Service public: Der nächste Raub

Nr. 19 –

Die Post soll liberalisiert werden. So hat es die Regierung beschlossen und SP-Bundesrat Leuenberger einen Auftrag erteilt. Was dahintersteckt, beschreibt ein gutes Buch.

Am letzten Mittwoch beschloss der Bundesrat einen wesentlichen Schritt zur weiteren Privatisierung der Schweizer Post: Aus der selbständigen Anstalt des öffentlichen Rechts soll eine Aktiengesellschaft werden. Ausserdem will er die Postbeschäftigten aus dem Bundespersonalgesetz entlassen und sie künftig privatrechtlich anstellen. Nur so könne die Post die künftigen Herausforderungen am Markt bewältigen, begründete die Regierung diese Massnahme, die vom Postvorstand sofort begrüsst wurde. Und um die besorgte Öffentlichkeit zu beruhigen, hiess es dann auch gleich, dass sich so gut wie nichts ändern werde.

Von wegen. Was die Umwandlung eines Staatsunternehmens in eine AG bewirken kann, zeigt ein Blick nach Norden. In Deutschland zum Beispiel war bereits 1995 die Deutsche Bundespost in gleich drei Aktiengesellschaften zerschlagen worden – die Deutsche Post AG, die Deutsche Telekom AG und die Deutsche Postbank AG (die noch der Post gehört). Post und Telekom sind mittlerweile Global Players. Die Post AG ist seit der Übernahme des britischen Unternehmens Exel im Dezember 2005 der weltweit grösste Logistikkonzern; ihr Gewinn betrug bereits 2004 rund 3,3 Milliarden Euro und hat seither weiter zugenommen. So gesehen hat die Liberalisierung funktioniert – im Sinne der FinanzinvestorInnen. Die können seit dem letzten Aktienverkauf der rot-grünen Regierung im Sommer 2005 ohnehin tun, was sie wollen – seit Juni gehören der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau nur noch 45 Prozent der Postaktien.

Für den Staat selber hat sich die Umwandlung der Bundespost in eine AG weniger rentiert – und nicht nur, weil die früheren Gewinne (heute: Dividenden) nicht mehr allesamt in die Bundeskasse fliessen. Auch die Ertragssteuern haben sich durch die zunehmende Internationalisierung weiter reduziert (sie sanken von 573 Millionen Euro im Jahre 2003 auf 431 Millionen im Jahr danach). Der Staat trägt dafür die Kosten für die Arbeitslosigkeit. Allein im Brief- und Paketdienst hat die Deutsche Post AG in den letzten zehn Jahren über 150 000 Stellen abgebaut; die Zahl der vernichteten Vollzeitarbeitsplätze liegt noch deutlich höher, da die Post AG inzwischen vorwiegend MinijobberInnen anstellt.

Und die Bevölkerung stöhnt. In den letzten Jahren hat die einst volkseigene Post zehntausende von Briefkästen abgehängt und tausende von Postämtern geschlossen (siehe WOZ Nr. 39/04). Doch der breite Protest der BürgerInnen stiess ins Leere: Ihre politischen VertreterInnen und die Regierung erklärten sich für unzuständig, da sie einer privaten AG nicht ins Handwerk pfuschen dürften. Und so trägt man in kleineren Städten wie Konstanz die Briefe an manche AdressatInnen inzwischen lieber selber aus – sie liegen näher als die nächste Postfiliale, in der man dank der Sparmassnahmen meist noch lange anstehen muss. Noch schlechter ist es um Dörfer und Kleinststädte auf dem Land bestellt. Dort gibt es gar keine Post mehr.

Was treibt den Bundesrat jetzt zur weiteren Privatisierung? An der mangelnden Effizienz und Kundenfreundlichkeit kann es nicht liegen, denn kaum ein Staatsunternehmen war in den letzten Jahrzehnten – weltweit gesehen – so leistungsfähig und populär wie die Schweizer Post. Bei der Zerschlagung der PTT 1997 hatten die LiberalisierungsbefürworterInnen vor allem drei Argumente vorgebracht – und alle waren falsch. Die Bundesbetriebe seien nicht flexibel genug und technologisch im Rückstand (dabei wurden alle massgeblichen Innovationen noch zu Zeiten des staatlichen Monopols entwickelt); eine Liberalisierung würde das Staatsdefizit reduzieren (dabei hatten die Staatsbetriebe über ein Jahrhundert hinweg fast jährlich Millionengewinne abgeliefert); eine Anpassung an die EU sei zwingend erforderlich (warum eigentlich?).

Ausschlaggebend für den AG-Beschluss der Regierung (und das weist das Buch «Service public – Perspektiven jenseits der Privatisierung» faktenreich und inhaltsstark nach) sind andere Beweggründe. Schon bei der Liberalisierung 1997, heisst es in dem Band, «ging es darum, den hiesigen Kapitalbesitzern jene lukrativen Investitionsmöglichkeiten im schweizerischen Binnenmarkt nicht vorzuenthalten, die ihren ausländischen Konkurrenten geöffnet worden waren». Inzwischen hat der Druck der Finanzmärkte weiter zugenommen, obwohl – oder gerade weil – die grosse Privatisierungswelle der neunziger Jahre (damals wurde in den reichsten Ländern Staatsvermögen in Höhe von 650 Milliarden US-Dollar an Private verscherbelt) inzwischen verebbt ist: Es gibt immer weniger zu privatisieren.

Der von Attac herausgegebene Band bietet nicht nur einen exzellenten Überblick und gut lesbare Einzelstudien zur schleichenden Privatisierung etwa in den Bereichen Verkehr (SBB), Strom, Bildung und Gesundheit. Er erinnert auch an die Versäumnisse von SP und Gewerkschaften, die mehrfach den «legalisierten Raub öffentlicher Güter» (Elmar Altvater) tolerierten, indem sie Proteste nicht unterstützten. Dieses Buch gehört auf jeden Schreibtisch. Es passt aber auch, dank seiner handlichen Grösse, in jede Jackentasche.

Attac Schweiz (Hrsg.): Service public – Perspektiven jenseits der Privatisierung. Rotpunktverlag. Zürich 2005. 192 Seiten. Fr. 15.–