Die Geschichte: Ein absoluter Kulturwert wird zum nostalgischen «Brand»

Nr. 49 –

Gegründet wurde das Kulturmagazin «Du» einst als hochwertige Visitenkarte einer Druckerei – im Besitz von Tamedia wurde es zum Spielball im Verlagsgeschäft. Die Chronik eines Niedergangs.

Es war einmal ein international hoch angesehenes Schweizer Kulturmagazin mit dem schlichten Titel «Du». Das Selbstverständnis in den ersten Jahrzehnten beeindruckt: Ausschlaggebend sollen «immer absolute, nicht relative Werte sein», so schrieb Chefredaktor Manuel Gasser in seinem ersten «Du»-Editorial, um den künftigen Kurs der Publikation abzustecken. Das war Anfang 1958, und Gasser hatte das Magazin gerade von dessen erstem Chefredaktor Arnold Kübler übernommen, der das auf Kunst und Kultur spezialisierte «Du» die ersten siebzehn Jahre geprägt hatte. Als das grossformatige Heft 1941, mitten im Krieg, von der Zürcher Druckerei Conzett & Huber gegründet wurde, ging es ursprünglich vor allem darum, eine neue Farbtiefdruckmaschine zu testen und zu bewerben. Kunstdrucke waren dafür ideal und wurden zu einem Markenzeichen des jungen «Du». Wenn VertreterInnen von Conzett & Huber in die Welt hinausfuhren, um Druckaufträge zu akquirieren, benutzten sie das «Du» als edlen Verlagsprospekt und Beleg für ihr drucktechnisches Geschick.

Natürlich verfolgte man auch inhaltliche Ambitionen. Diese erfüllten sich in aufwendig gestalteten monothematischen Heften, die schon der erste Chefredaktor Kübler eingeführt hatte. Kübler war ein Zeichner, Schriftsteller und Schauspieler, der wegen unschöner Operationsnarben im Gesicht seine Schauspielerkarriere abbrechen musste und fortan seine beträchtliche Energie in das «Du» steckte. Aufsehen erregte unter anderem sein Titelbild mit dem von Minensplittern entstellten Gesicht eines holländischen Jungen. Der Schweizer Fotograf Werner Bischof hatte das Porträt 1946 während einer sechsmonatigen Reportagereise durch das kriegsversehrte Europa gemacht. Chefredaktor Kübler nahm das Bild zum Anlass für einen engagierten Appell gegen die «Trägheit des Herzens» und für die humanitäre Verpflichtung der Schweiz.

Schaufenster für Fotografie

Auch Küblers Nachfolger war ein publizistisches Schwergewicht. Manuel Gasser hatte in den dreissiger Jahren zusammen mit Karl von Schumacher die «Weltwoche» und die Frauenzeitschrift «Annabelle» gegründet und als Pariser Kulturkorrespondent für die NZZ gearbeitet. Kurz nach Amtsantritt holte er 1958 den Jungschriftsteller Hugo Loetscher als Literaturredaktor zum «Du». Gleichzeitig blieb das Heft eine wichtige Plattform für das aufstrebende Medium Fotografie. Junge, aber auch bereits bekannte FotografInnen arbeiteten regelmässig für das «Du». Henri Cartier-Bresson etwa steuerte 1967 eine grosse Bildreportage über die Schweiz bei, und der kürzlich verstorbene Schweizer Fotojournalist René Burri schickte Bilder von seinen Reisen um die halbe Welt.

Trotz schweizerischer Schwerpunkte war die Ausstrahlung international. Die alten «Du»-Hefte tauchten weltweit in kunsthistorischen Bibliografien auf. Und die Liste der Auslandsvertretungen für Abonnements reichte von Argentinien über Mexiko bis Südwestafrika. Unter Gassers Ägide wurden Themen behandelt, die auch heute noch neugierig machen: «Unvollendete Kunstwerke von den Ägyptern bis zur Gegenwart», «Schmerz», «Meister borgen bei Meistern: Zitat, Kopie, Entlehnung in der Malerei». Die legendäre Nummer «Unter 40» von 1962 porträtierte zahlreiche jüngere Schweizer Persönlichkeiten aus Kunst, Literatur, Publizistik, Fotografie und «Showbussiness» (sic). Nach Gassers Abgang 1974 verlor das «Du» an Kraft, war oft eher ein bildungsbürgerlicher Gemischtwarenladen als ein kultureller Leuchtturm mit Überraschungseffekten.

