Auf allen Kanälen: Der Blues und die Bluse

Nr. 25 –

Medien berichten über Musikerinnen und Musiker alles andere als gleichberechtigt. Das zeigte der diesjährige Empowerment Day von Helvetiarockt.

«Klingen Frauen anders?», mit dieser Frage betitelte «Die Zeit» Anfang Juni einen Artikel über das Schaffhauser Jazzfestival, das dieses Jahr fast ausschliesslich von Frauen geleitete Bands im Programm hatte. Im Artikel schreibt der Autor: «Heuer müssen Bandleader auf der Bühne nicht nur Schweizer sein, sondern sogar Schweizerinnen. Manche Besucher stimmt die Ankündigung übellaunig: Ist die Bluse jetzt wichtiger als der Blues?»

Der Text von Ulrich Stock, seines Zeichens «Reporter der Chefredaktion», mag ja ironisch gemeint sein. Doch gerade im Witz zeigt sich, woran der Musikjournalismus auch im Jahr 2016 noch krankt: an latentem Sexismus.

«Musikerin und Musiker: Berichten die Medien gleichberechtigt?», diese Frage diskutierten am letzten Wochenende eine Gruppe von Medienschaffenden und VertreterInnen aus der Musikbranche im Rahmen des «Empowerment Day» von Helvetiarockt. Die Organisation setzt sich seit mehreren Jahren für die Förderung von Frauen in der Rock-, Pop- und Jazzmusik ein.

Die Ungleichheit, das zeigte der Workshop rasch, fängt schon bei der Auswahl an. MusikjournalistInnen berichten viel häufiger über Musiker als über Musikerinnen. Nun gibt es in der Musikbranche generell mehr Männer als Frauen, wer genauer hinschaut, findet allerdings auch Frauen. Doch die meist männlichen Musikkritiker schreiben lieber über Auftritte von in die Jahre gekommenen Männertruppen wie Coldplay, Iron Maiden oder AC/DC als über Newcomer wie Girlpool aus Los Angeles, Skinny Girl Diet aus London oder auch über die Zürcher Psychorockerinnen Zayk (alle drei seien an dieser Stelle sehr empfohlen).

Dass in den Medien viel mehr über Männer als über Frauen berichtet wird, trifft nicht nur auf den Musikjournalismus zu. So ist im «Leitfaden zu einer gendergerechten Berichterstattung in den Medien» der Schweizer JournalistInnenverbände zu lesen: «Männer kommen proportional öfter als Politiker, Wissenschaftler, Künstler, Sportler vor, als ihr Anteil in der Realität ausmacht. Die offensichtliche Diskriminierung in den Medien, nämlich das Nichtvorhandensein in gewissen Positionen oder die massive Untervertretung, erleben vor allem Frauen.»

Subtiler als die quantitative Diskriminierung ist die qualitative. Die Musikwissenschaftlerin Cornelia Bartsch, die an einem Forschungsprojekt zu Musik und Gender arbeitet, erläuterte an der Veranstaltung die drei Stereotype, deren sich Journalisten (und auch Journalistinnen) immer wieder bedienen, wenn sie über Frauen in der Musik schreiben. Das erste Stereotyp reduziert die Aufmerksamkeit auf das Äussere. Schreiben JournalistInnen über Musikerinnen, steht tatsächlich häufig die Bluse und nicht der Blues im Mittelpunkt.

Das zweite Klischee reproduziert die «naturverbundene Frau»: Eine Frau, die mit Verve musiziert, kann gar nicht anders, weil sie den Rhythmus in den Beinen oder das Feuer im Blut hat. Und dann dieser Gefühlsausdruck in der Stimme! Das von Frau gezeigte Verhalten ist ihr von Natur aus gegeben. Auch «Zeit»-Redaktor Ulrich Stock greift in seinem Text auf dieses Stereotyp zurück: «Sie bewegt sich anders auf der Bühne als all die anderen jungen Frauen. Sie führt nichts auf. Sie ist da. Sie ist auf faszinierende Art präsent.»

Das dritte Erzählmuster handelt von der «ersten Frau». So ist Adèle laut «Blick» die «erste Musikerin, die gleichzeitig zwei Alben und zwei Singles in den Top Five der US-Billboard-Charts hat; die alles selber produziert hat, die von ihrem Geld als Musikerin leben kann», die «Zürichsee-Zeitung» weiss: «Sophie Hunger war 2010 die erste Schweizer Künstlerin, die je am Glastonbury Festival aufgetreten ist.» Implizit schwingt hier der Vorwurf mit, dass es zuvor keine Frau gab, die das konnte.

Bartsch kritisiert denn auch das fehlende Geschichtsbewusstsein, denn häufig erweise sich die Behauptung der «ersten Frau» als falsch. So wurde die Geschichte der klassischen Musik von männlichen Journalisten im 19. Jahrhundert geschrieben. Die Dirigentinnen oder Komponistinnen, die es durchaus gab, wurden von den Herren ignoriert. Aus diesem Grund sind diese Frauen heute in Vergessenheit geraten. MusikjournalistInnen schreiben auch Musikgeschichte: Dasselbe Schicksal droht den Frauen in der Pop-, Rock- und Jazzmusik des 20. Jahrhunderts.

Übrigens: Der Artikel in «Der Zeit» endete mit folgender Erkenntnis über das Spiel der Gitarristin und Sängerin Claire Huguenin: «Es ist – Jazz.» Wer hätte das gedacht?