LehrerInnenstreik in Mexiko: Die tödliche Bildungsreform

Nr. 25 –

Der lange Streit um eine Bildungsreform der Regierung mündet im Bundesstaat Oaxaca in Schiessereien mit mindestens acht Toten. Das Blutbad erinnert an die Unruhen vor zehn Jahren.

Demonstrierende wehren sich mit Steinen und errichten Barrikaden aus brennenden Lastwagen. Die militärisch gerüstete Bundespolizei rückt in geordneten Blöcken vor und taucht die Szenerie in Schwaden von Tränengas. Es fallen Schüsse, Menschen sterben. Was sich am Wochenende im mexikanischen Bundesstaat Oaxaca abgespielt hat, ist wie ein Déjà-vu der Ereignisse vor zehn Jahren.

Damals wie heute war ein Streik der linken LehrerInnengewerkschaft CNTE Ausgangspunkt der Unruhen. Damals entstand daraus ein Aufstand, der erst nach einem halben Jahr von 10 000 BundespolizistInnen und SoldatInnen niedergeschlagen werden konnte. Bis dahin war Oaxaca, die Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaats, in der Hand der Aufständischen und wurde von diesen selbst verwaltet. Am Ende der letzten Schlacht waren mehr als zwei Dutzend Menschen erschossen worden.

Todesschwadronen haben Tradition

Nach aktuellen Berichten aus Nochixtlán, achtzig Kilometer nordwestlich von Oaxaca, hatten DemonstrantInnen seit Tagen eine Fernstrasse blockiert. Als die Bundespolizei diese Blockade am vergangenen Sonntag auflösen wollte, wurde in die Menge geschossen. Es gab hier sechs Tote (andernorts zwei), insgesamt wurden über hundert Menschen verletzt. Die Bundespolizei, so hiess es in einer Erklärung des Nationalen Sicherheitskomitees in Mexiko-Stadt, habe keine Schusswaffen eingesetzt. In sozialen Netzwerken aber zirkulierten Fotos von Polizisten in Gefechtsstellung, mit angelegtem Sturmgewehr. «Fälschungen», hiess es aus Mexiko-Stadt.

Die Darstellung der Bundespolizei kann nicht einfach als Schutzbehauptung abgetan werden: Auch die Toten vor zehn Jahren gehen mehrheitlich nicht auf das Konto von staatlichen Sicherheitskräften, sondern auf dasjenige von Todesschwadronen, die meist im Schutz der Dunkelheit operierten. Solche Gruppierungen haben in Oaxaca eine lange Geschichte. Der vorwiegend agrarische Bundesstaat mit einer noch immer semifeudalen Struktur ist einer der ärmsten Mexikos. Einer grossen Masse kleinbäuerlicher Betriebe, die kaum mehr als das Überleben ihrer BesitzerInnen sichern, stehen wenige GrossgrundbesitzerInnen gegenüber. Diese verteidigen und mehren ihren Reichtum mit bewaffneten Gangs. Es ist zumindest denkbar, dass eine solche Bande mit blutiger Provokation den seit Wochen anhaltenden Konflikt anheizen wollte, um die Regierung zu zwingen, die gewerkschaftlichen Proteste niederzuschlagen, bevor – wie vor zehn Jahren – mehr daraus werden könnte.

In der LehrerInnengewerkschaft CNTE ist in Mexiko zwar nur eine Minderheit der im Bildungswesen Beschäftigten organisiert, in den südlichen Bundesstaaten aber ist sie stark. In Oaxaca kontrolliert sie das Ausbildungsseminar und bestimmt über Einstellungen an öffentlichen Schulen. Ihre Mitglieder sind in jedem Dorf, in dem es eine Grundschule gibt. Die CNTE ist die einzige flächendeckende linke Organisation in Oaxaca und auch in der indianischen Bevölkerung gut verankert. Aus dieser Nähe zu den insgesamt sechzehn indigenen Ethnien des Bundesstaats ist beim LehrerInnenstreik vor zehn Jahren die Versammlung der Völker Oaxacas (Appo) entstanden. Aus den Forderungen der Gewerkschaft – höhere Löhne für die LehrerInnen und der Rücktritt des korrupten damaligen Gouverneurs Ulises Ruiz von der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) – wurde schnell mehr. Die Appo verlangte grössere Autonomie für die indigenen Gemeinden und arbeitete an einer neuen – auch gegen den Grossgrundbesitz gerichteten – Verfassung für Oaxaca. Sie wurde nie zu Ende geschrieben: Die Bewegung wurde vorher militärisch zerschlagen.

Reform oder Repression?

Die jetzigen Proteste der LehrerInnen richten sich gegen die Bildungsreform von Präsident Enrique Peña Nieto (PRI), die schon Ende 2012 von Parlament und Senat verabschiedet worden war und jetzt umgesetzt werden soll. Diese sieht unter anderem die öffentliche Ausschreibung aller Stellen und regelmässige Eignungstests für das Lehrpersonal vor. Nach den ersten Tests sind über 4000 LehrerInnen im ganzen Land entlassen worden. Was für Peña Nieto eine Initiative zur Verbesserung der Unterrichtsqualität ist, wird von der LehrerInnengewerkschaft als Versuch verstanden, ihr Rückgrat zu brechen.

Bei den Strassenblockaden und weiteren Protesten der vergangenen Wochen wurde die Gewerkschaft von der Bevölkerung unterstützt. Auch in Nochixtlán standen am vergangenen Sonntag nicht nur LehrerInnen auf der Strasse. Unter den Toten waren auch junge Männer, die nichts mit der CNTE zu tun hatten. Ob das Blutbad die Proteste erstickt oder erst richtig anheizt, wird sich in den nächsten Tagen zeigen.