Auch mit dem Druckgeschäft ging es bergab. 1987 kaufte die Tamedia die Druckerei Conzett & Huber auf und realisierte erst im Nachhinein, dass sie auch noch ein Kulturmagazin miteingekauft hatte. Doch der Werbeeffekt funktionierte vorerst auch beim neuen Besitzer. Das «Du» diente dem Verlag als noble Visitenkarte, die in den Anfangsjahren durchaus auch etwas kosten durfte. Als neuer Chefredaktor wurde der bekannte Kulturjournalist Dieter Bachmann engagiert, um das Heft inhaltlich und konzeptuell wieder in Schwung zu bringen. 1988 trat er mit einer neuen Redaktion an. Die sanfte Renovation und Auffrischung im Zeichen eines gewandelten und erweiterten Kulturbegriffs gelang über das Ganze gesehen gut – und war auch nötig.

Das «Du» hatte bis dahin lange auf einen hohen Ton und elitären Kurs gesetzt. Man kann das an den Themen und vielen alten Editorials ablesen, aber auch an der Werbung für Meister-Silber, Bösendorfer-Flügel, Auktionshäuser und kubanische Zigarren. «Absolute Werte» hatte man, man musste sie nicht erklären.

Auch zeichnete sich das «Du» in der Regel nicht durch eine kritische Berichterstattung aus. Eine grosse Nähe zu den Porträtierten galt als Markenzeichen. Und wenn Kritik, war es meistens eine Kritik am allgemeinen Kulturzerfall: «In einer lächerlich politisierten Umwelt hat sich das ‹DU› immer im Unpolitischen bewegt», hatte Chefredaktor Wolfhart Draeger im Januarheft von 1984 fast trotzig geschrieben. In seinem Abschiedseditorial vor dem Neustart 1988 klang er dann fast schon sarkastisch: «Immer stärker funktioniert unser Kunst- und Kulturleben nach dem Motto: Wo man sich nicht gegenseitig tottrampelt, lohnt es sich auch nicht, dabeizusein.»

Als das «Du» 1992 im Zuge einer Sparmassnahme statt wie bisher in einer Kartonschachtel neu in Plastik eingeschweisst an die AbonnentInnen verschickt wurde, musste Chefredaktor Bachmann diesen Schritt in seinem Editorial ausführlich rechtfertigen. In der breit gefächerten Themenwahl unter ihm und seinen Nachfolgern Marco Meier und Christian Seiler spiegelte sich die Zersplitterung der Deutungshoheit darüber, was alles Kultur sein darf, kann und soll: von «Islam – Die Begegnung am Mittelmeer» über «Marcello Mastroianni und Jeanne Moreau» bis zu «Net.Art. Rebellen im Internet».

Kulturkampf in den Leserbriefen

Sogar in den Leserbriefspalten tobte gelegentlich der Kulturkampf: zwischen Popkulturfans, die sich mehr Berichterstattung zur Videokunst wünschten, und den Hochkulturellen, die wegen Nummern wie «Der Bürger und sein Auto» wütend das Abonnement abbestellten. Viel beachtete Nummern zu den beiden Grossen der Schweizer Literatur, Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, die 1991 zufällig mit dem Tod der Schriftsteller zusammenfielen, bescherten dem «Du» Traumauflagen. Gleichzeitig bemühte man sich, auch heisse gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen, mit aktuellen Nummern zum Balkankrieg («Ein europäisches Desaster», 1993), zur Angstlust («Das Leben. Ein Thriller», 2000) und zum Terrorismus («Alltag wie nie zuvor», 2003).

