Feminismus: «Dann brauchts halt mal wieder einen Frauenstreik»

Nr. 27 –

Natascha Wey ist neue Kopräsidentin der SP-Frauen. Ihre Wahl fällt in eine Zeit voller Turbulenzen – und soll feministischer Politik wieder mehr Gewicht verleihen.

«Irgendwann habe ich entschieden, mich nicht mehr für meinen Hintergrund zu schämen»: Natascha Wey, Kopräsidentin der SP-Frauen. Foto: Ursula Häne

Für den bizarrsten Moment sorgt an diesem Vormittag Barbara Bodlak, die dritte Kandidatin für das Kopräsidium der SP-Frauen. Viel zu spät, mit Hündchen und Mutter im Hintergrund, taucht sie auf – um sich stammelnd wieder aus dem Rennen zu nehmen. Eine Superzelle auf dem Weg nach Bern. Zu wenig Schlaf. Und überhaupt, selbst sie werde jemand anderes wählen heute. Betretenes Schweigen. Doch Bodlaks Auftritt ist lediglich der komische Höhepunkt einer Mitgliederversammlung, bei der immer wieder das Chaos durchbricht. Pfeifende Mikrofone, Traktandenkonfusion, ausufernde Diskussionen. «Das war symptomatisch», wird Cesla Amarelle, Interimspräsidentin der SP-Frauen, später sagen. Die SP-Frauen stecken im Umbruch. Davon zeugt auch die Wahl der Zürcher Feministin und Gewerkschafterin Natascha Wey ins Kopräsidium.

Ein überstürzter Abgang

Wey liess an der Mitgliederversammlung vom letzten Samstag nicht nur Barbara Bodlak hinter sich, sondern auch die arrivierte Freiburger Altnationalrätin Ursula Schneider Schüttel, und wurde mit 60 von 78 Stimmen gewählt. So eindeutig das Resultat, so gross war davor der Knatsch bei den SP-Frauen. Das Generalsekretariat steht ebenso in der Kritik wie die Geschäftsleitung – aus der die ehemalige Präsidentin Yvonne Feri im Winter überstürzt zurückgetreten ist. Offiziell, um sich ihrer Aufgabe in der Gesundheitskommission zu widmen. Der Druck auf die Aargauer Nationalrätin aber war gross gewesen: Nach ihrer umstrittenen Reise nach Eritrea, von der sie mit dem Eindruck heimkehrte, das Land befinde sich in einer «starken Entwicklungsphase». Nach ihrer Äusserung zur Kölner Silvesternacht, man müsse Frauen nun mit dem Militär vor Vergewaltigungen schützen.

Die SP-Frauen hätten sich von Feri mehrheitlich nicht mehr vertreten gefühlt, sagt Amarelle. Und das sei Ausdruck eines tiefer liegenden Problems. Praktisch inexistent sei die Führung der SP-Frauen in den letzten Jahren gewesen, Yvonne Feri wahrscheinlich zu sehr am repräsentativen Charakter ihres Amtes interessiert und «zu wenig am gemeinsamen Politisieren». Die Waadtländer Nationalrätin Cesla Amarelle war von 2012 bis zu Feris Rücktritt Vizepräsidentin der SP-Frauen. Neu wird sie neben Wey als Kopräsidentin amten.

Auch eine Aufstockung der Geschäftsleitung von vier auf neun Mitglieder beschlossen die SP-Frauen an der Delegiertenversammlung vom Samstag. Es brauche unbedingt strukturelle Neuerungen, sagt Amarelle, die als einzige Vertreterin der derzeitigen Geschäftsleitung an der Mitgliederversammlung anwesend war. Die zwei anderen amtierenden GL-Mitglieder – die Bernerin Lea Kusano und die Tessinerin Jacqueline Rohrer – fehlten.

Sie sei über die Wahl von Natascha Wey sehr erfreut, sagt Amarelle. Auch die Zürcher Nationalrätinnen Jacqueline Badran und Min Li Marti – Letztere sitzt neu in der Geschäftsleitung der SP-Frauen – machten sich für Wey stark. Ihre Zürcher SP-Weggefährtin Vera Ziswiler nennt Wey eine «Hoffnungsträgerin», linke SP-ExponentInnen wie Nationalrätin Mattea Meyer oder der ehemalige Bündner Parteipräsident Jon Pult feierten ihre Wahlkampfrede auf Facebook. Natascha Wey scheint einen Nerv zu treffen. «The world needs us noisy, angry, resentful loud girls!», schreibt sie. Das knallt. Vor allem aber weckt Wey die Hoffnung, dass feministische Anliegen in der Schweizer Politik wieder gestärkt werden.

