mullah Omars. Sein Wort hat, anders als dasjenige Jakubs oder Mannans, Gewicht. Die Gegner kritisieren vor allem die übereilte Proklamation Mansurs, die nicht legitim sei.

Dabei hätte bei der Nachfolge eigentlich alles klar sein müssen. Mullah Omar hatte frühzeitig – etwa 2005 oder 2006 – Mullah Abdul Ghani (besser bekannt als «Baradar», Bruder) und Mullah Obaidullah, den früheren Talibanverteidigungsminister, zu seinen Stellvertretern ernannt. Doch Baradar wurde 2010 vom pakistanischen Geheimdienst verhaftet, Obaidullah starb schon 2010 im Gefängnis in Pakistan. So wurde Mansur schon 2010 zum alleinigen Stellvertreter. Er wurde Chef des Führungsrats, der sogenannten Quetta Schura, die dem Amir al-Muminin untersteht. Seitdem Mullah Omar tot ist, führt Mansur die Organisation in dessen Namen.

Während Obaidullah und Baradar die Taliban nach der Niederlage 2001 als schlagkräftige Truppe wieder aufgebaut und landesweit verankert haben, behauptete sich Mansur erfolgreich gegen die noch einmal erhöhten Anstrengungen der westlichen Truppen, die Taliban zu zerschlagen. Ende 2014 wurden dann die meisten ausländischen Truppen abgezogen. Die Talibanbewegung verdankt Mansur ihr Überleben.

Ein Problem für Pakistan

Mansur war es auch, der sich für die jüngsten Friedensgespräche eingesetzt hatte – und der gleichzeitig versuchte, die Taliban von der engen Kontrolle durch Pakistan zu befreien. Seit 2013 etablierte er ein Taliban-Kontaktbüro im Golfstaat Katar. Das dürfte Islamabad, das die Taliban weiterhin als Trumpfkarte in Afghanistan ansieht, nicht gefallen haben. Die pakistanische Staatsspitze versuchte, Mansurs Einfluss zu untergraben, indem sie – in Kooperation mit der afghanischen Regierung – Anfang Juli erstmals Direktgespräche zwischen Kabul und den Taliban organisierte. Mansur hatte zwar zugestimmt, doch als das Treffen entgegen den Abmachungen publik wurde, protestierte er dagegen und erklärte es für nichtig. Dann folgte die Nachricht vom Tod Mullah Omars, mit der wohl vor allem Islamabad Mansur als Usurpator diskreditieren wollte.

In der Folge dieser Ereignisse gibt es bei den Taliban sogar mehr als zwei Strömungen. Besonders die Gesprächsbefürworter scheiden sich an ihrer Haltung zu Pakistan. Mansur will der pakistanischen Kontrolle ausweichen, während eine andere Strömung – die sich mit Omars Angehörigen verbündet hat – stark auf Pakistan ausgerichtet ist. Es ist schwierig zu sagen, wer sich am Ende durchsetzen wird, ob es eine Spaltung gibt oder alle Seiten wieder zusammenfinden. Im letzteren Szenario würden die Taliban in Hinblick auf Friedensgespräche militärisch und politisch stärker dastehen.

Die Nachfolgefrage bei den Taliban ist also noch längst nicht entschieden. Aber eines ist klar: Wer wirklich Frieden in Afghanistan will, sollte nicht versuchen, die Aufstandsbewegung zu spalten. Das ist ein gefährlicher Weg, der noch radikalere Gruppen hervorbringen könnte, die jeden Friedensschluss mit Freude in die Luft jagen würden.