Parallel zur klar definierten Kulturhoheit geriet auch der Zeitschriftenmarkt immer mehr unter Druck. Auf den Teppichetagen des Tamedia-Verlags schwand das Verständnis für die Notwendigkeit, weiterhin Geld in das Heft zu investieren. Das noble «Du» war im anschwellenden Grosskonzern eine Nummer zu klein und kam unter die Räder. Zwar verlochte der TA-Konzern rund 55 Millionen Franken in den Privatsender TV3, der gut zwei Jahre nach Sendestart wieder eingestellt wurde. Dem «Du» dagegen hielt man seine vergleichsweise mässigen Verluste von einer halben bis einer ganzen Million Franken pro Jahr vor. Das Heft stand so unter ständigem Druck, wenigstens eine schwarze Null zu schreiben.

Verschiedene Beteiligte beklagen noch heute im Gespräch, man habe sich vonseiten des Konzerns nicht ernsthaft um eine zukunftsträchtige Lösung für die Zeitschrift bemüht, obwohl es hochkarätige Kaufinteressenten gegeben hätte. Andere erinnern sich dagegen, dass es wohl schwierig gewesen sei, überhaupt einen Käufer für das defizitäre Magazin zu finden. Studiert man die Verlagschronik aus jenen Jahren, fällt auf, dass das Ende des «Du» mit dem grossen Einstieg ins Gratiszeitungsgeschäft zusammenfällt. Die Weichen wurden damals auf Profit statt auf publizistisches Prestige gestellt.

Die Redaktion verschwindet

In der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit» rechnete der ehemalige Chefredaktor Bachmann 2003 in einer auffallend bitteren Protestnote mit dem Tamedia-Konzern ab, der nicht bereit gewesen sei, das «Du» zu retten. Nach dem Verkauf an den kleinen Thurgauer Architekturverlag Niggli trat der damalige Chefredaktor Christian Seiler unter einigem Getöse zurück: «Es bestanden zwischen Eigentümern und Chefredaktion so unterschiedliche Ansichten über die Neupositionierung des Blattes, dass ich es schliesslich für notwendig hielt, von meiner Position zurückzutreten», schreibt Seiler in seinem letzten Editorial 2004. Die kommenden Jahre leitete die Redaktion das Heft als Kollektiv. In Erinnerung bleiben Hefte wie dasjenige zum ungarischen Schriftsteller und Holocaustüberlebenden Imre Kertész, entstanden in spürbar vertrauter Zusammenarbeit mit dem Literaturnobelpreisträger.

Gleichzeitig stand man in einem aufreibenden Clinch mit dem Verleger und dem Herausgeber, die nicht nur ökonomisch, sondern auch inhaltlich Druck machten. Mehrere Beteiligte erinnern sich, dass bei einem Umzug mehrere kostbare Le-Corbusier-Möbel, die der «Du»-Redaktion einst geschenkt worden waren, im Privatbesitz des Herausgebers verschwanden. Als der aktuelle Besitzer Oliver Prange das «Du» dann im Sommer 2007 vom Niggli-Verlag übernahm, soll er die Bedingung gestellt haben, dass die gesamte Redaktion und das Grafikteam vorher entlassen würden. Deren letztes Heft trug den schwer symbolischen Untertitel «Das Alphabet des Verschwindens».

Seit 2012 tritt Prange nicht nur als Verleger und Besitzer des «Du» auf, sondern auch als dessen Chefredaktor. Er ist somit seit der Jahrtausendwende bereits der dritte Besitzer und fünfte Chefredaktor des Hefts. Unter ihm warf Chefredaktor Walter Keller nach sechs Monaten das Handtuch, Stefan Kaiser verliess das Heft nach dreijähriger Tätigkeit. Für Prange ist das «Du» ein «Brand», er beschwört gern die grosse Vergangenheit des Hefts. Auf dem Titelblatt prangt seit seinem Amtsantritt wieder der charakteristische alte «Du»-Schriftzug aus den vierziger und fünfziger Jahren. Eine nostalgische Flucht in vergangene Werte? Oder geht es hier schlicht um die letzte Plünderung einer alten Schatzkammer? Das Rezyklieren von alten Textbeiträgen aus der 74-jährigen Geschichte, wie etwa im Heft «Aus der Du-Schatzkammer: grosse Namen, grosse Geschichten» vom Januar 2014, ist jedenfalls nicht die einzige seiner verlegerischen Aktionen, die stutzig macht.

Alle «Du»-Ausgaben von 1941 bis 2014 sind digital abrufbar unter http://retro.seals.ch.

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