Genfer Gespräche: Gescheitert an drei Tabus

Nr. 22 –

Die Verhandlungen zwischen der syrischen Regierung und Oppositionellen sind aussichtslos – weil über gewisse Fragen gar nicht erst geredet werden soll.

Am letzten Sonntag ist der Chefunterhändler der syrischen Opposition, Mohammed Allusch, zurückgetreten – «aus Protest gegen den bislang völlig ergebnislosen Verlauf» der von der Uno vermittelten Genfer Gespräche mit der syrischen Regierung. Doch bis Redaktionsschluss war von Uno-Vermittler Staffan de Mistura kein einziges Wort über Alluschs Abgang zu hören. Dieses tagelange Schweigen des Karrierediplomaten, der seit Beginn der Gespräche Ende Januar fast täglich seine Vermittlungsstrategie erläuterte und den Eindruck von wenigstens kleinen Fortschritten zu vermitteln suchte, sagt mehr aus als jede offizielle Erklärung: Der diplomatische Prozess ist gescheitert. Zumindest bis auf weiteres.

Der Misserfolg war wegen der politischen Grundlage der Verhandlung absehbar. Ende 2015 hatten die wichtigsten am Syrienkonflikt beteiligten ausländischen Akteure – Russland und der Iran, die USA, Saudi-Arabien, die Türkei, der Irak und Katar – einen «Friedensplan» vereinbart und von der Uno absegnen lassen. Dieser liess zwei wesentliche Streitfragen ungeklärt.

Soll Assad bleiben dürfen?

Die Frage nach der künftigen Rolle von Syriens Präsident Baschar al-Assad meinte man auf die Zeit nach der Bildung einer aus VertreterInnen von Regierung und Opposition gebildeten Übergangsregierung verschieben zu können. Diese Illusion platzte bereits in der ersten Genfer Gesprächsrunde. Denn das Oppositionsbündnis ist sich – bei allen internen Differenzen – in dieser Frage einig: Assad muss spätestens zum Amtsantritt einer Übergangsregierung als Präsident zurücktreten und darf keine anderen politischen Funktionen mehr ausüben. Die syrische Regierungsdelegation hingegen vertritt ebenso kategorisch die Position, dass die Rolle Assads kein Teil der Verhandlungen sei (siehe WOZ Nr. 16/2016 ).

Die zweite ungeklärte Streitfrage ist auch kurzfristig dringlich: Sind zwei militärisch starke islamistische Gruppen ein «legitimer Teil» der syrischen Opposition und dürfen auch weiterhin eine führende Rolle in der Delegation bei den Genfer Gesprächen spielen? Dabei handelt es sich um die vom zurückgetretenen Chefunterhändler Allusch geführte und massiv von Saudi-Arabien unterstützte Dschaisch al-Islam (Armee des Islam) und die Ahrar al-Scham (Islamische Bewegung der freien Männer der Levante). Nicht nur die Regierungen Saudi-Arabiens und der Türkei, sondern auch diejenigen der USA und der EU-Staaten bejahen diese Frage.

Russland und die syrische Regierung hingegen betrachten die beiden salafistischen Milizen wegen ihrer engen ideologischen und operativen Verbindung zum syrischen Al-Kaida-Ableger Al-Nusra-Front als Terroristen. Demnach dürfen diese wie al-Nusra selbst und wie der sogenannte Islamische Staat (IS) auch während einer Waffenruhe weiterhin militärisch bekämpft werden. So rechtfertigten die Regierungen in Moskau und Damaskus militärische Angriffe in der Provinz und der Stadt Aleppo – trotz der Ende Februar zwischen der Regierung und 97 Oppositionsmilizen vereinbarten Waffenruhe.

Eine Waffenruhe mit dem IS?

Nur wenn die USA und Russland in diesen beiden zentralen Fragen eine gemeinsame Position finden und diese dann auch gegenüber ihren regionalen und syrischen Verbündeten durchsetzen können, besteht eine Chance auf Wiederaufnahme der Genfer Gespräche. Für eine derartige Einigung gibt es allerdings bislang keine Indizien. Und selbst wenn sie zustande käme, bliebe als grosser Unsicherheitsfaktor eine dritte Illusion des «Friedensplans» für Syrien: Wie soll die von den USA und Russland proklamierte «landesweite Waffenruhe» funktionieren, wenn der Krieg gegen den IS und die Al-Nusra-Front, die zusammen über die Hälfte dieses Landes kontrollieren, weitergeführt wird?

Beide Gruppen haben bereits im März und April durch ihre militärischen Angriffe auf von anderen Kriegsparteien kontrollierte Gebiete zum Zusammenbruch der Waffenruhe beigetragen. Mit seiner Anfang der Woche gestarteten Offensive im Nordwesten demonstriert der IS, dass er trotz aller Rückschläge nach wie vor über erhebliche militärische Kräfte verfügt. Und dass er nicht bereit ist, sich an Waffenruhen zu halten – zumindest nicht an solche, an deren Aushandlung er nicht beteiligt war.

Liesse sich mit dem IS und der Al-Nusra-Front eine Waffenruhe vereinbaren? Diese Frage stellt sich immer dringender. Von der Regierung in Moskau sowie von den für den Syrienkonflikt relevanten westlichen Regierungen in Washington, London und Paris wird diese Frage bislang verneint. Hier setzt man weiterhin auf die Strategie der militärischen Bekämpfung und auf die Vernichtung des IS und der Al-Nusra-Front. Doch diese Strategie garantiert die Fortsetzung des Krieges und erhöht die Gefahr einer direkten militärischen Konfrontation – sowohl zwischen Saudi-Arabien und dem Iran als auch zwischen russischen und türkischen Militärs.