Nicht nur wenn der Staat versagt

Wey steht für den aktivistischen Flügel der SP. Sie hat keine klassische Parteikarriere hinter sich, stattdessen ist die 34-Jährige Zentralsekretärin beim Zürcher Verband des Personals öffentlicher Dienste (VPOD). Vor allem aber ist Wey feministisch aktiv: Sie engagierte sich für die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) und die Internetplattform «aktivistin.ch », holte die britische Starfeministin Laurie Penny für eine Lesung an die Autonome Schule Zürich, schreibt Artikel und Essays. Wer sich die Machtfrage stelle, sagt Wey, müsse auch Parteien hinterfragen. «Aber wenn du dich immer nur zivilgesellschaftlich engagierst, steckst du irgendwann in der Falle, dort einzuspringen, wo der Staat seine Aufgaben nicht wahrnimmt.»

Es sind nicht die Juso-Versammlungsräume, die Wey in den achtziger und neunziger Jahren politisiert haben. Untersiggenthal heisst ihr Heimatdorf, aargauisches Flachland zwischen Würenlingen und Obersiggenthal, nicht dörflich, nicht städtisch. Blocksiedlung, Agglofeeling – bloss ohne die dazugehörige Stadt. Früh hatte Natascha Wey ein Bewusstsein für die soziale und wirtschaftliche Realität von Frauen: Ihre Mutter zog die beiden Kinder alleine gross. Auf die Schultern geklopft habe ihr dafür niemand. «Wir Kinder haben immer gespürt, dass unsere Familie nicht richtig dazugehört. Wir passten nicht ins traditionelle Dorfbild.»

Früh wuchs in Natascha Wey eine Ahnung, wie prägend der soziale Hintergrund auch in Zeiten scheinbarer Wahlfreiheit ist. Sie habe sich lange am Gefühl abgearbeitet, nicht dazuzupassen, anders zu sein als die Mittel- und Oberschichtskinder, die mit ihr die Kantonsschule besuchten. Nicht die richtige Musik zu kennen, nicht klug genug zu sein. Irgendwann, sagt Wey, habe sie sich entschieden, sich nicht mehr für ihren Hintergrund zu schämen.

Erleichtertes Klatschen

Und doch treibt es sie immer noch an, das Gefühl, sich Gehör verschaffen zu müssen. Wey streitet gern – und sie erlaubt es sich zu nerven. «Weil auch linke Männer Frauen oft eher danach beurteilen, wie sie etwas sagen, als was sie sagen.»

Wen man auch fragt, Wey wird attestiert, extrem fleissig zu sein. Gut vernetzt dazu und äusserst fachkompetent. Aber auch kämpferisch und energiegeladen. «Die Linke muss wieder vermehrt eine gesellschaftliche Analyse leisten», sagt sie. «Wir müssen etwa aufzeigen, dass frauenpolitische Fragen untrennbar mit Kapitalismuskritik verknüpft sind.» Aufmüpfig will sie dies tun. Notfalls auch mit den Mitteln ihrer Vorkämpferinnen: «Wenn die Wirtschaft Care-Arbeit nicht anerkennt, braucht es halt wieder einmal einen Frauenstreik. Dann stellen wir denen die Kinderwagen in die Bürogänge.»

An der Delegiertenversammlung der SP-Frauen kommen Weys kämpferische Töne an: erleichterter Beifall. Sie sei vor vier Jahren selbst angetreten, um militant zu sein, sagt Cesla Amarelle. Doch die bisherige Situation habe das erschwert. Von der Wahl Weys erhofft sich Amarelle auch eine Stärkung der Achse Zürich–Romandie. Es sei wichtig, dass die SP-Frauen wieder eine gemeinsame progressive Stimme fänden. «Sonst fallen wir noch weiter hinter die feministischen Debatten zurück, die in Deutschland oder Frankreich geführt werden.»