Zuspitzung in der Westsahara: Die Ungeduld der sahrauischen Jugend

Nr. 22 –

40 Jahre nach der Besetzung und 25 Jahre nach dem Waffenstillstand spitzt sich der Konflikt in der Westsahara zu. Junge Sahrauis wollen zu den Waffen greifen – und setzen die eigene Befreiungsbewegung unter Druck. Nun ist auch noch Mohamed Abdelaziz, Chef des Frente Polisario, gestorben.

Hassan Haidar raucht hastig, die Asche schnippt er in ein leeres Teeglas. Der junge Mann, der seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, wirkt müde. Hier, in den Flüchtlingssiedlungen der Sahrauis in der algerischen Provinz Tindouf, gebe es keinen Komfort, sagt er. Nichts als Hitze, Sandstürme und Entbehrungen. «Aber seit ich hier bin, geht es meiner Seele besser. Ich bin ruhiger, gelassener.» Ein spitzbübisches Lächeln huscht über Hassan Haidars Gesicht, in seinen Wangen bilden sich Grübchen. Er sieht plötzlich viel jünger aus.

Der Sahraui ist im westlichen Teil der Westsahara aufgewachsen, der seit 1975 von Marokko besetzt wird. Dort hat er die Schulen besucht und diente in der marokkanischen Armee. Gegen aussen passte er sich an; derweil träumte er aber von einer unabhängigen Westsahara. Weil er an Protestkundgebungen teilgenommen hatte, wurde er verhaftet und misshandelt. Schliesslich habe er es nicht mehr ausgehalten, wie sein Volk in der besetzten Heimat behandelt werde, erzählt er bei einem Glas Tee. Die Sahrauis fänden kaum Arbeit, man nehme ihnen die Bodenschätze weg und siedle auf ihrem Land MarokkanerInnen an. Friedliche Proteste würden brutal niedergeschlagen; immer wieder würden Sahrauis in Haft an Folter sterben oder verschwänden nach ihrer Festnahme spurlos.

Gewalt oder Diplomatie?

Haidar floh in den Osten der Westsahara, der von der Befreiungsbewegung Frente Polisario regiert und verwaltet wird. Dieses «befreite Gebiet» hat Marokko durch einen befestigten und verminten Sandwall von den besetzten Gebieten abgetrennt (vgl. Karte). Es umfasst rund ein Drittel des Territoriums der Westsahara. Der Verwaltungssitz der Sahrauis befindet sich allerdings auf algerischem Territorium.

Geteilte Westsahara Karte: WOZ

Haidar nahm eine neue Identität an, um seine Familie in der alten Heimat nicht zu gefährden. Nun stellt er sein (militärisches) Wissen dem Frente Polisario zur Verfügung. Nie werde er sich dem marokkanischen König unterwerfen, sagt Hassan heftig. «Schon mein Vater hat – nach aussen – den spanischen Kolonialherren gedient, diese aber heimlich bekämpft», sagt er. Diese Tradition werde er weiterführen. Doch wie will die schlecht ausgestattete kleine Armee des Frente Polisario gegen das hochgerüstete Marokko, gegen Bomben und Kampfflugzeuge antreten? Haidar lächelt triumphierend: «Der Frente Polisario hat schon einmal mit einem Maschinengewehr einen Kampfjet vom Himmel geholt.» Ausserdem gebe es auch in den besetzten Gebieten sahrauische Widerstandsgruppen. Sie seien zu allem entschlossen, auch zu Anschlägen. Doch der Frente Polisario wolle ihnen keine Waffen verteilen.

Während des sechzehnjährigen Kriegs gegen Marokko hat die Befreiungsbewegung nur gegen Soldaten und nicht gegen die Zivilbevölkerung gekämpft; terroristische Anschläge waren tabu. Ihr Feind ist der marokkanische König und dessen Regime – nicht die marokkanische Bevölkerung. Seit dem 1991 von der Uno vermittelten Waffenstillstand setzt der Frente Polisario ausschliesslich auf die Mittel der Diplomatie.

