Denknetz-Tagung: Ein umstrittener Gast

Nr. 31 –

Zum Jubiläum der Oktoberrevolution soll über ihr Erbe debattiert werden. Im Vorfeld gibt eine Einladung zu reden.

«Sozialismus und Demokratie»: Unter diesem Motto lädt der linke Thinktank Denknetz am 10. November zu einer Tagung nach Bern. Thema ist die Russische Revolution, die sich in diesem Jahr zum 100. Mal jährt – ein Ereignis, «das wie kein zweites die globale Konstellation des 20. Jahrhunderts prägte und bis heute massgeblich nachwirkt», wie es in der Veranstaltungsankündigung heisst. Diskutiert werden soll unter anderem die Frage, welche Schlüsse sich aus dem Umsturz für eine aktuelle emanzipatorische Politik ziehen lassen.

Zwar sind es bis zur Tagung noch einige Monate, zu reden gibt aber schon jetzt vor allem ein Gast: Boris Kagarlitzky, ein marxistischer Soziologe aus Moskau.

Sprachrohr des Regimes?

Kagarlitzky sei zwar «gewiss der international bekannteste Kopf der russischen Linken, er ist aber seit einigen Jahren zum pseudolinken Sprachrohr des autoritär-nationalkonservativen Putin-Regimes geworden», sagt etwa der Historiker Adrian Zimmermann, der selbst an der Tagung teilnimmt. Nach Konsultation eines fachkundigen Kollegen habe er Denknetz-Sekretär Beat Ringger auf die Personalie angesprochen.

Auch Dan Gallin, Präsident des Global Labour Institute, stört sich an der Einladung Kagarlitzkys. Mitte Juli hat er Ringger deshalb einen Brief geschrieben, der auch der WOZ vorliegt. Kagarlitzky betätige sich «gegenwärtig und schon seit mindestens zehn Jahren als Sprachrohr des Putin-Regimes», heisst es darin. Die Einladung sei «unverständlich und sollte rückgängig gemacht werden», so Gallin.

«Wir bekamen von mehreren Personen Hinweise zu Kagarlitzky», sagt Denknetz-Sekretär Ringger. Trotz Nachfrage sei auf die Bitte, die Vorwürfe zu dokumentieren, immer nur derselbe Link auf einen «fragwürdigen» englischen Blogeintrag gekommen. «Unsere eigenen Recherchen haben bestätigt, dass Kagarlitzky in der Krim-Frage eine fragwürdige Sicht eingenommen hat.» Einen Beleg dafür, dass der Soziologe mit dem Putin-Regime verbandelt sei, habe man nicht gefunden. «Das hat uns für eine Ausladung nicht gereicht.»

Fragwürdige Bekannte

Wer sich mit der Vita von Kagarlitzky befasst und des Russischen mächtig ist, findet für die Vorwürfe einige Belege. Der ehemalige sowjetische Dissident galt einst als wichtige Figur der russischen Linken, doch in den vergangenen Jahren ist der 58-jährige Leiter des Moskauer Instituts für Globalisierung und Soziale Bewegungen durch kremlnahe Positionen und zweifelhafte Bekanntschaften aufgefallen. Kagarlitzkys Haltung zum Krieg in der Ukraine hat ihn bei grossen Teilen der russischen Linken diskreditiert.

Nachweise für diese Position finden sich auf einem Blog, den der Soziologe betreibt. Die sogenannten Volksrepubliken im Osten des Landes – mit tatkräftiger «Unterstützung» Russlands entstanden – beschreibt Boris Kagarlitzky dort als «perfekte Verkörperung der revolutionären Ordnung». Die Revolution auf dem Maidan diskreditiert er in einem anderen Beitrag als «faschistisch» – eine Formulierung, mit der der Kreml stets seine Intervention rechtfertigte.

Im September 2011 nahm Kagarlitzky an einem Seminar des rechtsextremen Florian-Geyer-Klubs in Moskau teil. Aufnahmen von diesem Treffen zeigen ihn unter anderem zusammen mit einem prominenten Denker der russischen neuen Rechten, Alexander Dugin. Und im Juli 2014, wenige Monate nach der Annexion der Krim-Halbinsel durch Russland, organisierte Kagarlitzkys Institut eine Konferenz zum Ukrainekonflikt in Jalta.

Auf die Belege angesprochen, lässt Ringger offen, ob Kagarlitzky weiterhin für die Denknetz-Tagung eingeplant ist. «Sollten wir Dokumente erhalten, die etwa belegen, dass Kagarlitzky mit russischen Ultranationalisten gemeinsame Sache macht, werden wir auf die Einladung zurückkommen.»