Wichtig zu wissen: Freier Salamiverkehr

Nr. 37 –

Susi Stühlinger über die Leiden des Detailhandels

Es waren schreckliche Zeiten. Ganz besonders für den Schweizer Detailhandel. Grund dafür war einmal mehr der Bund mit seinem wirtschaftsfeindlichen Gebaren. Als ob die Aufhebung des Euromindestkurses durch die Nationalbank nicht schon dreist genug gewesen wäre, schickte sich nun eine weitere staatliche Institution an, dem Gewerbe das Leben schwer zu machen: das eidgenössische Grenzwachtkorps. Dessen Chef, Jürg Noth, rief die Bevölkerung freimütig zum Einkaufstourismus auf, als er in der Presse verkündete: «Wir haben sicher nicht mehr die Möglichkeiten, zu schauen, ob einer zu viel Salami oder Grappa über die Grenze nimmt.» Freilich war die Konzentration der Ressourcen aus Sicht der Grenzwache unumgänglich: Wer sonst sollte dem derzeitigen Ansturm am Grenzbahnhof Buchs Herr werden, wo Horden von JournalistInnen einfielen, um einen Blick auf weitgehend leere Zugkompositionen aus dem Osten zu erhaschen?

Wenn sich dem Detailhandel doch wenigstens eine Möglichkeit böte, die leidige Sache mit den Zügen clever zu vermarkten, wie es zur selben Zeit im polnischen Walbrzych geschah. Der dortige Fund eines Nazigoldwaggons kurbelte die lokale Wirtschaft ganz gehörig an. Die KonsumentInnen von nah und fern gierten geradezu nach den Goldzuggimmicks wie T-Shirts, Keramikwaren, Süssigkeiten und Salamis, die an die goldenen Zeiten der polnischen Geschichte erinnerten.

Da es jedoch unwahrscheinlich schien, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban in näherer Zukunft einen Waggon mit Gold füllen, verschwinden und in der Nähe von St. Margrethen wieder auftauchen lassen würde, mussten die Schweizer Detailhändler auf andere Methoden setzen. Wenn auch keinen Goldzug, so bot die Migros wenigstens das Zürcher Cobra-Tram, den Gotthardtunnel und andere Schweizer Sehenswürdigkeiten aus Plastik zum Sammeln an.

Manor indes stellte den Kunden selbst als Sehenswürdigkeit in den Mittelpunkt, indem dessen Bewegungen innerhalb des Ladens via Handytracking erfasst wurden. Ausser den Schritten, versicherte die Manor-Sprecherin etwaigen SkeptikerInnen, messe man nichts. In dieser Hinsicht hinkte der Detailhandel den Krankenversicherern weit hinterher. Letztere waren von Frankenstärke und Einkaufstourismus zwar nicht betroffen, liessen es sich aber trotzdem nicht nehmen, nebst den Schritten künftig auch sämtliche anderen Angewohnheiten ihrer KlientInnen zu erfassen. Zum Beispiel wenn sie tranken oder rauchten oder im nahen Ausland ungesunde Ein-Euro-Döner essen gingen und damit ihr Risikoprofil verschlechterten.

Die Politik nahm diese Entwicklungen wohlwollend zur Kenntnis. Mochte die lückenlose Überwachung der BürgerInnen mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz nur unzureichend gewährleistet sein, so wäre es doch im Rahmen einer Public-Private-Partnership mit diversen Dienstleistungserbringern wie Swisscom, Manor und CSS in naher Zukunft möglich, den Zugang zu allen erforderlichen Personendaten sicherzustellen.

Susi Stühlinger hat das Zürcher Cobra-Tram bis jetzt nicht für eine Sehenswürdigkeit gehalten.