Das Referendum über den endgültigen Status der Westsahara, das die Uno den Sahrauis damals versprach, hat niemals stattgefunden, weil es von Marokko wiederholt hintertrieben worden ist. Vierzig Jahre Lagerleben ohne Perspektive haben die Flüchtlinge zermürbt. Die Kräfte, die in der Gewalt den einzigen Weg sehen, um auf sich aufmerksam zu machen und zu ihrem Recht zu kommen, werden stärker. Jugendliche demonstrieren für den Krieg, die alte Garde des Frente Polisario gerät unter Druck.

Ideen für den friedlichen Widerstand

Kurz vor Ende seiner Amtszeit wollte sich Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon selber ein Bild von den sahrauischen Flüchtlingslagern machen. Als er nach seiner Reise Anfang März von «Besetzung» sprach, reagierte das marokkanische Regime heftig: Es verwies 75 BeobachterInnen der Uno-Mission des Landes. Der Frente Polisario sah darin eine Kriegserklärung, brachte Truppen in Stellung und bot Reservisten auf. Ein Krieg, so hörte man in den Lagern, würde auch nach Marokko getragen. Zudem bestehe die Gefahr, dass die ganze Region destabilisiert würde: Islamistische Terrormilizen, die die Region bereits heute unsicher machen, könnten das Chaos ausnützen und sich in Marokko und der Westsahara ausbreiten. Eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats von Ende April, die von Marokko unter anderem die Wiedereinsetzung der BeobachterInnen forderte, entspannte die Lage vorübergehend. Die Uno kann bis heute nur reduziert arbeiten. Darum fordert der Frente Polisario nicht nur die volle Funktionsfähigkeit der Mission, sondern auch einen verbindlichen Zeitplan für die Abhaltung des Referendums über die Unabhängigkeit. Doch seit Dienstag ist vieles noch unklarer geworden: Mohamed Abdelaziz, der Chef des Frente Polisario, verstarb nach langer Krankheit.

Eine, die sich der drohenden Gewalt entgegenstemmt, ist Abida Mohamed. Die junge Frau mit den ruhigen dunklen Augen wirkt unscheinbar, doch hinter ihrer stillen Art verbirgt sich ein starker Wille. Die Biochemikerin ist Präsidentin von Nova, einer vor drei Jahren gegründeten Gruppierung, die sich der Förderung der Gewaltfreiheit verschrieben hat. Die Aktivistin ist hier in den Flüchtlingslagern aufgewachsen und weiss, wie verzweifelt ihre AltersgenossInnen sind. «Ein Funke genügt, um alles zur Explosion zu bringen», sagt sie im Haus ihrer Familie, einer einfachen Lehmhütte. Der Kampf der Sahrauis sei völlig in Vergessenheit geraten, die internationale Gemeinschaft ignoriere sie. «Würden wir Sahrauis Bombenanschläge verüben, Flugzeuge entführen, dann würde die Welt von uns reden. Sie spricht vom Irak, von Syrien. Aber nicht von uns.»

Gewalt sei aber nie die Lösung, betont Abida Mohamed. Im Krieg zählten Leben nicht. Das habe die Vergangenheit gezeigt; man schätzt, dass im Krieg gegen den Frente Polisario 20 000 marokkanische Soldaten starben. «Selbst die marokkanischen Bürger sind dem König egal», so die Aktivistin. Sie und ihre MitstreiterInnen versuchen deshalb, die negative Energie der Jugendlichen in positive Bahnen zu lenken, zu zeigen, dass gewaltloser Widerstand nicht Passivität bedeute. «Unser Prinzip ist es, weder anzugreifen noch zu fliehen, sondern der Gefahr ins Auge zu sehen und zu widerstehen.» Nova hat VertreterInnen in den besetzten Gebieten; die Gruppe animiert junge Sahrauis, friedlich Widerstand zu leisten, und zeigt ihnen Strategien im Umgang mit der marokkanischen Repression. Und sie versucht, eine Brücke zu jungen MarokkanerInnen zu schlagen. Was ihr am meisten Sorgen macht, ist die Hoffnungslosigkeit: «Menschen, die nichts zu verlieren haben, sind zu allem fähig.»