Kommentar zum «Burkaverbot»: «Zieht euch gefälligst an, ihr Schlampen!»

Nr. 34 –

In der Diskussion um das «Burkaverbot» wird tief in die koloniale Mottenkiste gegriffen. Um Frauenrechte geht es dabei zuletzt.

In Frankreich und Belgien, wo es bereits ein Burka- oder besser gesagt ein Nikabverbot gibt, sprengen sich unverhüllte Männer in die Luft oder fahren mit Lastwagen in Menschenmengen. Damit dies hierzulande nicht auch passiert, sollen nun Frauen im öffentlichen Raum ihr Gesicht nicht mehr verhüllen dürfen. Wenn es um die Sicherheit der Bevölkerung geht, dann bleibt die Logik auch mal auf der Strecke.

Die Sicherheit ist jedoch nicht das einzige Argument der «BurkaverbieterInnen». Besonders gerne greifen sie in die koloniale Mottenkiste. Die Diskussion um ein «Burkaverbot» ist nichts anderes als ein koloniales Vermächtnis. Dass sich dabei vornehmlich weisse Männer zu Wort melden, ist nicht erstaunlich. Der Schleier, das Symbol islamischer Rückständigkeit, muss gelüftet werden, damit sie ihre zivilisatorische Mission vollenden können. «Weisse Männer, die braune Frauen vor braunen Männern retten» seien, so die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Spivak, ein Topos, der sich durch die kolonialistische Literatur ziehe. Muslimische Frauen, so die Annahme, werden von ihren muslimischen Männern unterdrückt, können also nur Opfer sein. Wenn sie dies selbst nicht merken und beispielsweise behaupten, dass sie das Kopftuch oder den Nikab freiwillig tragen, gibt es zum Glück Männer wie Mario Fehr oder Walter Wobmann, Frauen wie Saïda Keller-Messahli oder Alice Schwarzer, die es ihnen klarmachen. Die ihnen nun vorschreiben wollen, was sie nicht tragen dürfen, um endlich wirklich frei sein zu können.

Nur: Wie die Erfahrung aus Frankreich zeigt, hat das 2011 in Kraft getretene Verhüllungsverbot vor allem dazu geführt, dass Nikabträgerinnen ihr Haus kaum noch verlassen. Ein «Burkaverbot» dämmt also weder den radikalen Islam noch den Terrorismus ein, sondern in erster Linie die Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit von Frauen.

Dennoch bleibt man dabei: «Der Nikab passt definitiv nicht in eine Welt, in der Gleichberechtigung herrscht», schrieb der kürzlich zum Feminismus konvertierte NZZ-Schriftleiter Eric Gujer. «Ein Verbot ist Symbolpolitik im besten Sinn: Es lässt keinen Zweifel daran, dass die systematische Benachteiligung eines Geschlechts nicht zu Europa gehört.»

Wo, bitte schön, ist diese Welt? Kann Eric Gujer mir ein Plänchen zeichnen? Dann gehe ich gerne dorthin und lasse ihn in Ruhe seinen kulturchauvinistischen Gedanken nachhängen, hier, in dem Land, wo prominente Frauen, die nach dem Mutterschaftsurlaub wieder arbeiten gehen, als «kalte Gebärmaschinen» beschimpft werden, wo das Parlament sich weigert, staatliche Lohnkontrollen einzuführen, um endlich gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu garantieren. Und haben wir nicht vor gut einem Jahr noch über ein Hotpantsverbot an Schulen diskutiert? Was darf frau also nun tragen? Oder um es mit den Worten der deutschen Kolumnistin Margarete Stokowski zu sagen: «Falls ihr eine Burka tragen wollt: Bloss nicht! Zeigt mehr Haut! Falls ihr gerade nackt seid: Zieht euch gefälligst etwas an, ihr Schlampen!»

Mal ganz abgesehen davon, dass es heuchlerisch ist, Ungleichbehandlungen nur dann zu kritisieren, wenn sie bei den «anderen» stattfinden, dürfen wir den rechtskonservativen Männern ihr plötzliches Engagement für Frauenrechte auf keinen Fall abkaufen. Gujer hat zwar recht, wenn er von Symbolpolitik spricht. Es geht dabei jedoch nicht um Frauenrechte, sondern vielmehr darum, die «anderen», die MuslimInnen, als Bedrohung für unsere nationale Identität zu konstruieren. Dass die geforderte Wertedebatte nun ausgerechnet anhand der Frauenrechte geführt werden soll, erstaunt nicht. Die Verknüpfung gesellschaftlicher Werte mit der Kontrolle über den weiblichen Körper hat eine lange Tradition. Damit die zu schützende nationale Identität nicht verwässert, müssen zentrale Identitätssymbole vor fremden Einflüssen bewahrt werden. Nicht selten geht es dabei um die Stellung der Frau in der Gesellschaft, die deren Werte im Wortsinn «verkörpert», sei dies als Hüterin der Tradition oder als Ikone der Moderne.

So wenig das Tragen eines Nikab ein Zeichen für die Freiheit seiner Trägerin ist, so wenig ist es ein Bikini. Die Freiheit besteht einzig darin, frei zu wählen, was frau anziehen möchte.